Hamburg. Jahre nach der Katastrophe kommt es in Hamburg zum Prozess. Da geht es mehr um technische Daten als um das Schicksal der Seeleute.

Stürmische See mit haushohen Wellen. Und bei diesen gefährlichen Verhältnissen kämpft die Mannschaft eines Frachters aus Hamburg im Atlantischen Ozean ums Überleben. Vergeblich. Die „Scantrader“ geht unter und reißt zwölf Seeleute mit in die Tiefe. „Das Totenschiff“: So lautet der Titel eines Dokumentarfilms, der später über dieses Schiffsunglück vom 11. Januar 1990 gedreht wurde.

„,Das Totenschiff‘: Das klingt ja schon richtig gruselig“, meint Gerichtsreporterin Bettina Mittelacher in „Dem Tod auf der Spur“, dem Crime-Podcast des Hamburger Abendblatts. „Auch wenn das Schiff beziehungsweise das Wrack nie gefunden wurde: Dass es irgendwo auf dem Meeresgrund im Golf von Biskaya vor der Küste Spaniens liegt, gilt als sicher. Das Unglück geschah, nachdem der Zementfrachter ,Scantrader‘ trotz schweren Sturms aus dem Hafen im spanischen Bilbao ausgelaufen ist.“

True Crime Hamburg: Frachter fährt trotz schwerer See los – und geht unter

An jenem Tag herrscht über dem Atlantischen Ozean Südwestwind der Stärke neun, in Böen sogar bis Windstärke elf. Mehrere andere Schiffe haben deshalb den Hafen nicht verlassen. Dass die „Scantrader“ trotz des heftigen Seegangs und der Warnungen ausgelaufen ist, hat einen wirtschaftlichen Hintergrund: Wenn die Ladung, also in diesem Fall der Zement, nicht pünktlich an seinem Zielhafen ankommt, zahlt der Reeder für die Verspätung. Und diese Mehrkosten sollen vermieden werden.

Die „Scantrader“ war zum Zeitpunkt des Untergangs 26 Jahre alt und offenbar deutlich überladen.
Die „Scantrader“ war zum Zeitpunkt des Untergangs 26 Jahre alt und offenbar deutlich überladen. © Bernd-Jürgen P. Fischer

Offenbar hat der Reeder darauf spekuliert oder gehofft, dass der Frachter heil den Hafen erreicht. Aber es kommt ganz anders. Zunächst empfängt die englische Küstenwache zwar noch das Signal eines Rettungsfloßes, aber danach nichts mehr. Am 15. Februar, also vier Tage später, sagt der Geschäftsführer der verantwortlichen Hamburger Reederei: „Wir rechnen mit dem Schlimmsten. Zwei Tage suchen wir noch.“

Windstärke 11 und 20 Meter hohe Wellen: Es gibt noch nicht einmal einen Notruf der Seeleute

Zu dem Zeitpunkt ist das Wetter noch schlechter geworden. Es herrscht dürftige Sicht bei Windstärke 11. Die Piloten der Suchflugzeuge berichten von 20 Meter hohen Wellen. Später wird zur Gewissheit: Der Zementfrachter „Scantrader“, der seit Tagen vermisst wurde, ist im Golf von Biskaya bei stürmischer See gesunken. Und zwar so schnell, dass für die Mannschaft keine Zeit blieb, einen Notruf auszusenden. Alle zwölf Besatzungsmitglieder werden für tot erklärt.

Podcast Logo Dem Tod auf der Spur
Der Podcast „Dem Tod auf der Spur“ mit Rechtsmediziner Klaus Püschel und Gerichtsreporterin Bettina Mittelacher. © Hamburger Abendblatt | Hamburger Abendblatt

„Einige Zeit später werden Vorwürfe laut“, erzählt Rechtsmediziner Klaus Püschel. „Der 26 Jahre alte Frachter habe erhebliche Sicherheitsmängel aufgewiesen, zudem sei er um rund 300 Tonnen überladen gewesen.“ „300 Tonnen! Das hört sich für mich so an, als sei das ein sehr, sehr gefährliches Übergewicht“, ordnet Mittelacher ein. „Bei solchen Regeln, wie viel welches Schiff maximal geladen haben darf, geht es ja um Sicherheit, darum, dass das Schiff nicht zu schwer sein darf, damit keine Wellen übers Deck schlagen und ins Schiff eindringen können.“ Wichtig ist zudem, wo die Ladung verstaut ist, damit für eine stabile Lage des Schiffes gesorgt ist. Deshalb wird in den allermeisten Fällen auch Ballast geladen.

