Hamburg. Steuerzahlerbund erhebt heftige Vorwürfe gegen städtische Firma. Es geht um explodierende Projektkosten. CDU und Linke fordern Aufklärung.

Der Bund der Steuerzahler Hamburg hat im Nachgang zum Abendblatt-Bericht über explodierende Projektkosten und Führungsstreit bei Hamburg Wasser schwere Vorwürfe gegen das städtische Unternehmen erhoben. „Unterlagen, die uns vorliegen, machen deutlich, dass wir von Verantwortlichen von Hamburg Wasser ganz klar belogen wurden“, sagte der Hamburger Vorsitzende des Steuerzahlerbundes, Sascha Mummenhoff. „Das gilt sowohl bei der Höhe der Mehrkosten, als auch – wie von uns vermutet – bei den wahren Gründen für die extreme Kostensteigerung bei Vera II. Mit uns wurden alle Hamburger Steuerzahler und Steuerzahlerinnen wissentlich getäuscht.“

Hintergrund: Der Steuerzahlerbund hatte bei Hamburg Wasser nach den Kosten des zunächst mit 200 Millionen Euro kalkulierten Projekts Vera II gefragt, mit dem eine bestehende Klärschlammanlage deutlich erweitert werden soll. Das Unternehmen, das der Umweltbehörde von Senator Jens Kerstan (Grüne) untersteht, räumte in seiner Antwort eine drastische Kostensteigerung auf 297,2 Millionen Euro ein. Das war aber offenbar nicht die ganze Wahrheit. In internen Dokumenten von Hamburg Wasser, die dem Abendblatt vorliegen, ist die Rede von 327,1 Millionen Euro. Offenbar ist darüber aber bisher auch der Aufsichtsrat nicht informiert worden, dem der Staatsrat der Umweltbehörde, Anselm Sprandel, vorsitzt.

Hamburg Wasser: „Was sagen die skandalösen Vorgänge über Glaubwürdigkeit?“

Hinzu kommt: Aus weiteren internen Dokumenten geht hervor, dass die öffentlich genannten Gründe, wie der Ukraine-Krieg, offenbar gar nicht ausschlaggebend für die Kostensteigerungen sind. Vielmehr gibt es bei Vera II demnach massive Abstimmungsprobleme mit dem ausführenden Unternehmen.

„Hamburg Wasser ist zu 100 Prozent ein städtisches Unternehmen“, sagte Steuerzahlerbund-Chef Mummenhoff. „Was sagt dieser skandalöse Vorgang über Transparenz, Glaubwürdigkeit und Fehlerkultur in Hamburg aus? Nur mit guter Kontrolle können Fehler vermieden, Steuerverschwendung vorgebeugt und Abgaben niedrig gehalten werden.“

Steuerzahlerbund: „Wusste der Staatsrat als Aufsichtsratschef nichts von den Vorgängen?“

„Noch etwas ist erschreckend: Mit Anselm Sprandel ist ein Staatsrat Aufsichtsratsvorsitzender von Hamburg Wasser“, so Mummenhoff weiter. „Kann es wirklich sein, dass er von den Vorgängen nichts wusste? Handelt es sich um Desinteresse oder einfach nur Unfähigkeit? Welche Konsequenzen werden aus diesem Skandal für alle öffentlichen Unternehmen und deren Kontrollgremien gezogen?“ 

Der Steuerzahlerbund frage sich nun, „wie glaubhaft Informationen sind, die der Öffentlichkeit von stadteigenen Unternehmen oder Behörden zur Verfügung gestellt werden“. Das Ganze bestärke den Steuerzahlerbund „in unserer Position, dass der Staat eben nicht der bessere Unternehmer ist“, so Mummenhoff. „Der Senat muss jetzt mit schonungsloser Transparenz verlorenes Vertrauen wieder aufbauen!“

Dennis Thering: „Das ist eine Katastrophe, für die am Ende die Hamburger zahlen“

Wie berichtet, hat das aus dem Ruder gelaufene Projekt Vera II auch zu einem Zerwürfnis zwischen den beiden Geschäftsführern von Hamburg Wasser, Ingo Hannemann und Gesine Strohmeyer, geführt. Hinzu kommt, dass es auch immer mehr Probleme mit einem anderen Vorzeigeprojekt gibt: Eine 2019 noch als Weltneuheit angepriesene Phosphor-Rückgewinnungsanlage wird nicht nur ebenfalls deutlich teurer, zuletzt gab es auch Zweifel an ihrer Wirtschaftlichkeit.

