Hamburg/Bremen. Prof. Frank Ulrich Montgomery erinnert im Hamburger Abendblatt an einen Arzt und Gesundheitspolitiker, der für seine Überzeugungen einstand.
Sind wir auch länger nicht die Kraft, die Erd‘ und Himmel einst bewegte, so sind wir dennoch, was wir sind; Helden mit Herzen von gleichem Schlag, geschwächt von Zeit und von dem Schicksal; doch stark im Willen zu ringen, zu suchen, zu finden. Und nie zu weichen. Alfred Tennyson
Karsten Vilmar ist tot. Gestorben im 95. Lebensjahr, friedlich in seiner Heimatstadt Bremen. Karsten Vilmar war ein großer Arzt, Gesundheitspolitiker, Mensch und Freund. Ihm verdanken die deutschen Ärztinnen und Ärzte viel; mir war er Freund und Mentor, Ratgeber und kluger Begleiter.
Geboren in Bremen, Schulzeit in Meißen und Bremen, Medizinstudium in München und schließlich Unfallchirurg und Oberarzt am Klinikum St.-Jürgen-Str. in Bremen. Früh engagierte er sich im Marburger Bund, dessen Bundesvorsitzender er vier Jahre lang war. Er konnte gewerkschaftliches Arbeiten und Standes- und Berufspolitik hervorragend integrieren. Und so wurde er dann Präsident der Ärztekammer Bremen und 21 Jahre lang auch der Bundesärztekammer. So weit die biografischen Daten.
Prof. Karsten Vilmar gestorben – ein Arzt, der für seine Überzeugungen stand
Für die deutschen Ärztinnen und Ärzte hat er in Weltärztebund und Ständigem Ausschuss der Europäischen Union Ärzte unermüdlich gearbeitet. Seine Ziele waren nicht nur die Aussöhnung der deutschen Ärzte mit allen Nachbarn und den inzwischen über 100 Mitgliedstaaten des Weltärztebundes – besonders lag ihm der Kontakt zu den israelischen Ärzten am Herzen. Er pflegte auch tiefe, persönliche Freundschaften zur Israel Medical Association und deren Präsidenten und Geschäftsführern aus Tel Aviv. Ich durfte ihn mehrfach auf diesen Reisen begleiten.
So nimmt es auch nicht Wunder, dass er es war, der in den späten 80er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts endlich die lange ausgebliebene objektive Aufarbeitung der Verstrickungen deutscher Ärztinnen und Ärzte in das System des Nationalsozialismus vorantrieb. Dabei zeigte er Augenmaß – seine Äußerungen, dass die Mehrzahl der deutschen Ärzte einfach nur ihrer ärztlichen Pflicht gegenüber den Menschen nachgegangen sind und größtenteils nicht mit dem Nationalsozialismus verbunden waren, brachte ihm viel Kritik und auch Ablehnung ein. Das stand er durch – auch argumentativ.
Ein Satz als Unwort des Jahres gekürt – es war ein Missverständnis
Er stand immer für seine gesundheitspolitischen Überzeugungen ein. Sein Satz vom „sozialverträglichen Frühableben“ als Ergebnis falscher Gesundheitspolitik wurde zum Unwort des Jahres 1998 gekürt. Das hat ihn getroffen, wollte er doch vor allem auf falsche Weichenstellungen der damaligen Regierung hinweisen. Er hat damit den Anstoß für eine intensive Debatte um die Gesundheitspolitik und viele Verbesserungen gegeben – das war ein großes Verdienst, denn Gesundheitspolitik galt in den großen Debatten dieser Zeit gerne noch als „Jammerecke“ der Politik.
Karsten Vilmar war nie geleitet von Partikularinteressen, er hatte immer das „große Ganze“ im Auge. Ihm ging es nicht nur um Ärztinnen und Ärzte, auch die Stärkung der Situation der Patientinnen und Patienten lag ihm am Herzen. Er tat dies schnörkellos, mit trockenem Witz und einem feinen Humor. Und er war zutiefst Arzt und handelte ärztlich.
Karsten Vilmar warb für eine Gesundheitspolitik auf wissenschaftlicher Basis
Immer wieder forderte er Politik und Öffentlichkeit auf, die zentralen Entscheidungen im Gesundheitswesen nicht auf der Basis von Zufälligkeiten, Tagesaktualitäten oder Bauchgefühlen zu fällen, sondern auf der Grundlage „medizinisch-ökonomischer Grundsatzdaten“ zu entscheiden. Er wurde damit auch zu einem Begründer der heute zumindest ansatzweise vorhandenen Gesundheitsberichterstattung und wissenschaftlich basierter Entscheidungsfindung.
Mehr zum Thema Ärzte und Krankenhäuser in Hamburg
- Experte: Hamburger Notaufnahmen sollen zusammengelegt werden
- „Katastrophale Zustände in Praxen“: Ärzte und Patienten bangen
- Am UKE: Senatorin Katharina Fegebank bittet zur Operation
- Chefarzt-Affäre am UKE: Jetzt ein Fall für das Arbeitsgericht
Er hat bis zuletzt intensiv an der Debatte der Gesundheitspolitik teilgenommen. Körperlich etwas fragiler geworden, aber mit messerscharfem Verstand hat er Stellung bezogen zu den aktuellen Fragen. Er war immer informiert, fleißig, standhaft in den Argumenten, konsequent und ehrlich in seinen Meinungen. Das habe ich an ihm sehr geschätzt – das haben Generationen von Standespolitikern aus Krankenhaus und Praxis an ihm anerkannt.
Karsten Vilmar war immer stark im Willen zu ringen, zu suchen, zu finden. Und nie zu weichen. Wir haben einen großen Freund und Kollegen verloren.
Prof. Dr. Frank Ulrich Montgomery ist Ehrenvorsitzender der Ärztegewerkschaft Marburger Bund sowie Ehrenpräsident der Bundesärztekammer und der Ärztekammer Hamburg. In beiden Kammern war der frühere Radiologe am UKE lange Präsident.