Hamburg. Angeklagte markierten Eichen, um sie zu retten. Prozess offenbart, warum der Neubau der Sternbrücke ein politisches Trauerspiel ist.
Der erbittert geführte Streit um einen Neubau der historischen Sternbrücke der Deutschen Bahn hat einen kuriosen Zwischenhalt am Amtsgericht Hamburg-Altona eingelegt. Bei einem Zivilgericht hätte man zum Schluss den Kalauer gebracht, es endete „vergleichsweise“ amüsant.
Nach der pointenreichen Verhandlung des Strafgerichts am Dienstag kann man feststellen: Das Verfahren gegen zwei Männer, die aus Protest gegen die Abholzung von Bäumen an der Max-Brauer-Allee 14 von ihnen mit Kreuzen bemalt hatten, ist gegen Geldauflagen (je 300 Euro) eingestellt worden.
Dennoch ist im Saal 201 vor 30 Zuschauern, vornehmlich von der Initiative Sternbrücke, ein Urteil gefallen. Der Plan für den Neubau dieser im Wortsinne bahnbrechend wichtigen Brücke für den deutschen Schienenverkehr ist ein Hamburger Trauerspiel mit komischen Elementen. Es wurde zwischengerufen im Gerichtssaal, gelacht und geklatscht.
Neubau der Sternbrücke in Hamburg: Darum ging‘s vor Gericht
Ausnahmslos alle Verfahrensbeteiligte – Vorsitzende Richterin, Staatsanwalt, die Verteidiger und die Angeklagten – hatten sich nach eigenen Angaben vor der Verhandlung noch einmal ein paar Hundert Meter vom altehrwürdigen Gerichtsgebäude entfernt vergewissert, wie jetzt die Situation rund um die Sternbrücke ist. Und ob man den 14 der demnächst fallenden 40 Stieleichen (Lateinisch: Quercus robur) noch ansieht, dass sie im Januar 2023 mit Kreuzen der Farbe „Quietschorange“ (Richterin) besprüht wurden.
Die Angeklagten hatten Strafbefehle über 900 Euro (Sachbeschädigung) erhalten und wollten das nicht akzeptieren. Schließlich, so sehen es die Bahn-Pläne vor, sollen diese Bäume ja ohnehin abgeholzt werden. Und zwar aus nur einem Grund: Die neue, 108 Meter lange Stabbogenbrücke wird an der Max-Brauer-Allee Richtung Schanze zusammengebaut und von dort zur Kreuzung mit der Stresemannstraße transportiert und eingehoben. Woanders kann sie nicht zusammengesetzt werden. Ein Bau vor Ort fällt weg, weil es die wichtige Kreuzung monatelang blockieren würde. Die Bahn verspricht Ersatzpflanzungen für die Bäume, die diesem Transport im Wege stehen.
Prozess in Hamburg: Angeklagte besprühten Bäume, um sie zu retten
War nun die Verschönerungsfunktion, die Bäume haben, dauerhaft und erheblich durch die aufgesprühte Farbe beeinträchtigt? Oder wächst sich das raus? War es Bau-Markierfarbe oder tatsächlich Baum-Markierfarbe? Ein Buchstabe konnte bei diesen Baum-Graffiti offenbar über Freispruch oder Verurteilung entscheiden. Einer der Angeklagten sagte: „Ich möchte klarstellen, dass wir die Bäume retten wollen. Wir wollten, dass sichtbar wird, was hier geplant ist.“
Die Stieleichen (Baum des Jahres 1989) sind laut Hamburger Baumkataster in diesem Bereich etwa 45 Jahre alt. Einer der Verteidiger bemühte zur Frage, ob nun der einzelne Baum oder ein Wald zur öffentlichen Verschönerung beitrage, ein Urteil des Reichsgerichtes von 1881.
Der Richterin war klar, wie politisch und städtebaulich umstritten das Projekt Sternbrücke ist. Sie sagte: „Ich kann hier nicht das Planfeststellungsverfahren zur Sternbrücke bewerten.“ Wo sonst Hühner- und Taschendiebe ihre Strafen erhalten (wenn sie es denn waren), war plötzlich der Hamburger Bürgerschaftswahlkampf eingezogen. Gut möglich, dass das Oberverwaltungsgericht über die Klage gegen den Neubau noch vor der Wahl am 2. März urteilt.
Sternbrücke der Deutschen Bahn: Gibt es eine Alternative?
Beobachter räumen der Initiative keine großen Chancen ein, dass die Pläne neu aufgerollt werden. Doch sie hat mithilfe von Bauingenieuren und Architekten sowie symbolischer Unterstützung von Fatih Akin (Regisseur) bis Jörn Walter (Ex-Oberbaudirektor) einen Alternativplan für eine Brücke vorgelegt, die sich mit weniger Wucht in den Stadtteil integriert. Die Bahn, das muss man festhalten, baut das, wozu man sie beauftragt. Was politisch gewollt ist, zeigt sich in dem Konstrukt, das auf den jetzigen Plänen zu sehen ist.
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Hamburger Staatsanwalt: „Ich bin weisungsgebundener Beamter ...“
Nun hätte der sehr konziliante Staatsanwalt auch zustimmen können, dass das ganze Baum-Bemal-Verfahren nach Paragraf 153 der Strafprozessordnung eingestellt wird. Doch er beharrte auf 153a – das ist die Einstellung gegen Geldauflage, die in den Natur- und Umweltschutz fließen soll. In großer Offenheit sagte er: „Ich bin weisungsgebundener Beamter. Ich kann nur 153a vorschlagen.“ Das war am Ende der Deal.
Doch noch nicht das Ende der Pointen. Einer der Angeklagten hatte vor Gericht Bilder aus dem von ihm produzierten Fotoband gezeigt, um die Lage der Bäume und das Umfeld der Sternbrücke zu illustrieren. Das Buch ist für einen Preis nominiert, in dessen Verleihung Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank eingebunden ist. Möglicherweise hat Hamburgs Top-Grüne nun ein neues Thema mit Verkehrssenator Anjes Tjarks.