Hamburg. Hamburgerin Janne Solcher erkrankt als Abiturientin schwer an Depressionen. Es folgen Jahre, in denen sie sich zurück ins Leben kämpft.
Es gibt wohl nichts, was Janne Solcher aus Groß Flottbek so oft und so lange angesehen hat, wie die Dachschräge über ihrem Bett. Oft starrte sie stundenlang auf die weiße Tapete, weil ihr zu allem anderen die Kraft fehlte. Zum Essen, zum Lernen, zum Sprechen. Die weiße Wand wollte nichts von Janne Solcher, und deswegen war sie gut.
Solcher ist eine von Tausenden Hamburgern, die unter Depressionen leiden. Sie erkrankte in etwa während der Zeit ihrer Abiturprüfungen. Da war sie gerade einmal 18 Jahre alt.
Depressionen: Krankheit bedeutet mehr als ein bisschen traurig zu sein
Heute ist Janne Solcher 22 und hinter ihr liegen Jahre, in denen sie ganz oft ganz unten war. Aber eben auch Jahre, in denen sie nicht zuletzt an sich selbst gewachsen ist. Rückblickend sagt die Groß Flottbekerin: „Ich habe durch die Krankheit viel gelernt und bin stärker geworden.“ Sie spricht mit Zuversicht über die Zukunft, auch wenn sie weiß, dass ihr die Erkrankung wahrscheinlich den Studienabschluss gekostet hat. Weil sie dreimal durch eine Klausur gefallen ist, droht ihr die Exmatrikulation.
Janne Solcher möchte über ihre Erkrankung sprechen, weil sie hofft, dass sie anderen Betroffenen damit Mut machen kann. Und sie möchte zeigen, dass Depressionen mehr bedeuten, als ein bisschen traurig und müde zu sein.
Betroffene Hamburgerin: Mit der Pandemie verschlechtert sich ihr Zustand
„Depressionen, das heißt Leere“, sagt die gebürtige Hamburgerin. Und das Fatale sei, dass diese Leere eben nicht von heute auf morgen kommt, sondern sich langsam einschleicht und das Leben Stück für Stück aushöhlt.
Solcher steht kurz vor dem Abitur und ist mit ihrer Hockey-Mannschaft beim Grossflottbeker Tennis-, Hockey- und Golf-Club (GTHGC) ganz vorne mit dabei. Zweimal werden sie Deutscher Meister und dreimal Vizemeister. Dann kommt Corona.
Depressionen Hamburg: An schlechten Tagen kann sie nur kurz das Bett verlassen
Erst mit der Pandemie spürt Janne Solcher, dass sie ein Mensch ist, der Strukturen braucht, um zu funktionieren. Denn als der Rahmen aus Training, Unterricht, Freunden und Verabredungen plötzlich wegfällt, fällt auch Solcher in sich zusammen, jeden Tag ein bisschen mehr.
In ihren schlechtesten Zeiten kommt sie tagsüber noch kurz aus dem Bett. Aber jede Tätigkeit ist zu viel: duschen, frühstücken, Zähne putzen. „Ich erinnere mich, dass ich wochenlang den Staubsauger aus meinem Zimmer wieder nach unten bringen wollte, aber allein der Gedanke daran war zu anstrengend.“
Auch das Psychologie-Studium, auf das sie sich eigentlich so gefreut hatte, wird zunehmend zur Belastung. „Wie soll man ordentlich studieren, wenn man sich maximal zehn Minuten am Stück konzentrieren kann?“
Psychische Erkrankungen: ein Teufelskreis aus Angst und Rückzug
Fakt ist: Janne hält immer weniger aus. Auch Dinge, die ihr eigentlich guttun, meidet sie irgendwann. Immer häufiger lässt sie das Training sausen und kippt Verabredungen mit Freunden. „Soziale Kontakte haben mir Angst gemacht“, sagt Janne Solcher.
Und so zieht sie sich immer mehr zurück. Ein Teufelskreis, wie sie inzwischen über ihre Therapeutin gelernt hat. „Betroffene schränken ihren Bewegungsradius oft immer weiter ein, um das Gefühl zu haben, noch normal zu funktionieren. Darüber wird die Angst vor echten Kontakten dann immer größer“, sagt Solcher.
Die Einzigen, zu denen sie über die ganzen Jahre die Bindung nicht verliert, sind der Familienhund Happy und ihre Eltern Katja und Bertram Solcher. Bertram Solcher ist es auch, der irgendwann erkennt, was los ist.
Hilfe bei Depressionen: Janne Solcher lernt, mit der Erkankung umzugehen
Der Fotograf und studierte Mediziner reagiert sofort, als seine Tochter vor ihm steht und sagt: „Papi, ich fühl nichts mehr und hab sogar schon überlegt, mich zu ritzen.“ Gemeinsam machen sie einen Plan. Janne nimmt Kontakt zu einer Psychotherapeutin auf, erhält dann nach Jahren des Leides die Diagnose Depressionen und bekommt endlich die Hilfe, die sie braucht. Dazu zählen unter anderem Medikamente und eine Verhaltenstherapie, über die sie lernt, mit der Erkrankung umzugehen.
Heute geht es Janne Solcher viel besser. Sie geht nur noch alle zwei Wochen zur Therapie und nimmt nur noch die geringste Dosierung der Medikamente. „Bald werde ich sie ganz weglassen können“, sagt die Hamburgerin. Ob sie wieder ganz die Alte sei? „Nein“, sagt Janne Solcher. Und das wolle sie auch gar nicht. Denn: „Heute weiß ich viel besser auf mich aufzupassen, habe viel über mich gelernt und reagiere besser auf negative Erlebnisse oder Stress.“
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Depressionen Hamburg: Janne Solcher blickt optimistisch in die Zukunft
Dass ihre Lebensfreude wieder zurück ist, zeigt sich auch daran, dass die Begeisterung für das Hockeyspielen wieder da ist. Janne Solcher geht wieder regelmäßig zum Training und empfindet echte Freude an der Gemeinschaft. Und sie kann wieder positiv in die Zukunft blicken: „Sollte ich meinen Abschluss tatsächlich nicht machen können, möchte ich mich bei der Polizei für das Studium bei der Kripo bewerben oder ein duales Studium im Bereich Medien- und Wirtschaftspsychologie machen.“
Ihre Wünsche und Pläne trägt Janne Solcher selbstbewusst und ohne Zweifel vor. Wohl auch, weil sie weiß, dass sie die schwierigste Prüfung bereits gemeistert hat.