Hamburg. Ingenieure und früherer Oberbaudirektor sehen Anjes Tjarks verantwortlich für „Monsterbrücke“. Der Fall kommt bald ins Kino.
Je näher der Abriss der historischen Sternbrücke in Altona und der Neubau über der Kreuzung Stresemannstraße und Max-Brauer-Allee rückt, desto lauter werden die Stimmen von Experten gegen das Projekt von Senat und Deutscher Bahn. Die Fachleute kommen aus dem Brückenbau, dem Verkehrswesen und der Stadtentwicklung und unterstützen mit ihren Argumenten die Initiative Sternbrücke, die bereits eine Klage gegen die für dieses Jahr erwartete Planfeststellung vorbereitet.
Auch der frühere Hamburger Oberbaudirektor Jörn Walter (66) sagte dem Abendblatt, was Stadt und Bahn da vorhätten, sei im Hinblick auf Stadtplanung und Denkmalschutz ein „recht zerstörerisches Bauwerk“. Die von 1926 stammende Sternbrücke ist marode und soll bis zum Jahr 2027 (geplant) durch eine 108 Meter lange und bis zu 26 Meter hohe Stabbogenbrücke ersetzt werden. „Ich finde diese Brücke unmöglich“, sagte Walter mit Blick auf die Simulationen des Neubaus.
Sternbrücke: Aufregung um das „Aufweitungsverlangen“ der Verkehrsbehörde
Experten, die den Neubau-Gegnern nahestehen, kritisieren, dass es weder eine „echte“ Bürgerbeteiligung noch einen Architekten-Wettbewerb um die Sternbrücke gegeben habe. In einem fantastischen Vortrag voller technischer Details und offizieller Dokumente schob Ulrich Meyer (geschäftsführender Gesellschafter von WP Ingenieure) den Schwarzen Peter jetzt eindeutig Richtung Verkehrsbehörde und Senator Anjes Tjarks (Grüne). Nur weil der Mobilitätswendesenator sein „Aufweitungsverlangen“ für den Verkehr unter der künftigen Brücke durchsetzen wolle, habe die Bahn überhaupt so geplant, wie sie geplant habe. Ex-Oberbaudirektor Walter bestätigte diese Argumentation.
Was heißt das? Momentan stehen Stützen unter der Sternbrücke. Sie tragen das Hamburger Kulturdenkmal und verengen den ohnehin engen Raum für Gehwege, Fahrradfahrer und Autos. Theoretisch, so Bauexperte Meyer, könne man auch bei einem Neubau Stützen setzen. Die neue Sternbrücke könnte dann erheblich kürzer sein, die Kasematten mit den Clubs verstärkt und erhalten werden. Werden aber Stützen von vornherein ausgeschlossen, habe die Bahn gar keine Wahl und müsse eine „Monsterbrücke“ bauen.
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„Fahrradsenator“ Tjarks und die „autogerechte Stadt“
Technisch sei nichts anderes möglich. Dabei könne Tjarks nicht einmal sagen, wie Lkw-, Auto-, Bus- und Radverkehr in Zukunft unter der Brücke durchfließen sollen. Das deckt sich mit dem, was die Behörde sagt: Eine Aufteilung sei noch nicht entschieden.
Mit anderen Worten: Die enge „Strese“ wird unter der Brücke irgendwie aufgeteilt breiter und verengt sich dann erneut. Ingenieur Meyer kann nachweisen, dass die Idee einer autogerechten breiten Hamburger Ost-West-Verbindung mit der Stresemannstraße als zentralem Element aus den Fünfziger-, Sechziger-Jahren stammt. Wegen der dichten Bebauung an dieser Stelle – etwa 21 Meter zwischen gegenüberliegenden Hauswänden – wurde das nie realisiert. Dass ausgerechnet ein „Fahrradsenator“ diese Idee für die verstopfte Straße heute aufgreife, findet Meyer seltsam.
Sternbrücke: Hat die Bahn bei der Simulation geschummelt?
Gleichfalls kann er anhand von Simulationen der Brückenplaner und Vergleichsbildern zeigen, dass bei den Größenverhältnissen offenbar etwas geschummelt wurde. Ein Bahn-Bild der neuen Brücke zeigt außerdem den Verlauf der Bahnstrecke mit den vier Gleisen an einer falschen Stelle. Dennoch ist Meyer überzeugt, dass die bestehende Sternbrücke wohl nicht saniert werden könne, was Neubau-Gegner vorgeschlagen hatten. Meyer sagte, die Belastungen hätten in den vergangenen knapp einhundert Jahren vermutlich so stark auf das Material eingewirkt und täten das bei 900 Zügen pro Tag weiter, dass nur ein Neubau infrage komme. Doch der könne eben günstiger, schneller und stadtteilverträglicher sein, wie er am Beispiel des Alternativentwurfs von Architekt Prof. Karsten Brauer zeigte.
Meyer hielt seinen Vortrag in der voll besetzten Bar 227, die aufgrund der Pläne vom Abriss bedroht ist. Die Betreiber sollen Ersatzflächen bekommen. Hamburg Tourismus empfiehlt die Bar als „süße Kneipe mit Live-Musik“, als „Ausgehstation unmittelbar an der Sternbrücke“. Ein Hamburger Filmemacher arbeitet aktuell an einem Kinofilm über die Sternbrücke. In wenigen Hundert Metern Entfernung soll der Neubau zusammengeschweißt werden, dafür musste bereits der Beach Club Central Park weichen.
Zementieren diese Fakten noch vor der Planfeststellung bereits das bestehende Modell für den Neubau? Ex-Oberbaudirektor Walter sagte dem Abendblatt: „Es ist nie zu spät.“