Hamburg. Kläranlage fast 130 Millionen teurer, Großprojekt droht zu scheitern. Wurde der Aufsichtsrat getäuscht? Rechnung zahlen alle Hamburger.

Ein Großprojekt, das finanziell komplett aus dem Ruder läuft. Ein als weltgrößte Innovation angepriesenes Vorhaben, das grandios zu scheitern droht. Interne Dokumente, in denen offen diskutiert wird, ob Kostensteigerungen zunächst geheim gehalten werden sollten. Und zwei Geschäftsführer, die sich nicht mehr über den Weg trauen. Was sich derzeit beim städtischen Unternehmen Hamburg Wasser abspielt, ist mit dem Wort „Krise“ womöglich noch nicht hinreichend umschrieben. „Chaos“ trifft es vielleicht besser.

Wesentlicher Ausgangspunkt der Verwerfungen ist das Projekt „VERA II“, dessen Kosten sich zuletzt dramatisch erhöht haben. „VERA“ steht für „Verwertungsanlage für Rückstände aus der Abwasserbehandlung“. Bei der Abwasserreinigung bleibt am Ende Klärschlamm zurück. Dieser wird getrocknet und verbrannt, bisher aber teilweise auch als Dünger verwendet. Weil die Nutzung als Dünger künftig nicht mehr erlaubt ist, werden nun größere Kapazitäten für die Verbrennung benötigt. Daher erweitert Hamburg Wasser derzeit die bereits bestehende Verwertungsanlage im Hafen. Dabei allerdings hat sich die Führung des städtischen Unternehmens offenbar deutlich verkalkuliert.

Hafen Hamburg: Kosten für Projekt steigen weiter – Aufsichtsrat nicht informiert?

Das im Jahr 2022 zunächst mit 200 Millionen Euro veranschlagte Projekt werde nach jüngster Schätzung nun 297,2 Millionen Euro kosten, teilte die Umweltbehörde kürzlich auf Abendblatt-Anfrage mit. Das allerdings ist offenbar auch noch nicht die ganze Wahrheit. Denn in internen Dokumenten, die dem Abendblatt mittlerweile vorliegen, gehen die Verantwortlichen bei Hamburg Wasser derzeit von 327,1 Millionen Euro Gesamtkosten aus. Eine Summe, die dem Aufsichtsrat bis dato offenbar noch nicht mitgeteilt wurde.

Pressefoto Klärschlammverbrennungsanlage VERA II
Hier entsteht im Hafen ein Mehrzweckgebäude für die Klärschlammverbrennungsanlage VERA II. © Hamburg Wasser | Hamburg Wasser

Weitere Papiere aus dem städtischen Unternehmen, das von der Umweltbehörde von Senator Jens Kerstan (Grüne) kontrolliert wird, zeigen, dass die bislang genannten Kostentreiber wie Ukrainekrieg und allgemeine Preissteigerung beim Material wohl nicht die entscheidenden Ursachen für den weiteren Anstieg der Projektkosten waren. Vielmehr spielten bei den Problemen rund um „VERA II“ ausweislich interner Papiere, die dem Abendblatt vorliegen, wohl massive Abstimmungsprobleme zwischen Hamburg Wasser und der ausführenden Firma eine wesentliche Rolle.

In einem Dokument aus dem Juni 2024 ist die Rede von „mangelhafter Kooperation“, nicht ausreichender Planungsqualität, „schlechter Anlagenperformance“, Unsicherheit im Team und der Überlastung von Mitarbeitern. Als Risiken angesichts der mangelhaften Zusammenarbeit werden in dem Papier „Betriebserschwernisse bis hin zu Personenschäden“ und eine „ausbleibende Betriebsgenehmigung“ für den Neubau genannt.

Hamburg Wasser: Nun gibt es Zoff zwischen den beiden Geschäftsführern

Im Kontext des offenbar mit Ansage aus dem Ruder gelaufenen Projekts ist wohl auch das Zerwürfnis zwischen den Geschäftsführern zu sehen. Nach Abendblatt-Informationen soll Gesine Strohmeyer, die Ende 2022 als Geschäftsführerin den kaufmännischen Bereich bei Hamburg Wasser übernommen hat, immer wieder auf ein engeres, professionelleres Projektmanagement bei „VERA II“ gedrängt haben. Um Probleme im Management abzustellen, soll sie mit einem internen Team und der Unternehmensberatung Roland Berger Vorschläge erarbeitet haben.

In diesem Zusammenhang soll der technische Geschäftsführer und Sprecher der Geschäftsführung, Ingo Hannemann, das Vertrauen in seine Kollegin Strohmeyer verloren haben. Die genauen Hintergründe sind unklar. Nun aber steht offenbar der Abgang Strohmeyers im Raum. Der Aufsichtsratsvorsitzende von Hamburg Wasser, Umweltstaatsrat Anselm Sprandel, war nach Abendblatt-Informationen bereits mit den Verwerfungen in der Unternehmensspitze befasst.

Erschwerend kommt hinzu, dass auch ein weiteres Projekt von Hamburg Wasser nicht so läuft, wie man es sich anfangs so schön ausgemalt hatte. Schon 2019 hatten Hamburg Wasser und der Partner Remondis angekündigt, bereits 2020 im Hafen die weltweit erste Recyclinganlage in Betrieb zu nehmen, die aus der Asche verbrannten Klärschlamms wertvolle Phosphorsäure gewinnt.

