Hamburg. Extrem riskante Videodrehs enden in Hamburg tragisch: Zwillingsschwestern von Zug erfasst, eine stirbt. Experten warnen vor weiteren gefährlichen Trends.
- Regionalzug erfasst Zwillingsschwestern aus Hamburg – während sie Videos für TikTok drehten.
- Überlebende Zwillingsschwester: „Es war Scheiße, was wir da gemacht haben“
- Rechtsmediziner Klaus Püschel warnt vor gefährlichen Challenges auf Social Media-Plattformen.
Es gehört zu den beliebtesten Internet-Plattformen: TikTok. Neben harmlosen Beiträgen etwa über Tiere und Urlaubserlebnisse gibt es auch sehr viele bedenkliche Videos, in denen hochriskante Situationen gezeigt werden. Und nicht selten lauern dort auch tödliche Gefahren. Ein Fall aus Hamburg endete besonders tragisch.
„Zwei Zwillingsschwestern haben mehrfach Videos für TikTok gedreht, bei denen es darum ging, in der Nähe von Bahnhöfen auf Gleise zu gehen – und dann vor herannahenden Zügen erst im letzten Moment zur Seite zu springen“, sagt Gerichtsreporterin Bettina Mittelacher in „Dem Tod auf der Spur“, dem Crime-Podcast des Abendblatts mit Rechtsmediziner Klaus Püschel.
True Crime-Podcast „Dem Tod auf der Spur“: Zwillingsschwestern werden von Zug erfasst – eine stirbt
„Eine Weile ging das gut“, erinnert sich Püschel. „Erstaunlicherweise, muss man sagen. Denn solche Züge rasen mit hoher Geschwindigkeit heran. Und es dann gerade eben noch rechtzeitig zu schaffen, sich mit einem beherzten Sprung zur Seite in Sicherheit zu bringen, ist oft Glückssache. Doch schließlich kam es zur Katastrophe. Eine der beiden 18-Jährigen starb, nachdem ein Zug sie erfasst hatte. Ihre gleichaltrige Schwester überlebte schwer verletzt.“
Noch Monate später, auch nachdem die Beerdigung von Sandra (Name geändert) stattgefunden hatte, war die überlebende Schwester Maria (Name geändert) gesundheitlich stark beeinträchtigt. Maria sprach von „Folgen, an denen ich mein Leben lang zu tragen habe“. Unter anderem hatte sie schwere Beinverletzungen davongetragen. Aber noch mehr zu schaffen bereitet der Hamburgerin der Verlust ihrer Zwillingsschwester.
In allen Hamburger Medien, aber auch bundesweit, war das Unglück vom 17. Januar 2023 Thema. „Zwillinge von Zug erfasst“, lautete eine der Überschriften. „In der Berichterstattung schwang aber auch die Frage mit, ob die beiden Schülerinnen sich womöglich absichtlich in Gefahr gebracht haben“, überlegt Mittelacher. „Und zwar, um in sozialen Medien wie TikTok oder auch Facebook Aufmerksamkeit und Zustimmung zu bekommen, also Likes. Likes: Das wäre eine Währung, die heute für manche unbegrenzt wertvoll ist und für die sie sehr viel tun würden. Unter Umständen sogar ihr Leben aufs Spiel setzen.“
Überlebende Hamburger Zwillingsschwester: „Es war Scheiße, was wir da gemacht haben“
„Maria, die überlebende Zwillingsschwester, hat uns gegenüber in Gesprächen eindeutig den Eindruck vermittelt, dass ihr mittlerweile klar, ist, dass sie extrem leichtsinnig gewesen sind“, so Püschel. „Dass sie und ihre Schwester immer wieder das Schicksal herausgefordert haben, als sie begannen, sich hinten an Züge zu hängen oder erst im letzten Moment von den Gleisen zu springen, wenn eine Bahn heranrast. Der Kick war, von den waghalsigen Szenen kleine Videos zu drehen, die sie auf der Internetplattform TikTok posteten.“
Maria sagte mit Nachdruck, dass das „Scheiße war, was wir gemacht haben“. Sie sei jetzt nicht mehr auf TikTok unterwegs, sondern eher auf YouTube, wo sie lustige Filme gucke und Musik höre. Sie sagte auch, dass sie andere davor warnen wolle, gefährliche Dinge zu unternehmen, insbesondere vor dem Zugsurfen.
True Crime Hamburg: Bei Unglücken im Zusammenhang mit Zügen drohen schwerste Verletzungen
Rechtsmediziner Püschel hat schon mehrfach Menschen untersucht, die beim Zugsurfen tödlich verunglückt sind oder die starben, als sie beispielsweise auf den Puffern einer Bahn mitfahren wollten. Ebenfalls hochgefährlich ist es, oben auf dem Dach der Züge mitfahren zu wollen. Da besteht nicht nur die Gefahr, runterzufallen, sondern auch, an die Stromleitungen zu geraten.
