Hamburg. Riesenandrang im Rathaus, als Anne Brorhilker über Steuerbetrüger und Profitgier spricht. Warum Ex-Staatsanwältin nichts zu Warburg sagt.
- Anne Brorhilker, ehemals Cum-Ex-Ermittlerin, sagt: „Behörden haben lange geschlafen.“
- Bei ihrem Auftritt in Hamburg herrscht riesiger Andrang: 500 Zuschauer im Festsaal und lange Schlangen in der Rathausdiele.
- Ex-Anklägerin Brorhilker beziffert Schaden für den Fiskus in Deutschland durch Cum-Ex- und Cum-Cum-Geschäfte auf 40 Milliarden Euro.
Die frühere Cum-Ex-Ermittlerin Anne Brorhilker (51) hat großen Steuerbetrügern in Deutschland Skrupellosigkeit und Profitgier vorgeworfen. Auch wenn sie sich aus Verschwiegenheitspflichten nach ihrem Ausscheiden aus dem Staatsdienst und ihrem Wechsel zum Verein Finanzwende nicht konkret zu Geschäften und Ermittlungen der Hamburger Warburg-Bank äußern durfte, war offensichtlich, dass sie Verdächtige aus den von ihr geführten Verfahren vor Augen hatte.
Bei einer Diskussion der Linksfraktion im Hamburger Rathaus sagte die ehemalige Kölner Staatsanwältin: In Cum-Ex-Geschäften gebe es für Banken ein geringes Entdeckungsrisiko, aber hohe Profite. „Die Behörden in Deutschland haben lange geschlafen. Mit Cum-Ex lässt sich viel mehr Profit machen als in anderen Bereichen.“ Brorhilker sagte über kriminologische Forschungsergebnisse: „Wirtschaftskriminalität ist nicht so stigmatisiert wie andere Delikte. Man hat irgendwie mehr Verständnis dafür.“
Cum-Ex-Staatsanwältin Anne Brorhilker in Hamburg über Steuerbetrug
Ohne die Warburg-Banker Christian Olearius (dessen Prozess ohne Urteil oder Freispruch eingestellt wurde und der Brorhilker danach wegen Vorverurteilung in einer ARD-Dokumentation angezeigt hatte) oder Max Warburg zu nennen, sagte sie: „Wer kein Wertesystem hat, sieht überall Möglichkeiten, mit kriminellen Handlungen den Profit zu steigern.“ Bei Cum-Ex-Tätern und Steuerkriminellen sei notorisch, dass sie quasi alle gut ausgebildet seien und aus geordneten Verhältnissen kämen. Dennoch nähmen die Täter keine Rücksicht auf ihre Pflicht gegenüber dem Fiskus. „Dabei ist das unser Steuergeld. Das ist das, was wir abdrücken.“
Die Öffentlichkeit in Hamburg war offenbar sehr angetan von der Aussicht auf einen Auftritt Brorhilkers. Gut 500 Zuschauer kamen in den Festsaal des Hamburger Rathauses. Schon Tage vorher meldete die Linksfraktion „Ausverkauft“. Die Schlange der Interessierten zog sich noch bei Veranstaltungsbeginn durch die Rathausdiele. Schon als sie sich kaum bemerkt von den meisten im Saal unter den drei gewaltigen Kronleuchtern dem Podium näherte, brandete großer Beifall für die Cum-Ex-Ermittlerin auf: Applaus für die Staatsanwältin.
„Tschentscher und Scholz haben sich in den Steuerfall der Warburg-Bank eingemischt“
Nicht weit vom Festsaal mit dem gewaltigen Wandgemälde und seinem Hafenmotiv in Pastell entfernt tagte der Untersuchungsausschuss der Bürgerschaft zu Cum-Ex, traf der damalige Bürgermeister Olaf Scholz den Warburg-Mitgesellschafter Christian Olearius. Hier sagte der heutige Bundeskanzler Scholz über Inhalte von Treffen mit Olearius, er könne sich nicht erinnern. Der Untersuchungsausschuss wurde mittlerweile erweitert auf die Cum-Ex-Geschäfte der früheren HSH-Nordbank.
David Stoop aus der Linksfraktion erinnerte daran, dass in Hamburg die Warburg-Bank lange mit der Steuerverwaltung darum gerungen habe, ob und wie viel an Steuern im Zusammenhang mit Cum-Ex-Geschäften nachgezahlt werden müsse. Er sprach mit Blick auf die damaligen Gespräche von Olearius mit Scholz von einem „Abwehrkampf der Warburg-Bank“. „Tschentscher und Scholz haben sich in den Steuerfall einer Bank eingemischt. Diese Möglichkeit hat kein einfacher Steuerzahler. Peter Tschentscher hätte zurücktreten müssen.“ Das sehen der heutige Bürgermeister und der Bundeskanzler naturgemäß anders.
Ex-Staatsanwältin Brorhilker: Cum-Ex-Schaden in Milliardenhöhe
Stoop sagte zudem zu den Ermittlungen gegen die Warburg-Bank einen Satz, den auch Nicht-Juristen im Saal (knapp in der Mehrheit) kritisch aufgenommen haben dürften: „Was ein Banker in sein Tagebuch schreibt, hat einen hohen Beweiswert.“ Die Olearius-Tagebücher hatte Brorhilker beschlagnahmen lassen. Sie sagte zum Warburg-Fall nur: „Es ist ein plastisches Beispiel von zu viel Nähe von Banken und Politik.“
Und die Ex-Anklägerin bezifferte die Schadenssumme für den Fiskus in Deutschland mit Bezug auf eine Studie der Uni Mannheim auf insgesamt 40 Milliarden Euro durch Cum-Ex- und Cum-Cum-Geschäfte. Sie selbst habe Insider befragt und sich Organigramme von Investmentbanken angesehen, in denen an den Handelstischen die Steuerbetrugseinheiten verzeichnet seien.
Staatsanwaltschaft Hamburg bei Steuerbetrug zögerlich?
Während Brorhilker kritisierte, dass die „Finanzlobby“ Einfluss auf Gesetze nehme, bemängelte Stoop, dass die Hamburger Ermittler zu zurückhaltend seien. „Die Staatsanwaltschaft in Hamburg agiert sehr verhalten in diesen Fällen. Wir sehen jetzt bei der Untersuchung des HSH-Falles, dass eine Strafverfolgung möglich wäre, es aber in der Behördenhierarchie versandet. Das hat auch mit den Kapazitäten der Behörde zu tun.“
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Ein Kronzeuge in Brorhilkers Ermittlungen zu Cum-Ex soll demnächst in Bonn vor Gericht stehen. Wenn denn mit seinem Erscheinen zu rechnen ist. Die Anklage wegen eines mutmaßlichen Schadens von 428 Millionen Euro ist zugelassen. Die Kooperation mit den Strafverfolgungsbehörden ist wohl nicht zu seinen Gunsten ausgegangen. In Hamburg geht derweil offenbar das politische Ausschlachten Richtung Bürgerschaftswahl und Bundestagswahl 2025 weiter.