Hamburg. Die Themen der Menschen auf dem Land entfernen sich immer mehr von den Debatten im politischen Berlin. Ein Kommentar.
Manchmal glaube ich, dass das Leben früher bunter war. Heute sind wir zwar alle für Diversität – nur nicht in unserem privaten Umfeld. Da soll am besten gleich gedacht und gleich gelacht werden; wir sehen dieselben Serien, besuchen dieselben Konzerte, bewohnen dieselben Stadtteile und lesen die gleichen Bücher.
Wann haben wir das letzte Mal mit einem Menschen ein Bier getrunken, der die Welt anders sieht? Ja, dessen Welt ganz anders aussieht?
Stadt und Land in Deutschland entfremden sich
Es ist immer gut, seine Blase zu verlassen. Die Schriftstellerin Juli Zeh ist sogar dorthin gezogen, wo das Leben anders tickt und der großstädtische Besserwisser nur Trübsal, Alkohol, Langeweile und Neonazis vermutet – in die brandenburgische Provinz. Aus der liefert sie eine intellektuelle Gemüsekiste in die städtischen Altbauwohnungen. Hin und wieder ein Roman von ihr ist den meisten aber auch genug.
Dabei streitet sie seit Langem über die Trennlinien im Land. „Ich mag den Begriff ‚abgehängt‘ nicht, aber wenn du in einer Gegend wohnst, wo keine Infrastruktur mehr vorhanden ist – kein Arzt, keine Schule, kein Geschäft –, wo das staatliche Handeln einfach nicht mehr sichtbar ist, haben die Leute schon das Gefühl, dass die Politik an ihrem Leben und ihren Bedürfnissen total vorbeigeht“, verriet sie einmal in einem Interview. „Und dann kommen die Grünen mit Forderungen zu Elektrotretrollern oder Pappkaffeebechern – das kommt einem hier draußen total absurd vor. Denn hier fehlt es eigentlich an allem. Das ist kein ostdeutsches, sondern ein ländliches Problem.“
Auf dem Land sieht man viele Themen anders als in der Stadt
In den hippen Zentren der Metropolen bewegen wir uns mit Lastenrädern, gendern, essen vegan. Doch im Rest des Landes hat man andere Probleme. Die Einführung des Deutschlandtickets hat wieder gezeigt, wer das Sagen und die Diskurshoheit hat – es sind nicht die Landbewohner, sondern die urbanen Eliten. Während diese lautstark die günstige Monatskarte eingefordert haben, manche sich dafür gar auf die Straßen geklebt haben, zucken viele Provinzler nur mit dem Schultern.
Nun kommen die Deutschen in den Genuss des günstigen Fahrscheins – aber ganz ehrlich, sind das alle Deutschen? Wer im Emsland, der Eifel oder der Uckermark wohnt, für den lohnt sich das Ticket nicht, wenn einmal am Tag ein leerer Bus irgendwo im Nirgendwo hält.
Aber jeder Steuerzahler darf es mitbezahlen, denn die Mindereinnahmen der Verkehrsbetriebe in den Metropolen muss jemand ausgleichen. Und der wohnt am Ende eben nicht nur am Prenzlauer Berg, sondern auch in Posemuckel, nicht nur in der Schanze, sondern auch in Schmachthagen.
Das Deutschlandticket als Symbol
Das Ticket ist nur ein Symbol für die Macht der städtischen Eliten: Während Hamburg – übrigens zu Recht – die 15-Minuten-Stadt diskutiert, in der alles fußläufig erreichbar ist, gibt es Regionen im Land, wo man nicht einmal mehr einen Briefkasten oder einen Laden in einer Viertelstunde erreicht. Die viel beschworene Digitalisierung, die alte Probleme vom Behördengang bis zum Arztbesuch beheben soll, verliert ihren Zauber im Tal der Ahnungslosen, wo kein Breitband hinführt und die Netzabdeckung der Telefonanbieter löchrig ist.