Auch wer nach Unglücken im Zusammenhang mit dem Schienenverkehr mit dem Leben davonkommt, hat oft dauerhaft mit schwersten körperlichen Beeinträchtigungen zu kämpfen. Beispielsweise mit Verletzungen an Rumpf und Beinen. „Und nicht zu vergessen sind natürlich Verletzungen des Rückgrats“, warnt Püschel. „Hier kann es ohne weiteres zu einer Querschnittslähmung kommen. Um das auf den Punkt zu bringen: Jede Aktion, bei der man sich auf die Gleise begibt oder an Zügen herumklettert, ist absolut waghalsig, lebensgefährlich und häufig sogar tödlich. Ich möchte ausdrücklich davor warnen. Kein Video, das man auf TikTok oder anderen Internetportalen posten möchte, ist es das Risiko wert, das man damit eingeht!“
Blackout-Challenge und weitere „Trends“: Bei vielen droht die tödliche Gefahr
Aber auch sogenannte Challenges können tödliche Folgen für die Teilnehmer haben. Wiederholt geschah dies bei der sogenannten Blackout Challange, bei der man sich selbst stranguliert und sich dabei filmt. Die Videos werden dann auf TikTok hochgeladen. Weltweit sind schon mehrere Kinder und Jugendliche an dieser Challenge gestorben.
„Einen Fall gab es beispielsweise in diesem Frühjahr, also im April 2024. Da kam es zum Tod einer Schülerin“, berichtet Mittelacher. „Sie hatte sich in ihrem Zimmer bis zur Bewusstlosigkeit selbst stranguliert und dabei mit dem Handy gefilmt. Es hieß später, die Familie habe die 13-Jährige in der Nacht bewusstlos in ihrem Zimmer vorgefunden. Ein herbeigerufener Notarzt habe nur den Tod feststellen können. Auf dem Handy der Jugendlichen seien mehrere Videos gefunden worden, die auf die Blackout Challenge hindeuteten.“
Videos, in denen etwas schief geht: Sie sind nur scheinbar harmlos
Mehrere weitere Challenges in den sozialen Netzwerken hören sich ebenfalls brandgefährlich an – im wahrsten Sinne des Wortes. Da geht es darum, dass Leute Gegenstände in ihrer Nähe anzünden sollen – und sich auch dabei filmen. Von in Brand gesteckten Klorollen ist die Rede. Und auch von angezündeten Desinfektionsmitteln. Das kann extrem schädigende Folgen haben. Auch wegen der sogenannten Hot-Chip- und Salt-Chip-Challenges ist die Plattform TikTok in die Kritik geraten. Bei den Mutproben essen Kinder und Jugendliche besonders scharfe oder salzige Chips und filmen sich dabei. Gerade für Jüngere könnten diese Challenges lebensbedrohlich sein, warnten Verbraucherschützer.
Auch Rechtsmediziner Püschel sieht darin eine erhebliche Gefahr. Warnen möchte Püschel zudem ausdrücklich vor der sogenannten Waschmittel-Tab-Challange, bei der die Teilnehmerinnen und Teilnehmer Waschmaschinen-Tabs essen..
Podcast „Dem Tod auf der Spur“: Auch die Familie leidet mit, wenn etwas Schlimmes geschieht
„Es gibt in den sozialen Medien auch etliche Videos, wo etwas schiefgeht“, gibt Mittelacher zu bedenken. „Wenn jemand beispielsweise eine Treppe herunterfällt, über einen Zaun stolpert, so was in der Art. Manche finden das vielleicht witzig, nach dem Motto: Guckt mal, wie ungeschickt der sich angestellt hat!“ „Mag sein, dass mancher so eine Art Slapstick darin sieht“, überlegt Püschel, „also findet, dass so etwas einfach nur komisch ist. Aber auch hier sei ausdrücklich darauf hingewiesen: Wenn jemand zum Beispiel die Treppe runterfällt oder mit dem Fahrrad stürzt, ist das überhaupt nicht witzig. Man kann sich Knochenbrüche, Platzwunden, Schädelverletzungen zuziehen.
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Generell möchten Püschel und Mittelacher vor gefährlichen Aktionen warnen. „Kein noch so – angeblich cooles – Video ist es wert, dass man seine Gesundheit und die körperliche Unversehrtheit riskiert“, erklärt Püschel. „Unter den Folgen von Verletzungen leidet man unter Umständen sein Leben lang. Und was man auch noch bedenken sollte: Auch die Familie leidet unter Umständen mit.“
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