Hamburg. Angeklagter: „Ich schäme mich.“ Warum er Alkohol konsumierte, was ein Schwerverletzter sagt – und was die Hinterbliebenen wollen.

Er erinnert noch, wie er an der roten Ampel wartete. Was danach geschah, ist für Stefan H. nur noch „ein schwarzes Loch“. Wie ein Auto auf ihn und weitere Fußgänger zusteuerte, wie das Fahrzeug die Opfer rammte – und dass schließlich neben ihm eine junge Frau mit schwersten Verletzungen und blutüberströmt auf dem Bürgersteig lag: All diese schrecklichen Erfahrungen sind bei dem 36-Jährigen wie ausgelöscht.

Wenn der Hamburger an jenen Unfall, der sein Leben nachhaltig veränderte, zurückdenkt, weiß er „nur noch, dass ich im Krankenhaus aufgewacht bin“.

Prozess Hamburg: Betrunken und zu schnell – Mann verursachte tödlichen Unfall

Es war der 14. April 2020, an dem ein silberner Mercedes E350d über die Kieler Straße raste, von der Fahrbahn abkam und ein schweres Verkehrsunglück auslöste. Eine 26 Jahre alte Frau wurde so massiv verletzt, dass sie zehn Tage nach dem Unglück im Krankenhaus starb. Und Stefan H., der neben der Frau an der Ampel gestanden hatte, erlitt schwerste Frakturen der Oberschenkel.

Für eine Weile war nicht klar, ob ein Bein gelähmt bleiben würde. Eine weitere Person wurde ebenfalls verletzt. Jetzt wird der Fall im Prozess vor dem Landgericht verhandelt.

Unfall verursacht: Angeklagter sagt, er trage die Verantwortung

Verantwortlich für die katastrophalen Folgen ist Mehmet P. (Name geändert). Der heute 44-Jährige sitzt wegen fahrlässiger Tötung, Gefährdung des Straßenverkehrs und fahrlässiger Körperverletzung auf der Anklagebank. Dass er an jenem verhängnisvollen Nachmittag am Steuer des Mercedes saß und den Unfall verschuldet hat, hat der Hamburger bereits vor anderthalb Jahren in einem Prozess vor dem Amtsgericht eingeräumt.

Seinerzeit erhielt er eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren – zur Bewährung. Weil die Staatsanwaltschaft eine Verurteilung anstrebt, nach der der Angeklagte ins Gefängnis müsste, kommt es jetzt zur Berufungsverhandlung.

Angeklagter im Prozess: „Ich bin der Täter, ich habe kein Mitleid verdient“

Der Verteidiger von Mehmet P. spricht von einem „tragischen Ereignis“. Sein Mandant wisse, dass er schlimmes Leid verursacht habe, und bereue die Tat zutiefst. „Er schläft schlecht, träumt schlecht.“ Der Unfall und die Folgen für die Opfer seien für den 44-Jährigen eine „sehr, sehr hohe Belastung“. Es gelte, was der Angeklagte bereits vor dem Amtsgericht betont habe. Damals sagte Mehmet P: „Ich bin der Täter, ich habe kein Mitleid verdient.“

Der Angeklagte (links) mit seinem Verteidiger Jan Langhans im Berufungsprozess vor dem Landgericht 
Der Angeklagte (links) mit seinem Verteidiger Jan Langhans im Berufungsprozess vor dem Landgericht  © Bettina Mittelacher | Bettina Mittelacher

Dann hatte sich der Familienvater an die Eltern der getöteten 26-Jährigen sowie an den schwer verletzten Stefan H. gewandt und beteuert: „Ich schäme mich.“ Heute erklärt der Angeklagte, dass er wisse, „dass er großes Leid über drei Menschen gebracht habe“. Dass er für den Tod eines jungen Menschen verantwortlich sei, werde ihn „ein Leben lang belasten“.

Er trank Hochprozentiges, setzte sich dann ans Steuer

Damals wie heute schildert der Angeklagte, dass er an jenem 14. April 2020 am Telefon mit seiner Frau gestritten habe. Inhalt der Auseinandersetzung war, dass er sehr viele Stunden täglich in seinem Lebensmittelgeschäft arbeitete und seine Frau sich mit den kleinen Kindern, die zu Zeiten von Corona nicht in die Kita konnten, allein gelassen fühlte. Außerdem habe ihn eine Rückforderung des Finanzamtes, die 70.000 Euro betragen sollte, zusätzlich belastet.