Hamburg werde schon bald „mit den Hinterlassenschaften seiner Einwohner Geld verdienen“, schrieb das Abendblatt damals. Bei der Ankündigung der angeblichen Weltneuheit machten auch Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) und Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) ihre Aufwartung.

Aus Schei... Geld machen: Das Phosphorprojekt in Hamburg läuft immer noch nicht stabil

Mittlerweile sind mehr als fünfeinhalb Jahre vergangen; und die Phosphorrückgewinnung läuft immer noch nicht stabil, auch wenn man öffentlich gerne den Eindruck erweckt. Kürzlich räumte Hamburg Wasser ein, dass die Anlage noch Macken habe und zusätzlich zu den bereits investierten 23,5 Millionen weitere acht Millionen Euro in das Projekt gepumpt werden müssten.

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Dabei scheinen bei Hamburg Wasser gar nicht mehr alle sicher zu sein, dass das 2019 so hoch eingeflogene Projekt überhaupt jemals wirtschaftlich zum Laufen gebracht werden kann. Im Juli 2024 bat Geschäftsführer Hannemann Projektpartner Remondis nach Abendblatt-Informationen um einen „Bericht zur Validität des Geschäftsmodells“. Und in einem Dokument aus dem September heißt es, die Anlage sei „im aktuellen Zustand nicht bereit, den Produktionsprozess aufzunehmen“. Dort ist auch die Rede von nötigen weiteren Millioneninvestitionen. Und im letzten Punkt unter „aktuelle Lage“ heißt es nüchtern: „Aufgrund der hohen Investitionskosten ist ein eigenwirtschaftlicher Betrieb dauerhaft nicht mehr gegeben.“

Hamburg Wasser: Den Schaden zahlen alle Bürger mit ihrer Wasserrechnung

Den Schaden von Fehlkalkulationen und Managementfehlern müssen übrigens wohl alle Hamburgerinnen und Hamburger bezahlen. Denn wenn Hamburg Wasser mehr Geld braucht, kann es einfach die Gebühren erhöhen, die dann alle Bürger zu zahlen haben. Auf die Frage, wer die hohen Mehrkosten bei „VERA II“ übernehme, antwortete die Umweltbehörde schon im Oktober: „Die Refinanzierung der erhöhten Investitionskosten erfolgt im Rahmen der jährlichen Kalkulation der Schmutzwassergebühren, in die der erhöhte jährliche Abschreibungsbedarf einfließen wird.“

Die Umweltbehörde teilte auf Abendblatt-Anfrage mit, dass das „Projekt ,VERA II‘ regelmäßig von den leitenden Gremien wie dem Aufsichtsrat und dem Lenkungskreis begleitet“ werde. „Hamburg Wasser stellt ein effektives Claim Management (systematische Kontrolle von Ansprüchen in Projekten) sicher.

Die Kostenprognosen werden regelmäßig aktualisiert und dem Aufsichtsrat zur Genehmigung vorgelegt. Der durch den Aufsichtsrat freigegebene Investitionsrahmen beträgt derzeit 297,2 Millionen Euro.“ Auf die Frage zu den laut internen Dokumenten längst bei 327,1 Millionen Euro liegenden Kosten geht die Behörde in ihrer Antwort nicht ein.

Umweltbehörde beantwortet Fragen zur Wirtschaftlichkeit des Projekts nicht

Zur Phosphorrecyclinganlage HPHOR schreibt die Behörde, diese sei „bereits 2021 in den Probebetrieb gegangen und hat Phosphorsäure produziert“. Der Regelbetrieb solle nach aktueller Planung bis voraussichtlich 2026 umgesetzt sein. Damit liege das Projekt „voll im Zeitplan der Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben zum Phosphorrecycling“. Mit der novellierten Abfallklärschlammverordnung von 2017 schreibe der Gesetzgeber vor, „dass im Klärschlamm gebundenes Phosphor ab 2029 recycelt werden muss“.

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Die für die „Überführung in den Regelbetrieb“ nötigen „weiteren Investitionen“ habe das Unternehmen kommuniziert. „Die Mittel fließen in Verfahrensoptimierungen und technische Erweiterungen, die für den Regelbetrieb und die Beseitigung von Schwachstellen erforderlich sind, die im Probebetrieb erkannt worden sind“, so eine Sprecherin von Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne). Technische Anpassungen seien „bei einem Projekt zur Technologieentwicklung nicht unüblich“. Zu den in internen Papieren dokumentierten Zweifeln an der Wirtschaftlichkeit des Projekts schweigt die Bukea.

Hamburg Wasser: Am Freitag dürfte es eine muntere Sitzung des Aufsichtsrats geben

Auch die Abendblatt-Fragen zum Zerwürfnis zwischen den Geschäftsführern ließ die Umweltbehörde innerhalb der gesetzten Frist unbeantwortet. Hamburg Wasser selbst wollte sich gar nicht äußern. Am Freitagnachmittag trifft sich nun der Aufsichtsrat der zu Hamburg Wasser gehörenden Stadtentwässerung. Man darf dabei angesichts der jüngsten Entwicklungen im städtischen Unternehmen wohl eine muntere Diskussion erwarten.