Hamburg. Hamburgs Lehrkräfte sind extrem belastet und schlagen Alarm. Oft arbeiten sie 50 Stunden pro Woche. Warum es nicht selten ein Teufelskreis ist.
- Hamburger Gymnasiallehrerin berichtet von kräftezehrender Situation in ihrem Job.
- Viele Lehrer in Hamburg arbeiten an der Belastungsgrenze, einige gehen auch darüber hinaus.
- Höchstarbeitszeiten werden oft überschritten, die Digitalisierung beschert weiteren Stress.
Manchmal gibt es diese Tage, da ist es einfach zu viel: das grelle Licht im Klassenzimmer, der permanente Lärm im Unterricht. Das Gedränge auf den Fluren, die Lautstärke in der Schule. Pausen voller Absprachen mit Schülern und Kollegen, permanent die Zeit im Nacken. Manchmal kann sie noch nicht mal auf Toilette gehen oder etwas trinken, bevor die nächste Stunde beginnt.
Meistens sendet ihr Körper die ersten Warnsignale, bevor sie selbst merkt, dass es gerade zu viel wird. Erst verspannt sich der Nacken, dann zieht der Schmerz in den Kopf. Gleichzeitig fühlt sie sich niedergeschlagen, total erschöpft. „Wenn ich an diesen Tagen nach Hause komme, möchte ich am liebsten entspannen und ausruhen – doch meistens ist dafür keine Zeit, weil ich den Unterricht vorbereiten, Arbeiten korrigieren und Dutzende von E-Mails beantworten muss“, sagt sie.
Sie weiß von Kollegen, die manchmal so erschöpft sind, dass sie im Lehrerzimmer zu weinen anfangen.
Schule Hamburg: Ohne Ende Stress – Lehrer in Hamburg weinen nach dem Unterricht
Carla Heinrich ist Lehrerin an einem Gymnasium in Hamburg. Sie heißt nur in diesem Artikel so, denn laut Hamburger Dienstanweisungen für Lehrerinnen und Lehrer ist sie zu einer Amtsverschwiegenheit verpflichtet. „Beamtinnen und Beamte sowie Tarifbeschäftigte müssen über die ihnen bei ihrer dienstlichen Tätigkeit bekannt gewordenen Angelegenheiten Verschwiegenheit bewahren“, heißt es offiziell.
Aus diesem Grund möchte, muss Carla Heinrich anonym bleiben. Nur dann kann sie so offen und ehrlich sprechen, wie sie es gern möchte. Eine Sache ist ihr ganz wichtig: Sie will nicht als Einzelfall wahrgenommen werden. Denn das, was sie zu erzählen hat, betrifft mehr Lehrer und Lehrerinnen, als man sich vorstellen könne. „Wir arbeiten am Limit. Der permanente Stress und die Überforderung führen dazu, dass immer mehr Kollegen gesundheitliche Probleme haben“, sagt sie.
„Wir arbeiten am Limit. Der permanente Stress und die Überforderung führen dazu, dass immer mehr Kollegen gesundheitliche Probleme haben“
Es gehe nicht um Studien oder Zahlen, sondern die Menschen, mit denen sie zusammenarbeitet. Kollegen, die einen Hörsturz erlitten und jetzt einen Tinnitus haben, die nachts mit den Zähnen knirschen oder so verspannt sind, dass sie täglich Rücken- oder Kopfschmerzen haben. „Wir befinden uns dauernd im Zwiespalt.
Auf der einen Seite möchten und müssen wir auf unsere Gesundheit achten und kürzertreten – auf der anderen Seite möchten wir hochwertigen Unterricht geben und unseren eigenen Ansprüchen als Lehrer gerecht werden. Doch beides steht im krassen Widerspruch zueinander und lässt sich nicht vereinbaren“, so die Gymnasiallehrerin.
