Hamburg. Wie teuer wird die Anlage an der Köhlbrandbrücke wirklich? Hamburg Wasser soll Protokolle und E-Mails vorlegen. Senator Kerstan unter Druck.

Die Affäre um Hamburg Wasser und seine Millionenprojekte spitzt sich weiter zu. Die explosionsartigen Kostensteigerungen beim geplanten Klärschlamm-Aufbereiter VERA II (Verwertungsanlage für Rückstände aus der Abwasserbehandlung), die Verwirrung um bis dato kaum beachtete „Nebenprojekte“, Missmanagement bei Auftragnehmern und eine zweifelhafte Informationspolitik untergraben das Vertrauen in den Versorger.

Hat Hamburg Wasser da oder dort nur unglücklich formuliert oder ist es ein Kommunikationsdesaster? Kamen aus der Geschäftsführung immer alle Informationen zu VERA II rechtzeitig zum Aufsichtsrat und von dort in die BUKEA, Jens Kerstans (Grüne) Behörde für Umwelt, Klima, Energie und Agrarwirtschaft? Oder wurden gezielt Kostensteigerungen und ihre Gründe verschleiert? Sind interne E-Mails von Hamburg Wasser treuherzig weitergeleitet worden – oder gab es ein Datenleck? Ist das Tischtuch zwischen Top-Managerin und Top-Manager in der Geschäftsführung nun zerschnitten oder nicht?

Hamburg Wasser wegen Klärschlamm-Anlage an der Köhlbrandbrücke unter Druck

Dem Abendblatt liegen umfangreiche Dokumente und Stellungnahmen vor, die den Skandal im Klärbezirk am Köhlbrandhöft im Hamburger Hafen aufhellen könnten. Am Ende werden etwaige Mehrkosten für wichtige Projekte wie VERA II und die nicht minder bedeutende Phosphorrückgewinnung aus Klärschlamm an die Wasserkunden in Hamburg weitergereicht. Diese Hinterlassenschaft geht uns alle an.

Hamburg Wasser: Die Geschäftsführung mit Ingo Hannemann und Gesine Strohmeyer.
28.06.2024, Hamburg: Ingo Hannemann und Gesine Strohmeyer, Geschäftsführung von Hamburg Wasser, stehen in einem Abwassersiel unter dem Pumpwerk Hafenstraße. Der städtische Wasserversorger stellte auf einer Pressekonferenz seine Jahreszahlen vor. Bei einem Umsatz von knapp 630 Millionen Euro erwirtschaftete das Unternehmen einen Überschuss von fast 110 Millionen Euro. Foto: Markus Scholz/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ © dpa | Markus Scholz

Da nimmt es nicht wunder, dass nach der bisherigen Abendblatt-Berichterstattung die Debatte um Hamburg Wasser da weiter hochkochte, wo sich die Fachleute unter den Volksvertretern in gesetztem Ton austauschen: im Umweltausschuss der Bürgerschaft. Das Wortprotokoll zeigt: So hanseatisch höflich und besonnen hier Senator Kerstan, Geschäftsführung von Hamburg Wasser und Abgeordnete Fragen stellten und Antworten gaben, so unerklärlich ist doch die Eskalation.

Wortprotokoll aus Umweltausschuss: Hamburg Wasser räumt Fehler ein

An einem förmlich spürbaren Punkt der Debatte sehen Kerstan und Hamburg Wasser nicht die ausgestreckte Hand des Ausschussvorsitzenden Stephan Gamm (CDU). Christdemokraten wie Linke wollen aufklären, wie es in einer internen Mail von Hamburg Wasser heißen kann: Solle man dem Aufsichtsrat die bei VERA II gestiegenen Kosten in Höhen von nunmehr 297 Millionen Euro kommunizieren oder die 327 Millionen? Über diese brisante Mail hatte bereits das Abendblatt berichtet. Heißt das, man wollte den Kontrolleuren um den Aufsichtsratsvorsitzenden Anselm Sprandel (Staatsrat bei Kerstan) möglicherweise die noch höhere Summe vorenthalten?

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Unglücklich, dass Sprandel ausgerechnet im Ausschuss fehlte, weil er bei der Umweltministerkonferenz Kerstan vertrat. Kerstan wiederum sitzt nicht im Aufsichtsrat. Hätte Kerstan im Ausschuss zugesagt, betreffende Mails und Aufsichtsratsprotokolle vorzulegen, hätten sich die Abgeordneten zufrieden gegeben. Nun aber zünden sie noch vor der Bürgerschaftswahl 2025 die nächste Stufe zur Aufdeckung.

CDU: Umweltsenator Kerstan hat Kontrolle über Hamburg Wasser verloren

Gamm sagte dem Abendblatt, auch seine Schriftliche Anfrage an den Senat habe nicht die erhoffte Aufklärung gebracht. „Indiskretionen mit vertraulichen Informationen konnten bislang nicht aufgeklärt werden, und der Senator erfährt von alle dem aus der Presse. Ein Führungschaos sieht die Behörde im Übrigen nicht; schwächer kann ein Dementi wohl nicht formuliert werden. Senator Kerstan hat (als zuständiger Senator) offenkundig die Kontrolle über Hamburg Wasser verloren.“ Gamm hat für seine Fraktion einen Antrag gestellt auf „unverzügliche“ Aktenvorlage und Einsicht in alle Dokumente, Telefonnotizen, E-Mails, Verträge und Gutachten sowie die Kommunikation im und mit dem Aufsichtsrat.

