Hamburg. Sie gab ihren Job auf und steht nun selbst im Mittelpunkt von Ermittlungen. Cum-Ex-Ermittlerin Anne Brorhilker bei öffentlicher Diskussion.

Anders als in den USA, wo sich eine frühere Staatsanwältin im Jahr 2024 um das Amt der ersten Präsidentin der Vereinigten Staaten bewirbt (Kamala Harris), gelangen in Deutschland Vertreterinnen der Anklagebehörden selten zu besonderer Prominenz. Im Fall von Anne Brorhilker (51) ist das anders. Die Frau, die sich zur beruflichen Aufgabe gemacht hatte, gegen sehr spezielle Steuerbetrüger aus sogenannten Cum-Ex-Geschäften zu ermitteln, umgibt eine Aura wie den legendären Robin Hood. Den Reichen nehmen, den Armen geben – das ist schon die Fallhöhe im Fall Brorhilker.

Denn sie hat sich aus ihrer Anklagebehörde in Köln als Staatsanwältin verabschiedet. Augenscheinlich war sie frustriert über das Geflecht aus politischen Einflüsterungen, fehlendem Personal für eine schnelle und umfassende Cum-Ex-Ermittlung und dem Fortgang der Verfahren. Brorhilker wechselte als Geschäftsführerin zur Bürgerbewegung (Selbsteinschätzung) Finanzwende e.V., einem Verein, der sich die Bekämpfung der Finanzkriminalität auf die Fahnen geschrieben hat. In ihrer neuen Funktion kommt sie für eine öffentliche Veranstaltung der Linksfraktion am Mittwoch (23. Oktober, 18 Uhr) in den Festsaal des Hamburger Rathauses. Fachkundiges und breit interessiertes Publikum wird erwartet.

Cum-Ex-Ermittlerin in Hamburg: Was darf Anne Brorhilker sagen?

Dieser Auftritt Brorhilkers könnte kaum brisanter sein. Denn seit ihrem Abgang aus der Kölner Staatsanwaltschaft steht sie selbst im Fokus einer Ermittlung. Die hat der Hamburger Warburg-Mitgesellschafter Christian Olearius angestoßen. Zur Erinnerung: Olearius‘ Verfahren wegen mutmaßlicher Cum-Ex-Geschäfte wurde Mitte 2024 ohne Freispruch oder Verurteilung eingestellt. Der 82-Jährige war gesundheitlich nicht mehr in der Lage, dem Prozess dauerhaft beizuwohnen. Ein Arzt musste während der Verhandlungen im Gerichtssaal anwesend sein.

Als das Landgericht Bonn das Einstellungsurteil fällte, erklärte Olearius bereits abermals selbstbewusst: ihn treffe keine Schuld. Und er legte nach: „Das von der Staatsanwaltschaft (mit Frau Brorhilker, die Red.) in Gang gesetzte Verfahren und die Art der Ermittlungen waren von Anfang an und über Jahre in vielfacher Hinsicht eklatante Verstöße gegen die Grundregeln der Rechtsstaatlichkeit, die fassungslos machen.“ Die Anklage sei „konstruiert“ gewesen, die Umstände der Ermittlungen „politisiert“.

Olaf Scholz, Peter Tschentscher und die Warburg-Bank

In Hamburg ging es bei Cum-Ex unter anderem darum, ob der damalige Bürgermeister Olaf Scholz und/oder Finanzsenator Peter Tschentscher (beide SPD) nach Gesprächen mit Olearius Einfluss auf die Steuerakte der Bank M.M. Warburg & CO (das CO steht für Christian Olearius) genommen haben. Olearius erklärte, er und Max Warburg hätten „durch freiwilligen Schuldbeitritt“ 230 Millionen Euro persönlich beglichen. Weitere 50 Millionen soll die Bank gezahlt haben.

Damit war es für Olearius aber nicht getan. Er beauftragte seine Anwälte, gegen Brorhilker und den Kronzeugen der Staatsanwaltschaft Anzeigen zu erstatten. Auf 143 Seiten begründen die Juristen, dass Brorhilker bei ihren Ermittlungen und der Anklage gegen Olearius „vorsätzlich und bewusst unvollständige und falsche Sachverhalte zur Grundlage ihrer Anklagen gegen ehemalige Mitarbeiter der Warburg Bank gemacht habe“. Der Kronzeuge habe in mindestens sechs Fällen vor dem Landgericht Bonn „bewusst die Unwahrheit gesagt“.

Cum-Ex-Kronzeuge: Anklage wegen 428 Millionen Euro Schaden

Gegen diesen Kronzeugen ist in der Steuersache mittlerweile Anklage erhoben worden. Verhandelt wird vom 21. November an am Landgericht Bonn. Das Gericht teilte mit: „Durch die Tätigkeit des Angeklagten soll es zur Erstattung von Kapitalertragssteuer des deutschen Fiskus gekommen sein, welche zuvor gar nicht abgeführt worden war. Der Betrag soll sich laut Anklage auf rund 428.000.000,00 € belaufen.“

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Der Kronzeugen-Status hat ihn offenbar nicht vor eigener Strafverfolgung bewahrt. 428 Millionen Euro Schaden für den Fiskus – da wird Ex-Staatsanwältin Brorhilker in Hamburg sagen können, ob sie dieses Ausmaß geahnt hat. Nicht sagen können wird sie hingegen Dinge, die die behördliche Geheimhaltung aus ihren Ermittlungen betrifft. Denn ihre Verschwiegenheitspflicht gilt über das Ausscheiden aus dem Staatsdienst hinaus. Wie weit, das wird man sehen und hören. Im Hamburger Publikum im Rathaus dürften Juristen sitzen, die jedes Brorhilker-Wort auf die Waage der Justitia legen werden.