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Studie: Höchstarbeitszeiten von durchschnittlich 48 Stunden pro Woche werden oft überschritten
Ihr war immer klar, dass sie ziemlich viel arbeitet. Wie viel, das wusste sie aber selbst nicht. Das ist ihr erst klar geworden, als sie sich an der groß angelegten Arbeitszeit- und Belastungsstudie beteiligt hat. Mehr als 1000 Hamburger Lehrkräfte aus Stadtteilschulen und Gymnasien haben dafür während des gesamten zweiten Halbjahrs des Schuljahres 2023/2024 jeden Tag exakt und detailliert ihre Arbeitszeit dokumentiert.
„Immer mehr Kinder haben Probleme wie Essstörungen, Depressionen oder Konzentrationsprobleme und brauchen daher mehr Hilfe und Aufmerksamkeit von den Lehrern. Doch dafür sind wir weder ausgebildet worden, noch haben wir dafür die Zeit.“
Erste Erkenntnisse der Studie seien laut Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Hamburg erschreckend. Das endgültige Ergebnis liegt im kommenden Jahr vor. „Die Höchstarbeitszeiten von durchschnittlich 48 Stunden im Siebentageszeitraum werden häufig überschritten, Ruhezeiten von elf Stunden im 24-Stunden-Zeitraum werden längst nicht immer eingehalten“, sagt Yvonne Heimbüchel, stellvertretende Vorsitzende der GEW, zur Situation an Hamburgs Schulen.
Lehrerarbeitszeit pro Woche liegt in Hamburg bei 46,75 Stunden – doch selbst das reicht oft nicht
Offiziell muss Carla Heinrich 46,75 Stunden pro Woche arbeiten – also mehr als die durchschnittlichen 40 Stunden der meisten anderen Arbeitnehmer. Der Grund: Da Lehrer ihren Job, dem Erteilen von Unterricht, in den Ferien nicht nachkommen können, hat die Stadt Hamburg im Zuge der Einführung des Lehrerarbeitszeitmodells die reguläre Arbeitszeit von Lehrkräften auf 46,57 Wochenstunden angehoben.
„In der Praxis hat sich aber gezeigt, dass die berechnete Arbeitszeit von 46,75 Stunden oft nicht ausreicht und viele Lehrer mehr arbeiten“, so das Fazit von Carla Heinrich. Auch sie kommt nach einer ersten Auswertung oft auf 50 oder sogar noch mehr Stunden. „Wenn ich meinen Unterricht gut vor- und nachbereiten möchte, reicht die dafür zur Verfügung stehende Zeit einfach nicht aus“, sagt die Lehrerin. Kollegen haben ihr geraten, Abstriche bei der Qualität ihres Unterrichts zu machen, um Zeit einzusparen. „Doch das kann ich einfach nicht, dafür habe ich selbst zu hohe Ansprüche an meinen Unterricht.“
Es ist ein Teufelskreis.
Extrem eng getaktet: Hamburgs Lehrer haben 15 Minuten Zeit für Vor- und Nachbereitung von Unterricht
Es gibt da diese Tabelle, wie viel Zeit zur Vor- und Nachbereitung von Unterricht Lehrern je nach Fach und Klassenstufe zur Verfügung steht. Bei ihr sind es etwa 15 Minuten, also 7,5 Minuten zur Vorbereitung und 7,5 Minuten zur Nachbereitung. Auch nach 20 Jahren und viel Routine als Lehrerin ist das „niemals zu schaffen“, so Carla Heinrich. Sie fragt sich manchmal, ob diejenigen, die solche Berechnungen erstellen, selbst jemals unterrichtet haben.
Ein weiteres Beispiel: Für die Korrektur von Hausaufgaben und anderen Schüleraufgaben hat sie etwa eine Minute. Pro Schüler, pro Woche.
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Sie weiß, dass die meisten Menschen immer noch denken, was für einen entspannten Job Lehrer haben. Sie kennt die Vorurteile, hört sie selbst immer wieder und antwortet immer dasselbe: „Warum sind Sie selbst dann nicht Lehrer geworden, wenn das so ein entspannter Job ist?“ Es ist keine Frage, mehr ein Statement.
