Hamburg. Das Deutschlandticket löst viele Probleme, findet unser Autor. Warum es die beste Innovation der Ampel ist und unbedingt bleiben muss.
In der Sonnabend-Ausgabe des Abendblatts hat mein geschätzter Kollege Matthias Iken mit dem Deutschlandticket abgerechnet. Und keine Frage: Mit seinen geschilderten Erlebnissen im Metronom, die ihm sogar Mahnschreiben eines Inkasso-Dienstes einbrachten, trifft er ins Schwarze. Wer die zahllosen wütenden Proteste der Metronom-Kunden in den sozialen Netzwerken liest – von Verspätungen über Zugausfälle bis zu verdreckten Toiletten – wundert sich, warum die Hersteller von Taktgebegeräten nicht längst wegen Namensmissbrauchs gegen die Eisenbahngesellschaft mit Sitz in Uelzen klagen.
Aber deshalb gleich das Deutschlandticket in Bausch und Bogen verdammen? Mit Verlaub: Das wäre in etwa so, als würde ein Autofahrer alle Pkw abschaffen wollen, weil sein Neuwagen seit Wochen zickt.
Welche nervtötenden Probleme und Sorgen das Deutschlandticket beseitigt hat
Damit sind wir bei einem wunden Punkt meiner Argumentation. Ja, ich bin befangen. Ich habe vor 30 Jahren meinen Opel Vectra verkauft, weil ich es leid war, Lebenszeit am Steuer einer motorisierten Blechbüchse zu vergeuden, ständig bedroht von Rasern, die Straßen mit Formel-1-Strecken verwechseln. Seitdem fahre ich Rad oder mit den Öffis.
Auch ich habe mich in diesen drei Jahrzehnten über Verspätungen und Ausfälle geärgert. Viel mehr genervt hat mich indes der Tarifdschungel. An jedem Ort, an jedem Fahrkartenautomaten die gleiche Prozedur (so er denn überhaupt funktionierte). Gilt das Ticket auch für diese oder jene Zone? Lohnt eine Tageskarte? Drohen Nachtzuschläge? Darf ich zwischendurch einen Stopp einlegen? Welche Zeitgrenzen gelten? Fahren Kinder gratis? Wenn ja, bis zu welchem Alter? Oft fuhr die Sorge mit, dass ein Irrtum teuer werden könnte – inklusive der Peinlichkeit, als Schwarzfahrer enttarnt zu werden.
Deutschlandticket: Viel zitierte Behauptung, nur Großstädter würden darauf abfahren, ist falsch
Jetzt steige ich einfach in jeder deutschen Stadt in jede Regionalbahn, S-Bahn, U-Bahn oder Bus. Im September war ich mit der Familie am bayerischen Staffelsee (übrigens eine exzellente Empfehlung meines Kollegen). Leider war das Wetter ausgesprochen hanseatisch. Also sind wir mit Bus und Bahn in nahe gelegene Museen und Thermalbäder gefahren, dank Deutschlandticket völlig entspannt.
Ja, es stimmt, dass im ländlichen Raum nur wenige dieses Ticket nutzen. Nach einer Umfrage aus 2023 haben es in Orten bis 1000 Einwohner nur fünf Prozent abonniert. Die viel zitierte Behauptung, nur Großstädter würden auf dieses Ticket abfahren, ist aber falsch. Knapp die Hälfte der derzeit rund 13 Millionen Abonnenten lebt in Städten unter 100.000 Einwohnern, darunter viele Pendler, die dank Deutschlandticket oft mehr als 100 Euro im Monat sparen.
Argument fürs Deutschlandticket: Es fördert den regionalen Tourismus
Wie viele Autokilometer im Sinne eines niedrigeren CO2-Ausstoßes dank Deutschlandticket weniger gefahren werden, weiß niemand genau. Wobei am Ende das Klima doch bei jeder Autofahrt gewinnt, die dank Deutschlandticket entfällt.
Wobei in der Tat Studien zeigen, dass – wie Matthias Iken schreibt – viele Fahrten nur deshalb ausgelöst werden, weil man wie bei einer Flatrate-Party kurzentschlossen ans Meer oder die Berge fahren kann. Kostet uns Abonnenten ja nix. Aber ist das wirklich ein Problem? Die Gastronomie freut sich doch auf Gäste, die spontan mit der Regionalbahn an Nord- oder Ostsee fahren. Das Ticket fördert den regionalen Tourismus.
Deutschlandticket bringt System an den Anschlag – aber Metronom-Probleme scheinen hausgemacht
An dem Argument meines Kollegen, dass der durch das Deutschlandticket ausgelöste Boom ein ohnehin überlastetes System an den Anschlag bringt, ist viel Wahres dran. Andererseits steige ich nur selten in völlig überfüllte Busse, S-Bahnen oder Regionalzüge. Und zumindest im HVV stelle ich gravierende Mängel in Sachen Sauberkeit kaum fest. Beim Metronom scheinen mir die Probleme dann doch hausgemacht.
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Statt das Deutschlandticket abzuschaffen, muss mehr, viel mehr, in den Öffentlichen Nahverkehr investiert werden. Dass nun ausgerechnet der bayerische Ministerpräsident rumsödert, dass das Ticket nur bleiben könne, wenn der Bund es komplett finanziere, ist für mich ein Treppenwitz der Geschichte.
Warum Markus Söders Vorschlag zum Deutschlandticket „ein Treppenwitz der Geschichte“ ist
Söders Parteifreunde waren es doch, die als Verkehrsminister unter dem Druck der Auto-Lobby zugelassen haben, dass die Bahn zum Sanierungsfall wurde. Von 2009 bis 2021 führte die CSU das Verkehrsministerium, in Erinnerung bleibt vor allem das von Andreas Scheuer angerichtete Maut-Debakel.
Ich befürchte, dass die beschlossene Preiserhöhung ab 2025 von 49 auf 58 Euro das Ticket akut gefährden wird. Viel teurer darf es jedenfalls nicht werden, sonst werden viele Kunden wieder Einzelfahrkarten lösen. Das Aus wäre ein Jammer. Für die Nutzer des öffentlichen Nahverkehrs. Für das Klima. Und für den Tourismus. Gäbe es ein Deutschlandticket auf Lebenszeit zu einem akzeptablen Preis, ich würde es noch heute kaufen.