Hamburg. Fahrer betont vor Gericht, wie leid ihm der tödliche Unfall in Poppenbüttel tue. Anklage geht von Verletzung der Sorgfaltspflicht aus.

Ein winziger Augenblick nur. Dieser kurze Moment, in dem sich entscheidet, wie das Leben eines Menschen weitergeht. Oder ob er stirbt. In manchen Augenblicken reicht eine Unaufmerksamkeit, um eine Tragödie heraufzubeschwören. Eine junge Frau ist umgekommen. Sie wurde gerade mal 19 Jahre alt. Es war ein Abbiegeunfall, bei dem die Hamburgerin getötet wurde.

Sandra S. (alle Namen geändert) war am 11. Juli vergangenen Jahres mit ihrem Fahrrad in Poppenbüttel unterwegs und wartete an einer roten Ampel, schräg neben ihr ein mehr als 30 Tonnen schwerer Lkw. Als die Ampel auf Grün sprang, fuhren beide los. Nun habe der Fahrer des Lkw beim Rechtsabbiegen die Vorfahrt der Radlerin missachtet, die geradeaus weiterwollte, heißt es in der Anklage, die den Berufskraftfahrer Egon M. vor das Amtsgericht gebracht hat.

Prozess Hamburg: Lkw erfasst 19-Jährige – Opfer stirbt am Tatort

Der Kieslaster erfasste die 19-Jährige, die noch am Unfallort ihren lebensgefährlichen Verletzungen erlag. Der Vorwurf gegen den 54-Jährigen lautet auf fahrlässige Tötung. Laut Staatsanwaltschaft hätte der Unfall vermieden werden können, wenn Egon M. allen Sorgfaltspflichten nachgekommen wäre.

Vornübergebeugt sitzt der Angeklagte da, den Blick starr nach vorn gerichtet. Er wolle den Angehörigen von Sandra S. sagen, „dass es mir sehr leid tut, was an dem tragischen Tag passiert ist“, sagt der Hamburger mit leiser Stimme. Er würde es gern, wenn er könnte, „rückgängig machen“, so Egon M. weiter.

Der tödliche Unfall geschah am Mittag des 11. Juli 2022 an der Kreuzung Poppenbütteler Weg/Goldröschenweg.
Der tödliche Unfall geschah am Mittag des 11. Juli 2022 an der Kreuzung Poppenbütteler Weg/Goldröschenweg. © Michael Arning | Michael Arning

Tödlicher Unfall: Lkw hatte keinen Abbiegeassistenten

Sein Lkw war nicht mit einem Abbiegeassistenten ausgerüstet. Solche Systeme, die mittels Signallampen und Tönen warnen, sobald Fahrräder oder Passanten neben dem Fahrzeug stehen, sind laut einer EU-Verordnung ab Juli 2024 für alle neuen Fahrzeuge Pflicht.

Die Verteidigerin von Egon M. führt aus, dass ihr Mandant, dessen Lkw mehrere Tonnen Sand geladen hatte, sehr aufmerksam gewesen sei, immer wieder sorgfältig durch Blicke auf die Kreuzung den Verkehr beobachtet und sich durch die im Führerhaus angebrachten Spiegel unter anderem vergewissert habe, dass kein Radfahrer nahe.

Als er dann zum Rechtsabbiegen ansetzte, habe er ein „schleifendes Geräusch gehört und sich wahnsinnig erschrocken“. Nun sei er ausgestiegen und habe gesehen, dass es zur Kollision mit der Radfahrerin gekommen war.

Angeklagter Lkw-Fahrer war drei Monate lang krankgeschrieben

Ihr Mandant habe einen Schock erlitten und sei mit dem Rettungswagen ins Krankenhaus gebracht worden. Drei Monate war Egon M. krankgeschrieben und durchlief zudem eine Psychotherapie, bevor er sich wieder ins Führerhaus wagte. Obwohl der 54-Jährige, „Berufskraftfahrer aus Leidenschaft“, bis heute intensiv darüber nachdenke: „Er weiß nicht, was er hätte besser machen können.“

Ein weiterer Lkw-Fahrer, der direkt hinter dem Kieslaster an der Ampel stand, bezeugt, dass Egon M. langsam angefahren und „alles korrekt gemacht“ habe. Der Zeuge erzählt, er habe die junge Frau auf dem Fahrrad gesehen, aber geglaubt, als der Kieslaster abbog, „das passt schon. Aber dann kam es zum Unglück.“

Experte: Tödlicher Abbiegeunfall wäre vermeidbar gewesen

Ein Sachverständiger erläutert, dass es zwar wegen der hohen Sitzposition des Fahrers im Lkw in einem bestimmten Moment einen toten Winkel gebe. Allerdings sei der Kieslaster mit einem speziellen Spiegel ausgerüstet gewesen, über den der gesamte Frontbereich zu überblicken sei.

Hätte Egon M. also beim Abbiegen seine Geschwindigkeit noch weiter reduziert oder sogar für einen Augenblick angehalten, hätte er die Radfahrerin gesehen. Der Unfall, so der Experte, wäre vermeidbar gewesen.

So sieht das auch die Staatsanwaltschaft, die eine Bewährungsstrafe von einem Jahr für Egon M. fordert. Die Verteidigung beantragt indes Freispruch und begründet dies unter anderem damit, dass der Angeklagte sehr umsichtig gehandelt habe und die Radfahrerin eine Mitschuld an dem Unglück trage. Denn die Rekonstruktion der Geschehnisse habe ergeben, dass sie auf dem Fahrrad telefonierte.

Prozess Hamburg: Urteil – 9000 Euro Geldstrafe für Lkw-Fahrer

Am Ende verhängt der Amtsrichter für den nicht vorbestraften Angeklagten eine Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu à 75 Euro, also 9000 Euro, darüber hinaus ein Fahrverbot von einem Monat. Hier sei das Leben einer jungen Frau zerstört worden.

„Einen Ausgleich für eine solche Tragödie“ könne ein Strafprozess indes nicht leisten. „Nichts kann dies ungeschehen machen.“ Aber Prozesse wie dieser zeigten, dass der Rechtsstaat auf Fahrlässigkeitsdelikte reagiert, sagt der Richter.

Richter: „Das ist das Tragische an der Geschichte“

Und der Angeklagte habe tatsächlich eine Pflichtverletzung begangen. Wenn er umsichtiger gefahren wäre oder sogar angehalten hätte, hätte er durch den Frontspiegel die Radfahrerin „sehr wohl sehen können“, so der Richter. Die Priorität müsse sein, darauf zu achten, dass niemand gefährdet werde – dies umso sorgfältiger, wenn kein Abbiegeassistent im Lkw vorhanden ist.

Allerdings handele es sich um eine ganz kurze Unaufmerksamkeit in einer Situation, in der der Fahrer sehr viel zu beachten habe. „Es ist der Bruchteil einer Sekunde, der über ein Schicksal entscheidet. Das ist das Tragische an der Geschichte.“