Hamburg. Mit viel Vorschusslorbeeren gestartet, hat sich das Dreierbündnis längst ins Aus regiert. Ein Nachruf auf eine gute Idee

Wie sich die Zeiten ändern. Als die Ampel nach der Bundestagswahl 2021 an den Start ging, spürten die drei ungleichen Partner einen warmen Rückenwind aus Medien, Politik und Gesellschaft. Der gute Hermann Hesse wurde mit seinem Gedicht „Stufen“ („Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“) allüberall zitiert, ein Aufbruch lag in der Luft. „Mehr Fortschritt wagen!“

Dem Kolumnisten dieser Zeilen ging es da nicht anders. So kann man sich irren: „Manches spricht sogar dafür, dass die erste Bundesampel zum Erfolgsmodell wird. Die Große Koalition ist nach zwölf gemeinsamen Regierungsjahren seit 2005 endlich ein Fall für die Geschichtsbücher – und da sollte sie auch besser bleiben. Ein Ausnahmemodell taugt nicht als Dauerlösung“, schrieb ich wenige Tage nach der Wahl und feierte das Ende einer „bleiernen Zeit“.

Die Ampel kann nicht mehr alles auf Merkels Versäumnisse schieben

Zumindest die Einschätzung der letzten Merkel-Jahre sind inzwischen Konsens in Deutschland. Daran dürfte auch die mit Spannung erwarteten Merkel-Memoiren „Freiheit“ nichts mehr ändern. Es soll Leute geben, die statt dieses 736 Seiten schweren Opus magnum ein Entschuldigungsschreiben für angebrachter halten.

Es gehört zur Wahrheit dazu: Die Ampel bekam das Land in denkbar schlechtem Zustand – eine unterfinanzierte Infrastruktur, eine verschleppte Digitalisierung, eine unkoordinierte Klimaschutzpolitik, eine vernachlässigte Bundeswehr und eine weltfremde Mi­grationspolitik. Allerdings haben zwei der drei Ampelparteien diesen Zustand herbeiregiert: die FDP in der schwarz-gelben Koalition mit Atomausstieg und dem Aussetzen der Wehrpflicht, die Große Koalition von 2013 bis 2021 mit einem Aufblähen des Sozialstaates und mit einer Flüchtlingspolitik, die das Land bis heute zu zerreißen droht.

Gescheitert sind die drei Ampelparteien an sich selbst

Doch drei Jahre nach dem Regierungswechsel gehen der Ampel nun langsam die Entschuldigungen aus. Die Versäumnisse der Vergangenheit dürfen nicht das Versagen in der Gegenwart kaschieren. Wer durch das Abitur rasselt, sollte auch nicht seinen Mittelstufenlehrer verantwortlich machen. Irgendwann muss und darf man erwarten, dass eine Regierung Verantwortung übernimmt. Gescheitert sind so alle drei Parteien – einerseits an den äußeren Umständen wie dem Überfall Putins auf die Ukraine, andererseits an sich selbst.

Anders als frühere Kabinette etwa unter Gerhard Schröder spielte kaum eine Rolle, wer welches Thema und Ressort am besten ausfüllt, sondern wer nach Machtproporz und Geschlecht am besten passte: Hätte Olaf Scholz etwa Boris Pistorius zum Innenminister gemacht, wäre die Sicherheits- und Migrationspolitik gleich in guten Händen gelandet, ein Cem Özdemir wäre wohl der bessere Außenminister geworden, und die FDP hätte sich besser auf ihre Kernkompetenz Wirtschaft konzentriert, als das Ressort an Robert Habeck abzugeben. Die drei Parteien sind nicht mit ihrem besten Team angetreten – und haben so viele Punkte liegen gelassen.

Auf die Rezession reagiert die Ampel mit monatelanger Verspätung

Vor allem aber haben sie die inhaltlichen Differenzen nie als Chance, sondern stets als Behinderung gesehen. Der Bündnispartner war nach dem Anfangszauber bald Gegner. Wie auf einem Schulhof lästerten, stritten und prügelten sich die drei Parteien oft nach dem Muster zwei gegen einen, erst hinter verschlossenen Türen, dann in Interviews, schließlich auf offener Bühne. Und längst macht jeder nur noch das, was angeblich die Ausgangsposition für die kommende Bundestagswahl verbessert.

Über Monate hat es die Regierung nicht vermocht, die zentrale Herausforderung zu erkennen und anzugehen: Die wirtschaftliche Schwäche ist längst das Grundproblem des Landes – es verdirbt die Stimmung, verheert die Staatsfinanzen und verängstigt immer mehr Menschen. Noch vor zwei Jahren landete das Buch „Das Ende des Kapitalismus“ ganz oben auf den Bestsellerlisten: Bis weit in die grüne Partei wurde das Hohelied des Nullwachstums angestimmt. Das haben wir jetzt mit dem Ergebnis, dass allüberall das Geld fehlt und die Spannungen in der Gesellschaft zunehmen.

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Das peinliche Theater um die Wirtschaftsgipfel und das durchgestochene Lindner-Papier erinnern an den bösen Satz von Gerhard Schröder: „Die können es nicht.“ Statt Hermann Hesse setzt sich auch bei Wohlmeinenden die alte Weisheit durch: lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Macht den Weg für Neuwahlen frei. Zumindest das wäre eine kluge und mutige Entscheidung.