„Wenn du nach den Ferien in die Schule kommst, wirst du von Lärm und Menschen fast erschlagen“
Sie liebt den Job, das sagt sie immer wieder. Wenn sie sich heute noch mal für einen Beruf entscheiden könnte, würde sie denselben Weg einschlagen. Aber sie erinnert sich auch noch genau daran, wie groß der „Schock“ war, als sie nach dem Studium in der Schule angefangen hat. „Die Masse an Arbeit und Anforderungen hat mich nahezu erschlagen“, erinnert sich die Gymnasiallehrerin aus Hamburg an die Anfänge Ende der 1990er-Jahre.
Manchmal geht ihr das heute noch so, vor allem nach den Sommerferien. „Wenn du dann das erste Mal in die Schule kommst, wirst du von dem Lärm und Menschenmassen fast erschlagen“, so die Pädagogin. Experten nennen das Crowding und meinen damit „das Gefühl einer Überforderung durch eine Einengung der Privatsphäre, vor allem durch räumliche Beengtheit“. Sie selbst vergleicht es manchmal mit dem Schleudergang in der Waschmaschine.
Schüler klagen vermehrt über Essstörungen oder Depressionen: Lehrern fehlt Zeit und Ausbildung für Hilfe
Sie will nicht sagen, dass früher alles besser war, auf keinen Fall. Trotzdem kommt es ihr so vor, als ob es in den vergangenen Jahren eine große Arbeitsverdichtung gegeben habe. Die Gründe dafür sind vielfältig. Einer davon: „Immer mehr Kinder haben Probleme wie Essstörungen, Depressionen oder Konzentrationsprobleme und brauchen daher mehr Hilfe und Aufmerksamkeit von den Lehrern. Doch dafür sind wir weder ausgebildet worden, noch haben wir dafür die Zeit“, sagt Carla Heinrich und berichtet, dass auch andere Kollegen diese Beobachtung machen.
„Die Einführung von G8, also des Abis nach acht Jahren, hat zu einer unglaublichen Verdichtung des Unterrichtsstoffs in der Mittelstufe geführt und setzt viele Jugendliche stark unter Druck – was wiederum zu Versagensängsten und psychischen Problemen führt“, so das Fazit der Pädagogin. „Es bricht mir das Herz, dass wir die Sorgen der Kinder und Jugendlichen sehen und ihnen helfen möchten, selbst aber nicht über die nötige Kompetenz verfügen und niemanden haben, den wir um Hilfe in diesen Fällen bitten können.“
Unterrichten wie am Fließband: Einige Lehrer haben mehrere Hundert Schüler pro Woche
Sie will jeden Schüler sehen und individuell auf ihn eingehen, muss sich aber inzwischen eingestehen, dass das kaum möglich ist bei durchschnittlich 28 Schülern und Schülerinnen pro Klasse und mehreren Klassen pro Woche. „Es gibt Kollegen, die unterrichten pro Woche ein paar Hundert Schüler“, sagt sie und nennt das „Unterrichten am Fließband“.
Kein Wunder, dass der Frust oft groß sei. Aufseiten der Lehrer und der Schüler.
Theoretisch stehen ihr für Eltern- und Schülergespräche etwa 18 Minuten pro Woche zur Verfügung. Wie viel es in der Praxis ist, lässt sich kaum erfassen. Das Doppelte, vielleicht sogar das Drei- oder Vierfache. Denn durch die Digitalisierung hat sich die Kommunikation vervielfacht. „Früher mussten Eltern zum Telefonhörer greifen und einen Lehrer anrufen. Da war die Hürde viel größer als heute, wo Eltern und Schüler einfach E-Mails schreiben können“, so die Vermutung von Carla Heinrich.
Manchmal werde sie regelrecht mit Nachrichten bombardiert.
Leistungsdruck von Schülern landet bei Lehrern: Sie bekommen Dutzende von Nachrichten
„Vor allem vor und nach Klassenarbeiten sowie Zeugnissen bekommen wir als Lehrer Dutzende von Nachrichten. Die Schüler wollen wissen, welche Themen in der Arbeit genau drankommen, ob sie an ihrer Zensur noch was ändern können oder welche Möglichkeiten es gibt, sich zu verbessern“, sagt die Pädagogin, die seit Jahren beobachtet, unter welchem großen Leistungsdruck die Schüler stehen.
