Hamburg. Exklusiv: Überraschende Studien-Ergebnisse der AOK belegen erschreckenden Trend. Hamburg zeigt bei Depressionen besondere Auffälligkeiten.
Trotz des wirtschaftlichen Wohlstandes, der vergleichsweise jungen Bevölkerung und guter medizinischer Versorgung ist Hamburg Deutschlands Hauptstadt der Depressionen. Die Zahl der Betroffenen steigt seit 2017 an und hat im Jahr 2022 mit 227.000 diagnostizierten Patientinnen und Patienten einen vorläufigen Höhepunkt erreicht. Das zeigt der Gesundheitsatlas 2024 des Wissenschaftlichen Instituts der AOK, deren Auswertung dem Abendblatt exklusiv vorliegt. Die Vorständin der AOK Rheinland/Hamburg, Sabine Deutscher, sagte: „Obwohl es in den letzten Jahren ein stärkeres öffentliches Bewusstsein für Depressionen und andere psychische Erkrankungen gibt, ist das Bild von Betroffenen noch häufig von Vorurteilen und Stigmata geprägt. Das kann Patientinnen und Patienten stark belasten.“
Wer an Depressionen oder depressiven Phasen leidet, fehlt zumeist lange im Job. 44 Ausfalltage pro Fall sind der Durchschnitt. Die Krankheitskosten für Depressionen in Deutschland betragen laut AOK-Studie 9,5 Milliarden Euro und damit mehr als für Diabetes, Herzinsuffizienz oder Asthma. Hinzu kommt der volkswirtschaftliche Schaden mit einem Verlust an Arbeitsproduktivität von 11,8 Milliarden Euro. „Für Unternehmen ist es daher umso wichtiger, das psychische Wohlbefinden ihrer Mitarbeitenden im Blick zu halten und Aspekte wie Entscheidungsspielräume, Sicherheit und Verlässlichkeit bewusst zu gestalten“, sagte AOK-Vorständin Deutscher. Arbeitnehmer könnten vor psychischen Erkrankungen geschützt werden, wenn man ihre individuellen Entwicklungsmöglichkeiten stärke, sie fördere und somit zufriedener mache.
Hamburg: Zahl der Depressionen alarmierend – mit Folgen
Patienten aus Hamburg stechen mit mehreren Auffälligkeiten bei Depressionen im AOK-Gesundheitsatlas hervor. Zum einen sind überdurchschnittlich viele Männer betroffen. Außerdem ragt bei beiden Geschlechtern die Altersgruppe der 55- bis 59-Jährigen heraus. Im Bundesländervergleich liegt zwar das Saarland eigentlich noch vor Hamburg. Doch die AOK hat in einer „fairen“ Berechnung mit angepasster Alters- und Geschlechterverteilung deutschlandweit ermittelt, dass gemessen an der Bevölkerungszahl die Lage in keinem Bundesland so dramatisch ist wie in Hamburg. Allerdings sind im Großstädte-Ranking vergleichsweise etwas mehr Patienten mit Depressionen in Nürnberg, Dortmund und Essen.
Das ändert aber nichts am erschreckenden Hamburger Befund. Er misst auch nur Hamburger Betroffene, nicht etwa in Hamburger Praxen oder Krankenhäusern diagnostizierte Patienten aus anderen Bundesländern. Hamburgerinnen und Hamburger gelten auch zum Beispiel im Vergleich mit Schleswig-Holstein als deutlich gesundheitsbewusster und besser versorgt. In einem „Glücksatlas“ jedoch gab es zuletzt im Ranking einen kleinen Absturz. Der kann mit der Corona-Pandemie zu tun haben.
AOK-Gesundheitsatlas 2024 zeigt für Hamburg Besonderheiten
Die AOK weist jetzt darauf hin, dass ein Gefühl von Bedrückung, Niedergeschlagenheit, Antriebslosigkeit bis hin zu Depressionen sich häufig mit anderen Erkrankungen mischt. Wo es mehr Rückenschmerzen gibt, tauchen auch mehr Depressionen auf. Andere chronische Erkrankungen tragen als Risikofaktoren ebenfalls zu vermehrten Depressionsdiagnosen bei. Beruflicher Stress ist ein weiterer Treiber der Erkrankung. In der Europäischen Union liegt Deutschland leicht unter dem Durchschnitt. Depressionen werden häufiger in West- als in Osteuropa festgestellt.
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Frauen haben deshalb ein höheres Risiko als Männer, weil sie durch ihre Periode oder Schwangerschaft und Wechseljahre größeren hormonellen Schwankungen ausgesetzt sind. AOK-Vorständin Deutscher sagte: „Die unterschiedliche Betroffenheit von Frauen und Männern auch bei psychischen Krankheiten wie Depressionen zeigt einmal mehr, dass wir als Gesellschaft gefordert sind, im Gesundheitswesen Strukturen zu schaffen, die beiden Geschlechtern gerecht werden.“
Der AOK-Gesundheitsatlas hebt positiv hervor, dass sich Prominente zu ihrer Erkrankung bekennen. Das erhöhe das Bewusstsein für die Dimension der Krankheit. In Deutschland hatten unter anderem die Schauspielerin Nora Tschirner oder die Comedians Torsten Sträter und Kurt Krömer ihre Depressionen öffentlich gemacht.