Hamburg. Studie zeigt: Lehrer überschreiten nicht nur die Höchstarbeitszeit. Auch Ruhezeiten werden nicht eingehalten. Es gibt eine Hamburger Besonderheit.
- Für die Studie haben mehr als 1000 Lehrkräfte ihre Arbeitszeit dokumentiert.
- Lehrer-Arbeitszeitmodell an Hamburgs Schulen: „Prinzip basiert auf Selbstausbeutung“
- Stress durch Digitalisierung: Für Lehrer keine Entlastung, sondern eine Belastung
Größere Lerngruppen, Sprachprobleme, Aggressivität, mehr Bürokratie und die Digitalisierung: Die Anforderungen an Lehrer und Lehrerinnen in den Schulen in Hamburg steigen seit Jahren und führen zu mehr Stress und einer höheren Arbeitsbelastung der Lehrkräfte. Jetzt liegen erstmals Zahlen vor, die die Arbeitszeitüberschreitung bestätigen.
„Die Höchstarbeitszeiten von durchschnittlich 48 Stunden im Siebentageszeitraum werden häufig überschritten, Ruhezeiten von elf Stunden im 24-Stunden-Zeitraum werden längst nicht immer eingehalten“, sagt Yvonne Heimbüchel, stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Hamburg zur Situation an Hamburgs Schulen.
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Das ist ein Zwischenfazit einer groß angelegten Arbeitszeit- und Belastungsstudie, die derzeit in Hamburg läuft. Mehr als 1000 Hamburger Lehrkräfte aus Stadtteilschulen und Gymnasien haben dafür während des gesamten zweiten Halbjahrs des Schuljahres 2023/2024 jeden Tag exakt und detailliert ihre Arbeitszeit dokumentiert.
Schule Hamburg: So viel arbeiten Lehrer und Lehrerinnen – Studie erfasst Arbeitszeit
Mehr als 700.000 Zeiteinträge sind bereits in die Studie eingeflossen, die von der Kooperationsstelle der Universität Göttingen betreut und ausgewertet wird. In 86 Prozent der Schulen in Hamburg wird die Arbeitszeit gezählt, das sind 114 von 132 Gymnasien und Stadtteilschulen.
Auch wenn die Ergebnisse erst 2025 vorliegen, für die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft in Hamburg steht fest, dass das jetzige Lehrerarbeitszeitmodell reformiert werden muss. „Die aktuell geltende Lehrerarbeitszeitverordnung ist nicht hinreichend an die Gegebenheiten und Herausforderungen des Schulbetriebs angepasst“, so das Fazit.
Lehrer-Arbeitszeitmodell an Hamburgs Schulen: „Prinzip basiert auf Selbstausbeutung“
Hintergrund der Studie ist eine Hamburger Besonderheit: Im Jahr 2003 hatte der damalige Senator Rudolf Lange (FDP), im Senat von Ole von Beust (CDU) für Schule zuständig, ein bundesweit einmaliges Lehrerarbeitszeitmodell eingeführt – unter heftigen Protesten der Gewerkschaften. Es erfasst alle Aufgaben eines Lehrers, neben dem Unterricht also auch die Vor- und Nachbereitung, Klassenlehreraufgaben und Korrekturen, Konferenzen, Fortbildungen, Vertretungsstunden oder Fachleitungsaufgaben, und soll die Arbeit gerechter verteilen.
Zu diesem Zweck wurden die einzelnen Fächer und die Schulstufen mit Faktoren versehen, die den Deutschunterricht in der Oberstufe beispielsweise höher bewerten als Sport in der Grundschule.
Die Kritik der GEW, heute wie damals: „Das Prinzip basiert auf Selbstausbeutung. Es plant nur die Zeiten, erfasst sie aber nicht, wie es jetzt durch europäisches Recht vorgesehen ist. Letztendlich kann es dazu führen, dass Lehrer und Lehrerinnen krank werden“, so Heimbüchel.
Hamburger Lehrerin spricht über Arbeitsbelastung: „Da wird man verrückt“
„Ich habe mein ganzes Lehrerleben lang für die Senkung von Arbeitszeit gekämpft und immer wieder das Thema angestoßen“, sagt eine teilnehmende Lehrerin. Sie erwarte von der Studie, dass daraus abgeleitet werden kann, wie hoch die Arbeitsbelastung sei.
„Als ich von der Gesamtschule zum Gymnasium gewechselt bin, da, hatte ich dann so viele Lerngruppen, wie ich sie noch nie an der Gesamtschule hatte. Das finde ich unglaublich belastend. Das ist wie Fließbandarbeit, da hat man alle zwei Stunden, sogar manchmal nur stundenweise immer eine neue Klasse, da wird man verrückt. Das finde ich hochgradig belastend.“
Stress durch Digitalisierung: Für Lehrer keine Entlastung, sondern eine Belastung
Für die Studie wurden nicht nur das Verhältnis von SOLL-Arbeitszeit zur IST-Arbeitszeit an Hamburgs Schulen erfasst, sondern auch die Einflussfaktoren, die zur Belastung der Lehrkräfte führen. Vor allem die Digitalisierung wird unter den derzeitigen Rahmenbedingungen von den meisten Lehrern und Lehrerinnen nicht als Entlastung empfunden, sondern als Last.
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Am stärksten ausgeprägt ist der digitale Stress unter Hamburger Lehrkräften aufgrund der Dauerpräsenz digitaler Medien. Insgesamt stimmen 80 Prozent der befragten Lehrer der Aussage zu: „Durch die digitalen Medien und Techniken bin ich auch während der freien Zeit ständig in Kontakt mit meiner Arbeit.“
Am zweitstärksten ausgeprägt ist die Belastung durch die mit der Nutzung digitaler Medien verbundenen Komplexität: 63 Prozent Zustimmung erhält die Aussage, „Ich finde nicht genug Zeit, um meinen Umgang mit digitalen Medien und Techniken zu verbessern und mehr darüber zu lernen“. Die hohe Zustimmung verweise laut GEW auf den allgemein hohen Zeitdruck, dem Lehrkräfte ausgesetzt seien und dem das Lehrerarbeitszeitmodell nicht gerecht werde.
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Macht Schule die Lehrer krank?
„Die Gesundheit von Lehrkräften mit hohem digitalen Stress ist einem deutlich höheren Gesundheitsrisiko ausgesetzt. Daher muss es eine zentrale Maßnahme des Arbeits- und Gesundheitsschutzes sein, Ursachen des digitalen Stresses in der Schule zu identifizieren und ihnen systematisch zu begegnen“, so Heimbüchel.
Angesicht des zunehmenden Zeitdrucks sei es laut GEW nicht verwunderlich, dass so viele Lehrer freiwillig in Teilzeitarbeit arbeiten. Hamburg hat die bundesweit höchste Teilzeitquote unter Lehrerinnen und Lehrern. So ging im Schuljahr 2022/23 mehr als die Hälfte (54,4 Prozent) aller Lehrkräfte an den allgemeinbildenden Schulen einer Teilzeitbeschäftigung nach.