„Wir hören immer wieder, dass die Jugendlichen Angst haben, dass ihre Leistungen nicht reichen“, sagt Carla Heinrich. Sie probiert, ihren Schülern Mut zu machen und den Stress zu nehmen. Oft vergebens. Sie kann nur vermuten, woran das liegt. „Vielleicht haben viele junge Menschen Angst, dass mangelnde Leistung auch zu einem sozialen Abstieg aus der Mittelschicht führt.“ Es ist mehr eine Vermutung, mehr eine Frage als eine Antwort.
Sie beobachtet bei ihren Schülern, dass der Perfektionismus zunimmt. Die Ansprüche an sich selbst sind oft zu hoch.
Schulen und Lehrer von Entwicklung überrollt: „Schulen haben die Digitalisierung total verpennt“
Eine der größten Herausforderungen für Lehrer ist die Digitalisierung. „Die Schulen haben die Digitalisierung total verpennt. Jetzt überrollt uns die Entwicklung komplett, und wir kommen kaum hinterher“, sagt die Lehrerin. Ständig gebe es neue Programme und Apps, mit denen man arbeiten solle. „Das würden wir auch gerne tun, gleichzeitig fehlt aber die Zeit, sich da einzuarbeiten. Und wenn man ein Programm beherrscht, kommt schon wieder das nächste.“
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Ein großes Problem: Nach dem Bruch der Ampel-Koalition droht eines der wichtigsten Innovationsprojekte im Bildungsbereich auf der Strecke zu bleiben: die flächendeckende Digitalisierung des Unterrichts in den Schulen. Viel Geld ist nicht mehr vorhanden, dabei wäre es dringend erforderlich, den Digitalisierungsschub nicht abebben zu lassen. Nach Angaben der Schulbehörde sind im Rahmen des ersten Digitalpakts bislang 114 Millionen Euro an Bundesmitteln für die digitale Modernisierung der Schulen in Hamburg abgerufen worden.
Digitaler Stress macht Lehrer krank, sagt die GEW
Die meisten Lehrer empfinden die Digitalisierung unter den derzeitigen Rahmenbedingungen nicht als Entlastung, sondern als Last. Auch das ist bei der Arbeitszeit- und Belastungsstudie herausgekommen. Am stärksten ausgeprägt ist der digitale Stress unter Hamburger Lehrkräften aufgrund der Dauerpräsenz digitaler Medien. Insgesamt stimmen 80 Prozent der befragten Lehrer der Aussage zu: „Durch die digitalen Medien und Techniken bin ich auch während der freien Zeit ständig in Kontakt mit meiner Arbeit.“
Für die GEW Hamburg ist das Ergebnis besorgniserregend: „Die Gesundheit von Lehrkräften mit hohem digitalen Stress ist einem deutlich höheren Gesundheitsrisiko ausgesetzt. Daher muss es eine zentrale Maßnahme des Arbeits- und Gesundheitsschutzes sein, Ursachen des digitalen Stresses in der Schule zu identifizieren und ihnen systematisch zu begegnen“, so Yvonne Heimbüchel von der GEW.
Lehrer am Limit: Umfrage zeigt alarmierende Entwicklung
Eine repräsentative Forsa-Umfrage des Verbands Bildung und Erziehung (VBE) zeigt bereits eine alarmierende Entwicklung in deutschen Schulen: 60 Prozent der Schulleitungen sehen einen Anstieg langfristiger, krankheitsbedingter Ausfälle. Dies gilt sowohl für physische als auch psychische Erkrankungen.
Für Carla Heinrich und viele ihrer Kollegen und Kolleginnen steht fest, dass die Arbeitsbedingungen schnellstens verbessert werden müssen. Alles andere sei eine Verletzung der Fürsorgepflicht des Dienstherrn den Lehrern gegenüber. „Vor allem angesichts des massiven Fachkräftemangels muss alles dafür getan werden, damit Lehrer lange gesund bleiben und den Job ausüben können.“
Doch davon sei man im Moment weit entfernt.