Auf den Dörfern sieht man da auch die nötige Verkehrsberuhigung in den Metropolen kritisch – wer abseits wohnt, kommt mitunter kaum noch in die Stadt oder findet keinen Parkplatz. Wie man wohl in der Provinz auf die Idee von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach reagiert, weitere Kliniken zu schließen?
Auch die Umweltpolitik hat zwei Gesichter – die Stadt trommelt für die Energiewende, stellt dann aber den allergrößten Teil der Windanlagen in den Gemeinden jwd ab. Die Wärmewende mit dem teuren Heizungstausch schreckt die Mieter in den Metropolen wesentlich weniger als Häuslebauer auf dem Land, wo der letzte Spargroschen ins Eigenheim geflossen ist.
Beißende Kritik an den Großstädtern
Wer sich in den Dörfern umhört, hört beißende Kritik: Die urbanen Eliten streiten gern für offene Grenzen, schicken die Flüchtlinge dann aber lieber ins Umland, wo mehr Platz ist. Jede Minderheit haben diese urbanen Schichten tief in ihr Herz geschlossen – nur den Provinzler verachten sie.
Sogar die Natur sehen sie anders. Die Städter erfreuen sich des Wolfes und verstehen nicht, dass das Tier im TV hübscher anzusehen ist als im eigenen Garten. Ein Jäger aus Kurpfalz aber hört ungern auf Menschen, die eine Buche nicht von der Birke unterscheiden können.
Dass das Land geteilt ist, weiß man spätestens seit der Bundestagswahl 2021: Da färbten sich die Wahlkreise in der Provinz tiefschwarz, der Osten kippte in Sachsen und Thüringen zur AfD, und die Herzen der Stadt ergrünten.
Wie die Bevölkerungsdichte das Wahlergebnis prägt
Das Johann Heinrich von Thünen-Institut, ein Bundesforschungsinstitut für ländliche Räume, hat die Wahlergebnisse untersucht und konstatiert: „Ein ausgeprägter Zusammenhang zwischen dem Grad der Ländlichkeit auf Gemeindeebene und dem Stimmenanteil zeigt sich bei Bündnis 90/Die Grünen (verallgemeinert: je ländlicher, desto geringer der Stimmenanteil) und bei der AfD für die ostdeutschen Gemeinden (verallgemeinert: je ländlicher, desto höher der Stimmenanteil).“
CDU/CSU, die AfD und die „sonstigen Parteien“ weisen demnach deutlich höhere durchschnittliche Stimmenanteile in eher und sehr ländlichen Räumen auf.
Seltsamerweise kommen aber die Sorgen und Nöte der Landbewohner kaum in der gesellschaftlichen Debatte vor – kein Landkind käme auf die Idee, sich auf eine Straße zu kleben, es wäre schon froh über einen Bus, der in die Metropole fährt. Aber wem gehören die Schlagzeilen? Sie werden produziert von einer urbanen Elite in Schwabing, Ottensen und Berlin-Mitte mit ihrer Sichtweise, die oft schon am Stadtrand endet. Oder ist es der Tellerrand?
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Ohne es zu wollen, spaltet das das Land weiter. Das Leben, Denken, aber auch die Probleme und das Problembewusstsein entfernen sich immer weiter voneinander. Juli Zeh sagt dazu: „Diese Diskrepanz zwischen Stadt und Land gefährdet unseren gesellschaftlichen Frieden – und zwar für uns alle. Denn wenn es kracht, dann richtig!“
Die linken Parteien könnten die nächste Wahl in der Provinz verlieren. Denn mehr als die Hälfte der Menschen in Deutschland wohnt in ländlichen Regionen, in kleineren Städten oder Gemeinden. Die CDU diskutiert seit 20 Jahren ihr Großstadtproblem – Grüne und Sozialdemokraten fangen gerade erst an, ihr Provinzproblem zu erkennen.