Hamburg. Das Opfer wurde über Stunden traktiert und ist bis heute gezeichnet. Die Richterin sprach von einer „gruppendynamischen Gewaltorgie“.
Am Ende lag er da wie tot. Regungslos, blutverschmiert und schwer verletzt. Über viele Stunden wurde Piotr W. misshandelt, geschlagen, getreten und gedemütigt. Es fehlte nicht viel, und der damals 43-Jährige hätte die Qualen nicht überlebt. Und selbst viele Monate später litt der Mann an den Folgen der Misshandlungen. Jetzt erging wegen des Martyriums, das der Mann in einer Monteurwohnung erleiden musste, in einem Prozess vor dem Hamburger Landgericht das Urteil gegen zwei Angeklagte.
Elf Jahre und sechs Monate Freiheitsstrafe verhängte die Kammer gegen einen 37-Jährigen. Der Mann habe mit der Tat vom 14. und 15. August 2021 unter anderem einen versuchten Mord sowie eine gefährliche Körperverletzung begangen, betonte die Vorsitzende Richterin in der Urteilsbegründung. Bei dem Verbrechen sei Lukas D. „aus Freude an Gewalttätigkeit“ vorgegangen, hieß es. Die Tat sei durch eine besondere Brutalität gekennzeichnet. Der Angeklagte habe es für möglich gehalten, dass das Opfer tödlich verletzt wurde „und fand sich damit ab“. Ein zweiter Angeklagter erhielt wegen unterlassener Hilfeleistung ein Jahr Haft.
Prozess Hamburg: Angeklagter handelte aus „Freude an Gewalttätigkeit“
Das spätere Opfer, Mitarbeiter in einem Abbruchunternehmen, hatte vor knapp drei Jahren zusammen mit vier weiteren Männern in einer Monteurwohnung gelebt, als es zu den Übergriffen durch seine Mitbewohner kam. Der 43-Jährige, der arglos im Bett gelegen hatte, wurde mit Schlägen und Tritten traktiert, ferner warf man Möbelstücke auf ihn, wodurch das Opfer zahlreiche Verletzungen davontrug, unter anderem Rippenfrakturen und Hämatome.
Die Schmerzen seien so heftig gewesen, dass der 43-Jährige nicht mehr in der Lage war aufzustehen. Doch die Übergriffe gingen weiter. Unter anderem wurde Piotr W. mit dem Stiel eines Wischmopps geschlagen, ihm wurde eine Fahrradkette um den Hals gelegt. Und Lukas D. forderte seinen damaligen Mitbewohner Dawid B. auf, sich auf das am Boden liegende Opfer zu knien. Von dieser Demütigung fertigte der Hauptangeklagte auch noch Fotos. Nach weiteren Misshandlungen stürzte das Opfer schließlich in eine gläserne Duschwand und wurde von den Scherben und den Splittern verletzt.
Hamburger Monteurwohnung: Opfer wurde lebensgefährlich verletzt
Der Mann habe einen erheblichen Blutverlust erlitten und sei deutlich unterkühlt gewesen, machte die Richterin deutlich. „Sein Zustand war akut lebensbedrohlich. Ohne zeitnahe medizinische Versorgung wäre er verstorben.“ Die Richterin nannte die Misshandlungen eine „gruppendynamische Gewaltorgie“. Dem zweiten Angeklagten, einem 38-Jährigen, sei vorzuwerfen, dass er keinerlei Hilfebemühungen unternommen habe. Das Opfer überlebte nur, weil ein weiterer Kollege nach zwei Tagen den Chef angerufen und alarmiert hat. Er schickte dem Vorgesetzten Fotos des schwerverletzten und bewusstlosen Kollegen, dieser rief dann einen Rettungswagen.
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Das Opfer hatte als Zeuge vor Gericht geschildert, dass er seit der damaligen Tat unter zeitweiligem Gedächtnisschwund leide. „Ich erinnere mich schlecht an Dinge“, hatte er erzählt. Auch an manche Details der Misshandlungen könne er sich nur schemenhaft erinnern. Doch jedes Mal, wenn er in den Spiegel schaut, sieht Piotr W. die Spuren, die die Schläge und Tritte hinterlassen haben. Auch mehr als zwei Jahre nach dem Verbrechen blieben einige Stellen an seinem Kopf, wo er getroffen worden war, kahl.
Erst nach zwei Tagen wurde ein Rettungswagen gerufen
Der Fall wurde schon einmal vor Gericht verhandelt. Ein früheres Urteil gegen die beiden Männer war teilweise vom Bundesgerichtshof (BGH) aufgehoben worden. Zuvor hatte eine andere Strafkammer gegen den Angeklagten Lukas D. eine Freiheitsstrafe von sieben Jahren und zehn Monaten wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen verhängt. Der Mitangeklagte hatte zehn Monate Gefängnis erhalten. Dagegen war die Staatsanwaltschaft erfolgreich in Revision gegangen, weil nach ihrer Einschätzung ein Tötungsvorsatz nachzuweisen gewesen sei. Gegen das jetzt ergangene, neue Urteil, kann wiederum Revision eingelegt werden.