Hamburg. Einsamkeit, Depressionen und Ängste häufiger als vor der Corona-Pandemie. Wer gefährdet ist und wie soziale Medien dies noch verstärken.

  • Die Corona-Pandemie hat Spuren hinterlassen und Kinder psychisch anfällig gemacht für die Krisen, die die Welt derzeit erschüttern.
  • Studie des UKE Hamburg: Jedes fünfte Kind leidet unter psychischen Auffälligkeiten und Angst.
  • 72 Prozent machen sich wegen der aktuellen Kriege und Terrorismus Sorgen; soziale Medien verstärken den Trend

Kinder und Jugendliche haben sich von der Corona-Pandemie etwas erholt, sind aber weiterhin sehr belastet – und zwar stärker als vor der Pandemie. Ihre psychische Gesundheit ist deutlich schlechter als zuvor. Die Pandemie hat Spuren hinterlassen und sie offenbar psychisch anfällig gemacht für die Krisen, die die Welt derzeit erschüttern. Und die Nutzung von sozialen Medien verstärkt das Problem noch. So könnte man die Ergebnisse der sechsten und siebten Befragungsrunde der Copsy-Studie (COrona und PSYche) des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) im Oktober 2023 und Oktober 2024 zusammenfassen.

„Jetzt beeinflussen Ängste, insbesondere im Zusammenhang mit globalen Konflikten und der Klimakrise, die Lebensqualität und das Wohlbefinden“, sagt Prof. Ulrike Ravens-Sieberer, Direktorin der Forschungssektion Child Public Health der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychotherapie und -psychosomatik des UKE, die die Copsy-Studie leitet.

UKE-Studie: Jedes fünfte Kind leidet unter psychischen Auffälligkeiten und Angst

Hatte sich das psychische Wohlbefinden der Kinder und Jugendlichen nach der Pandemie zunächst verbessert, setzte sich dieser Trend im Herbst 2024 nicht weiter fort. Insgesamt berichten etwa fünf Prozent mehr Kinder und Jugendliche über eine schlechtere psychische Gesundheit als vor der Pandemie. Das seien deutschlandweit rund 400.000 Kinder.

  • 21 Prozent der jungen Menschen berichten von einer anhaltenden Beeinträchtigung der Lebensqualität.
  • 22 Prozent leiden weiterhin unter psychischen Auffälligkeiten.
  • 23 Prozent der Kinder und Jugendlichen hatten im Oktober 2024 nach eigenen Angaben Angstsymptome. Ein Jahr zuvor waren es noch 21 Prozent gewesen.
  • 13 Prozent gaben an, unter depressiven Symptomen zu leiden.
  • 21 Prozent leiden unter Einsamkeit – trotz oder wegen all der Zeit, die sie in sozialen Medien verbringen. Vor der Pandemie waren es lediglich 14 Prozent.

Sorgen: Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten verängstigen Kinder

Vor allem die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten, wirtschaftliche Unsicherheiten und der Klimawandel bereiten den Kindern und Jugendlichen Sorgen. Im Herbst 2023, in der sechsten Befragungsrunde, gab etwa die Hälfte der Kinder und Jugendlichen an, sich in unterschiedlichem Maße Sorgen über verschiedene Krisen zu machen. Ein Jahr später ist der Anteil der Kinder und Jugendlichen, die sich diesbezüglich Sorgen machen, signifikant gestiegen. Konkret äußerten

  • 72 Prozent der Befragten, sich wegen der aktuellen Kriege und Terrorismus zu sorgen,
  • 62 Prozent wegen der wirtschaftlichen Unsicherheit – also auch konkret, dass sich ihre Familie künftig weniger leisten kann
  • und 57 Prozent wegen der Klimakrise.

Diese krisenbezogenen Ängste stehen im engen Zusammenhang mit einem erhöhten Risiko für psychische Belastungen.

Erschreckend: Wie soziale Medien Kinder belasten – jede Stunde mehr zählt

Eine wesentliche Rolle spielt dabei auch die Nutzung von sozialen Medien, weil Kinder und Jugendliche den Informationen aus aller Welt und den Meinungen dort ungefiltert ausgesetzt sind. Die Studie zeigt, dass ein Drittel (32 Prozent) der Kinder und Jugendlichen in sozialen Medien regelmäßig mit belastenden Inhalten wie ungefilterten Nachrichten über Krisen konfrontiert wird. Ein Fünftel fühlt sich durch Ausgrenzung und Abwertung in sozialen Medien zusätzlich belastet.

40 Prozent nutzen digitale Medien mindestens vier Stunden am Tag. „Dazu muss man wissen: Jede Stunde, die Kinder und Jugendliche mit sozialen Medien verbringen, erhöht das Risiko verminderter Lebensqualität und psychischen Auffälligkeiten um das 15-Fache“, sagt Dr. Anne Kaman, stellvertretende Leiterin der Copsy-Studie.

Die Langschnittstudie untersucht die Auswirkungen und Folgen zunächst der Corona-Pandemie und jetzt globaler Krisen auf die seelische Gesundheit und das Wohlbefinden von Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Insgesamt nahmen 2865 Familien mit Kindern und Jugendlichen im Alter von 7 bis 22 Jahren an mindestens einer Befragungswelle der Copsy-Studie von Mai 2020 bis Oktober 2024 teil. Mittlerweile liegt der Fokus der Studie vermehrt darauf, inwiefern sich die Kinder und Jugendlichen von dieser Zeit erholen konnten und wie sie auf neue Herausforderungen wie Kriege und wirtschaftliche Unsicherheiten reagieren. 

Studie aus Hamburg: Was Kinder anfällig macht – und was sie stärkt

Untersucht wurde auch, welche Faktoren die psychische Belastung oder depressiven Verstimmungen begünstigen und auch vermeiden helfen. „Wir konnten feststellen, dass Risikofaktoren wie sozioökonomische Benachteiligung die Wahrscheinlichkeit für psychische Probleme erhöhen, während Kinder und Jugendliche, die optimistisch und zuversichtlich in die Zukunft schauen und sich von ihrem sozialen Umfeld gut unterstützt fühlen, besser geschützt sind“, sagt Ulrike Ravens-Sieberer.

Wer viel gemeinsame Zeit in der Familie verbringt, sich von seinem Umfeld gut unterstützt fühlt und Zuversicht und Selbstwirksamkeit erlebe, habe ein fünf- bis zehnfach geringeres Risiko, psychische Belastungen und Auffälligkeiten zu erleiden. „Wer sich von Eltern und dem sozialen Umfeld geliebt und unterstützt fühlt, wird widerstandsfähig gegen Krisen.“

Kinder mit geringem Bildungsniveau oder Migrationshintergrund besonders gefährdet

Umgekehrt: Kinder, die aus Familien mit geringem Bildungsniveau stammen, die in beengten Wohnverhältnissen aufwachsen und deren Eltern psychisch belastet sind oder die einen Migrationshintergrund haben, sind im Hinblick auf ihre psychische Gesundheit besonders gefährdet. Die Therapieangebote für belastete Kinder und Jugendliche seien nicht ausreichend.

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Das Studienteam plädierte bei der Vorstellung der Studie dafür, mehr niedrigschwellige Hilfen für Gesundheit an den Schulen anzubieten. Ziel sollte eine Ansprechperson an jeder Schule sein. Die Copsy-Forscherinnen bleiben dran: Im Herbst kommenden Jahres werden sie eine neue Erhebung starten.