Die Linke um ihren Fachmann Stephan Jersch hat sich dem CDU-Antrag angeschlossen. Jersch, der ebenfalls eine ausführliche Anfrage an den Senat gestellt hatte, sagte dem Abendblatt: Erst die Berichterstattung habe die Kostensteigerung bei VERA II öffentlich gemacht. „Dem Senat ist, wenn man die Antworten liest, nicht an einer Transparenz gelegen. Damit ergibt sich der Eindruck, dass der Senat und Hamburg Wasser das Eingeständnis der Kostenexplosion versucht haben bis nach der Bürgerschaftswahl hinauszuzögern. In einem Projektmanagement muss es auch möglich sein, die Hauptkostentreiber eindeutig angeben zu können. Das verweigert der Senat mit Verweis auf die Vielzahl der Einzelposten und das Geschäftsgeheimnis. Beides halte ich für nicht haltbar.“

Klärschlamm-Anlage VERA II hat „Nebenprojekte“

Hamburg-Wasser-Geschäftsführer Ingo Hannemann sagte, die Projekte würden „ordnungsgemäß“ abgewickelt. Er räumte im Ausschuss ein, es habe eine „Kommunikationslücke“ gegeben. VERA II koste mit der letzten Steigerung 297 Millionen Euro. Die in der Mail genannte Zahl von 327 Millionen komme zustande, wenn man Aufwendungen für Maßnahmen „im Zuge von VERA II“ dazurechne, also die Klärschlammentwässerungs- und Trocknungsanlage (KETA) oder eine neue Bandbrücke. Das sei aber etwas gänzlich anderes und ein anderes Budget. „Das war ein Thema, das wir in der Vergangenheit gerade auch nach außen nach meiner Erinnerung gar nicht kommuniziert haben, allerdings dem Aufsichtsrat.“

Köhlbrandbrücke im Hamburger Hafen mit Klärschlammanlage von Hamburg Wasser am Köhlbrandhöft
An der Köhlbrandbrücke betreibt Hamburg Wasser eine Klärschlammanlage. © Michael Rauhe / Funke Foto Services | Michael Rauhe

Hannemann räumte ein, dass für das gesamte Projekt kein Generalunternehmer gefunden werden konnte. Das eigene Projektteam musste erweitert werden (von 12 auf mehr als 40 Personen). Die müssten nun 80 Einzelunternehmen koordinieren, die beauftragt wurden. Dass vertrauliche Informationen „den Weg in die Öffentlichkeit gefunden haben“, habe er noch nicht erlebt. Immerhin seien sie bei der Presse gelandet, wo sie „vielleicht noch besser aufgehoben“ seien als sonst wo, da es bei Hamburg Wasser ja um „kritische Infrastruktur“ gehe.

Hamburg Wasser: „Haben detailliert und transparent auf Vorwürfe reagiert“

In einer Pressemitteilung vom Freitagabend schrieb Hamburg Wasser, man habe „detailliert und transparent“ zu den Vorwürfen Stellung genommen. Die 297 Millionen Euro für VERA II seien die maßgebliche Summe.

Der aus dem Amt scheidende Umweltsenator Kerstan nahm die Affäre Datenleck zerknirscht auf. „Und insofern hatten wir da schon auch bei der Geschäftsleitung nicht nur unseren Unmut, sag ich mal, geäußert, sondern auch gesagt, dass jetzt wirklich alle Maßnahmen ergriffen werden sollen, um sicherzustellen, dass solche Lecks oder solche Informationen jetzt nicht mehr rausgehen.“ Da sei er „sehr, sehr klar“ gewesen. Kerstan machte ausgesprochen achtsam klar, dass die Abgeordneten selbstverständlich das Recht hätten, eine Aktenvorlage zu beantragen. „Das ist natürlich das Recht von Abgeordneten der Opposition.“ Doch er frage sich, woran das jetzt noch begründet sein solle, da man vieles aufgeklärt und sich sehr transparent gezeigt habe.

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Der Vorsitzende des Bundes der Steuerzahler, Sascha Mummenhoff, sagte: „Senator Jens Kerstan gesteht laut Medienberichten, er habe erst aus der Presse von diesem Desaster erfahren. Wie kann das sein? Schließlich ist sein engster Vertrauter, Staatsrat Anselm Sprandel, Aufsichtsratsvorsitzender des städtischen Unternehmens. Sind hier Unfähigkeit, Überforderung oder gar Desinteresse im Spiel? Fakt ist: Dieses Kontrollversagen kostet die Hamburgerinnen und Hamburger nicht nur Millionen, sondern auch das Vertrauen in ihre politische Führung.“

Mummenhoff sagte, der Staat sei kein guter Unternehmer. „Mit 360 stadteigenen Firmen und 75.000 Mitarbeitenden scheint Hamburg die Kontrolle über seine Beteiligungen längst verloren zu haben. Es braucht einen radikalen Schnitt: Unternehmen, die keine strategische Bedeutung haben, gehören privatisiert.“