In seinem Frust habe er, der sonst sehr selten Alkohol konsumiere, wahllos hochprozentige Getränke in sich reingeschüttet, unter anderem „Kleiner Feigling“ und Mixgetränke. Dann setzte er sich ans Steuer, um nach Hause zu fahren. Auf der Kieler Straße scherte er nach einem Fahrbahnwechsel plötzlich nach rechts aus und erfasste die Fußgänger. Laut Anklage hatte Mehmet P. seinerzeit 1,54 Promille und war mit Tempo 81 unterwegs. Ein Unfall sei „vorhersehbar und vermeidbar“ gewesen, heißt es.

Muss die Berufung sein? So argumentiert der Staatsanwalt

Mehmet P.s Verteidiger appelliert an die Staatsanwaltschaft, die Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts zurückzunehmen. Die damalige Bewährungsstrafe sei eine „sachgerechte Entscheidung“ gewesen, insbesondere weil sowohl die Eltern der getöteten 26-Jährigen als auch der seinerzeit schwer verletzte Mann erklärt hätten, dass sie eine weitere Verhandlung nicht wünschten.

Der Oberstaatsanwalt argumentiert indes, dass laut der „höchstrichterlichen Rechtsprechung“ in diesem Fall keine besonderen Umstände vorlägen, die eine Bewährung rechtfertigten. Diese könne dann nicht gewährt werden, wenn ein Mensch durch einen schweren Verkehrsunfall zu Tode komme und weitere schwer verletzt würden.

Unfallverursacher fragte, „was mit seinem Auto ist“

Eine Polizistin, die damals als eine der Ersten am Unfallort war, erzählt von dem „Chaos“, das dort geherrscht habe. Der Fahrer des Mercedes sei „sichtlich unter dem Eindruck des Geschehens“ gewesen, habe Schocksymptome aufgewiesen. Eine andere Beamtin erinnert sich, dass Mehmet P. sie wiederholt gefragt habe, „was mit seinem Auto sei und ob das noch fahrbereit sei“.

Der damals bei dem Unfall schwer verletzte Stefan H. hatte ganz andere Sorgen. Die Frakturen seiner Beine waren so kompliziert, dass er zwölfmal operiert werden musste. Seinen Beruf als Krankenpfleger kann der heute 36-Jährige nicht mehr ausüben, ist mittlerweile in anderer Funktion in der Klinik tätig.

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„Der Unfall hat irreparable Spuren hinterlassen“, betont der Hamburger. Sieben Wochen wurde er in der Klinik behandelt und führt seit dem Unglück ein Leben mit mehreren Einschränkungen. Bergsteigen kann er nicht mehr, Radfahren geht nicht, der Gleichgewichtssinn ist extrem eingeschränkt. „Es ist jeden Tag präsent, dass ich nicht mehr so kann wie vor vier Jahren.“ Doch er sagt auch: „Ich kann das ganz gut händeln. Ich führe ein normales Leben.“

„Wir sind alle genug bestraft mit dem, was wir haben“

Ihm tue das, was er damals verursacht habe, „wahnsinnig leid“, lässt der Angeklagte über seinen Verteidiger betonen. Diese an Stefan H. gerichtete Entschuldigung akzeptiert der 36-Jährige. Er meine, dass der Unfallfahrer nicht ins Gefängnis solle, betont der Zeuge. „Ich glaube, wir sind alle genug bestraft mit dem, was wir hier haben“, sagt der Hamburger. Wenn der Angeklagte eine Haftstrafe im Gefängnis verbüßen müsse, würden auch dessen kleine Kinder leiden.

So sehen das auch die Eltern der bei dem Unfall getöteten 26-Jährigen. Ein Urteil, bei dem der Angeklagte hinter Gitter komme, sei „unangemessen“, hat das Hamburger Ehepaar mitgeteilt. Eine solche Strafe würde den „Kreis der Betroffenen erweitern“, argumentieren die Angehörigen des Opfers und verweisen darauf, dass Mehmet P. verheiratet ist und kleine Kinder hat. Der Angeklagte habe Reue gezeigt und ihnen gegenüber sein Bedauern ausgedrückt, sagt der Anwalt der Eheleute. „Die Nebenkläger haben ihm verziehen“. Der Prozess wird fortgesetzt.