„Das von Bürgermeister Tschentscher propagierte ‚gute Regieren‘ seines rot-grünen Senats zeigt erneut deutliche Schwächen“, sagte CDU-Fraktionschef Dennis Thering. „Die enormen Kostenüberschreitungen beim Projekt Verwertungsanlage Vera II sind eine Katastrophe, die letztlich die Hamburgerinnen und Hamburger durch höhere Gebühren tragen müssen. Auch bei der Phosphorrecyclinganlage ‚HPHOR‘, die im Beisein von Bürgermeister Tschentscher noch als Weltneuheit angepriesen wurde, gibt es erhebliche technische und finanzielle Probleme.“

Hamburg Wasser: „Senat muss jetzt im Umweltausschuss volle Transparenz herstellen“

Die zentrale Frage sei, „wie es dazu kommen konnte und warum der zuständige grüne Umweltsenator nicht früher eingegriffen hat“, so Thering. „Wir fordern den rot-grünen Senat auf, im kommenden Umweltausschuss vollständige Transparenz herzustellen. Vor allem erwarten wir Antworten darauf, wie der finanzielle Schaden für die Hamburgerinnen und Hamburger minimiert werden kann.“

Auch die Linke forderte Aufklärung. „Das jetzt publik gewordene Missmanagement beim Ausbau von Vera zeigt, dass die Zweifel über Projektkosten und Bauzeit völlig berechtigt waren“, sagte ihr Umweltpolitiker Stephan Jersch. „Die Zweifel, ob die Anlage nicht am Ende überdimensioniert sein wird angesichts vieler anderer Bauprojekte ähnlicher Anlagen in Norddeutschland, bestehen bei mir aber weiterhin.“

Hamburg Wasser: „Wir brauchen eine verlässliche Zwischenbilanz“

Das Projekt reihe sich damit „nahtlos in eine Reihe von gescheiterten oder mehr als holprigen ÖPP-Projekten (Öffentlich-Private-Partnerschaft) der Stadt ein“, so Jersch. „Wenn die Umweltbehörde als Kontrollinstanz weder von projektgefährdenden Personalquerelen, noch von den geschönten Mehrkosten und Verzögerungen Kenntnis hatte oder darauf nicht reagiert hat, dann kann man das nur als Kontrollverlust bezeichnen. Das ist umso gravierender, als die Steuerungs- und Kontrollmöglichkeiten des Parlaments bei den städtischen Unternehmen schon seit langer Zeit praktisch nicht mehr bestehen. Die Regierung hat hier einen Raum geschaffen in dem Transparenz nicht mehr besteht.“

Was jetzt fehle, sei „eine verlässliche Zwischenbilanz“, so Jersch. Dabei müsse die Bürgerschaft einbezogen werden. Es gehe um „eine längst überfällige Neustrukturierung des Projekts und generell eine Überprüfung aller bestehenden ÖPP-Projekte auf deren Risikopotenzial für die jeweils verfolgte Zielsetzung und den Haushalt der Stadt“.

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Besonders transparent arbeitet die grün geführte Umweltbehörde in dieser Angelegenheit bisher nicht. Auch bis Donnerstagnachmittag hatte die Behörde Fragen nicht beantwortet, die das Abendblatt bereits am Montag gestellt hatte. Am Abend schließlich meldete sich die Umweltbehörde dann doch noch. Umweltstaatsrat Anselm Sprandel wies die Kritik an Hamburg Wasser in einer Mail deutlich zurück.

Umweltbehörde: Staatsrat weist Kritik zurück und lobt „mutige Pionierprojekte“

„Es trifft in keinster Weise zu, dass bei Hamburg Wasser Projekte unprofessionell gemanagt werden und wir nicht transparent kommunizieren“, schreibt Sprandel. „Fakt ist: Wir sind als kommunale Abwasserentsorger verpflichtet, spätestens ab 2029 die Mangelressource Phosphor zurückzugewinnen. Wir standen vor der Entscheidung, als Unternehmen entweder proaktiv und mit einem gewissen unternehmerischen Risiko neue Anlagen wie Vera II und HPHOR selbst zu planen und in die Umsetzung zu bringen – oder uns abhängig von Anbietern auf dem Markt zu machen, die dann die Preise diktieren.“

Mit Hamburg Wasser habe die Behörde entschieden, „mutig und als Pionier hier eine Vorreiterrolle zu übernehmen – und somit auch die finanziellen Auswirkungen steuern zu können“, so Sprandel. „Fakt ist auch: Bundesweit sind aktuell nur noch fünf Verfahrensarten zur Phosphor-Gewinnung überhaupt in der Erprobung.“

Hamburg Wasser: Aufsichtsratssitzung überraschend abgesagt

Das vom Partner Remondis „eingesetzte TetraPhos-Verfahren gilt nicht nur als eines der vielversprechendsten, sondern wir sind damit bundesweit auch bisher am weitesten vorangeschritten und liegen hier sehr gut im Zeitplan“, so der Staatsrat weiter. „Wenn wir keine eigene Anlage in den Betrieb nehmen, müssten wir spätestens ab 2029 Klärschlamm beispielsweise in Deponien einlagern – das würde ein Vielfaches an Kosten bedeuten, als die Projektkosten, über die wir jetzt sprechen. Und diese Rechnung müssen dann alle Bürgerinnen und Bürger bezahlen. Daher haben wir uns für den anderen Weg entschieden. Wie bereits dargelegt, sind Kostensteigerungen bei einem so innovativen Technologieprojekt völlig normal.“

Zum Zerwürfnis zwischen den Geschäftsführern von Hamburg Wasser wollte sich die Umweltbehörde nicht äußern. Die zunächst für diesen Freitag anberaumte Aufsichtsratssitzung der zu Hamburg Wasser gehörenden Stadtentwässerung wurde derweil nach Abendblatt-Informationen am Donnerstag abgesagt. Offenbar gibt es vorab noch einiges zu klären.