Hamburg. Fehlzeiten im Job haben sich seit Corona kurios entwickelt. Betriebskrankenkassen sehen Vorteile in Hamburg. Krankenstand 2024 dramatisch.
Wie gesund sind die Menschen in Hamburg und Schleswig-Holstein? Und welche Faktoren haben darauf einen nachhaltigen Einfluss? Zumindest für die Berufstätigen an Alster und Elbe sowie im Land zwischen Nord- und Ostsee gibt es da neue, überraschende Hinweise. Denn nach der Corona-Pandemie haben sich die Krankenstände und die Tage der Arbeitsunfähigkeit (AU) offenbar im Stadtstaat und dem Flächenland gegenläufig entwickelt.
Nach Zahlen aus dem Landesverband Nordwest der Betriebskrankenkassen (BKK), die dem Abendblatt vorliegen, bewegten sich im Jahr 2023 die Krankmeldungen in Schleswig-Holstein um 8,5 Prozent über dem Bundesdurchschnitt.
Die Fehlzeiten hatten mit rechnerisch 24,2 AU-Tagen pro Beschäftigten den höchsten Wert seit sechs Jahren erreicht. Vier von zehn Krankmeldungen gingen über einen Zeitraum von mehr als sechs Wochen. Eine Woche bis zu sechs Wochen krankgeschrieben war gut ein Drittel (35,4 Prozent) der Beschäftigten, die eine Arbeitsunfähigkeit attestiert bekamen.
Arbeitsunfähigkeit: Große Unterschiede in Hamburg und Schleswig-Holstein
In Hamburg (20 AU-Tage pro Beschäftigten) sieht das Bild anders aus. Hier waren die Berufstätigen um zehn Prozent seltener krankgeschrieben als der Bundesdurchschnitt, wenngleich von diesen AU-Fällen ebenfalls vier von zehn länger als sechs Wochen ausfielen. Im Vergleich beispielsweise mit Lübeck (27 AU-Tage, 21 Prozent mehr als im Bundesmittel) wirken Hamburgs Berufstätige deutlich „gesünder“. Das hängt sicher mit dem Durchschnittsalter von Frauen und Männern im Job zusammen. In Hamburg beträgt es 41,5 Jahre, in Schleswig-Holstein 43,7. Je älter, desto kränker ist eine statistische Weisheit von Ärzten und Krankenkassen.
Die BKK wollte sich mit dieser Erklärung allein nicht zufriedengeben und macht unter anderem psychische Erkrankungen dafür verantwortlich. Deren Zahl wuchs in Schleswig-Holstein besonders (bei Männern wie Frauen). Seelische Leiden sorgen für gewöhnlich auch für längere Ausfallzeiten als beispielsweise Atemwegserkrankungen. In Hamburg gingen die Zahlen 2022 zurück, stiegen 2023 aber vor allem bei Frauen wieder an.
Krankenkassen: Hamburger gesundheitsbewusster und besser versorgt
Die BKK schreibt in ihrer Auswertung: „Auffällig für Schleswig-Holstein ist, dass hier der Anteil derer, die im Gesundheits- und Sozialwesen arbeiten, größer ist als für die Gesamtheit der BKK-versicherten Beschäftigten. Der bundesweite Vergleich der Krankenstände für diese Gruppe zeigt für Schleswig-Holstein überdurchschnittliche Werte. Dies gilt besonders für die Fehlzeiten aufgrund von psychischen Störungen.“ Bei den Pflegekräften gebe es zudem große Belastungen des Muskel-Skelett-Systems, sodass höhere Fehlzeiten hiermit erklärbar seien.
Die stellvertretende Vorständin des BKK-Landesverbandes Nordwest, Gaby Erdmann, sagte dem Abendblatt: „Die Auswertung unserer Gesundheitsdaten zeigt, wie wichtig gerade für Beschäftigte aus körperlich und psychisch anspruchsvollen Berufen eine gute und nachhaltige Vorsorge ist. Daher müssen wir unsere guten Angebote in der Primärprävention arbeitnehmernah weiter ausbauen. Die Mittel dazu dürfen nicht stark gekürzt werden, wie Minister Lauterbach dies über das Gesunde-Herz-Gesetz vorhat.“
Videosprechstunden in Schleswig-Holstein gefragter
Die BKK vermutet weitere Gründe für die Unterschiede zwischen Hamburg und Schleswig-Holstein. Es zeige sich, dass ein höherer „Sozialstatus“ zu weniger Fehlzeiten führe. Das hat vor allem mit dem Wissen um die eigene Gesundheit zu tun. Ein „höherer Bildungsabschluss, höheres Ausbildungsniveau und entsprechend komplexere Tätigkeiten in Berufen mit in der Regel höherem Gehalt“ tragen indirekt zu geringerer Zahl an AU-Tagen bei. In Hamburg sei „die Bevölkerung nicht nur jünger, sondern auch tendenziell besser ausgebildet und wohlhabender“. Die BKK will auch nicht verschweigen, dass natürlich auch die ärztliche Versorgung in Hamburg dichter und leichter erreichbar ist als im Land zwischen den Meeren.
Da nimmt es nicht wunder, dass in Schleswig-Holstein (laut neuen Zahlen der AOK Nordwest) die Zahl der Videosprechstunden (13.360 bei AOK-Versicherten in 2023) in einem Jahr um 8,3 Prozent zugenommen hat. In Hamburg war dieser Trend nach der Corona-Pandemie nach Zahlen der Techniker Krankenkasse (TK) wieder rückläufig. Der persönliche Arztbesuch schlägt hier offenbar wieder den digitalen, so die Praxen offen und die Coronaviren verschwunden sind.
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Krankenstand 2024 mit dramatischem Trend
Bei den Krankheitstagen sieht die TK für 2024 bundesweit bereits einen dramatischen Trend. Die bei Deutschlands größter gesetzlicher Krankenkasse versicherten Arbeitnehmer fehlten in den vergangenen sechs Monaten 9,6 Tage im Job (erstes Quartal 2023: 9,5). Vor Corona im Jahr 2019 waren es 7,8 Fehltage. TK-Vorstandschef Jens Baas sagte: „Schon im Februar dieses Jahres haben wir einen Peak bei den Krankenständen gesehen. Dann flachte die Zahl der Krankmeldungen etwas ab und legte im Juni wieder deutlich zu.“
Die atypisch hohe Zahl an Erkältungen und zum Teil Corona-Infektionen war im Frühsommer auch in Hamburg zu verzeichnen. Baas sagte: „Schaut man allein auf die erkältungsbedingten Krankschreibungstage im ersten Halbjahr 2024, scheint sich im Juni eine sommerliche Infektionswelle anzubahnen.“ Die TK hat ermittelt, dass ein Viertel der Krankschreibungen der Arbeitnehmer erkältungsbedingt sind.