Seeschifffahrts-Experte meint: „Das war kein tragischer Unfall“

„Und genau diese Regeln seien bei der ,Scantrader‘ missachtet worden, heißt es später“, fasst Püschel zusammen. „Ein Experte von der Abteilung Seeschifffahrt des Öffentlichen Transportverkehr kritisierte: ,Das war kein tragischer Unfall.‘“

Im Jahr 1997 kommt es zum Prozess gegen den zuständigen Reeder, einen 67 Jahre Mann. Außerdem sitzt sein damals 39 Jahre alter Sohn mit auf der Anklagebank, der seinerzeit Geschäftsführer der Reederei ist, sowie ein weiterer Geschäftsführer, 57 Jahre alt. Ursprünglich waren die Männer sogar wegen Mordes aus Habgier angeklagt. Der Vorwurf: Sie sollen dem Kapitän des Schiffes die Stabilitätsunterlagen vorenthalten und für die Fahrt der „Scantrader“ eine zu große Ladung geordert haben. Das Schiff sei daraufhin wegen Überladung gesunken. Den Tod der zwölf Besatzungsmitglieder hätten der Inhaber der Reederei sowie die beiden Geschäftsführer billigend in Kauf genommen, heißt es.

„Der Tod der zwölf Seeleute blieb im Prozess ein Randaspekt“

Doch das Landgericht lehnt die Eröffnung des Hauptverfahrens ab. Nach einer Entscheidung des Oberlandesgerichts kommt es schließlich vor dem Amtsgericht zum Prozess wegen gefährlichen Eingriffs in den Schiffsverkehr. Dieser Straftatbestand liegt vor, wenn jemand die Sicherheit des Schiffsverkehrs beeinträchtigt und dadurch „Leib oder Leben eines anderen oder fremde Sachen von erheblichem Wert gefährdet“.

188398_220_cover.jpg

Schiffsuntergang mit zwölf Toten: Opfer spielen keine Rolle

Dem Tod auf der Spur - der True-Crime-Podcast

„Ich habe es damals in meiner Berichterstattung über den Prozess es so formuliert“, erinnert sich Mittelacher: „Der Tod der zwölf Seeleute blieb in dem Verfahren ein ,Randaspekt‘. Andere Dinge wie technische Daten und dergleichen spielten eine größere Rolle. Tatsächlich war der Tod von zwölf Männern auf dem Meer im Sturm ja wirklich tragisch.“

Frachtschiff soll regelmäßig überladen gewesen sein

Zwei der Angeklagten sagen im Prozess, dass sie von einer mangelnden Qualifikation des Kapitäns und des Steuermanns nichts gewusst hätten. Ebenso wenig seien sie darüber in Kenntnis gewesen, dass das Schiff erhebliche Mängel aufwies, dass Stabilitätsunterlagen auf dem Frachter fehlten und dass die „Scantrader“ offenbar regelmäßig zu viel Ladung aufnahm. Und der Geschäftsführer der für die Beladung der „Scantrader“ verantwortlichen Firma räumt zwar ein, regelmäßig angeordnet zu haben, dass 2400 Tonnen Zement bereitzustellen seien, also tatsächlich eine Menge, die die offiziellen Ladekapazitäten überschritt.

Mehr zum Thema

„Aber wie viele an Bord genommen werden“, sagt der Angeklagte, „das hat der Kapitän bestimmt.“ Inwieweit die jeweiligen Schiffsführer allerdings fähig waren, Entscheidungen von solcher Tragweite zu fällen, ist fraglich. So hatte ein Kapitän, der eine Zeit lang zuständig war, polizeilichen Ermittlungen zufolge noch nicht einmal das erforderliche Patent für Große Fahrt. „Und der Steuermann kriegte, als er eingestellt wurde, schon seit zwei Jahren eine Berufsunfähigkeitsrente“, berichtet ein Ermittlungsbeamter als Zeuge. „Der war hochgradig schizophren. Ohne seine Medikamente war er nicht mal in der Lage, seine Hose an- und auszuziehen!“

Prozess Hamburg: Am Ende bleibt der Fall strafrechtlich ungesühnt

Das Urteil des Amtsgerichts lautet schließlich: ein Jahr Freiheitsstrafe auf Bewährung wegen gefährlichen Eingriffs in den Schiffsverkehr für den angeklagten Reeder. Sein Sohn und der dritte Angeklagte werden freigesprochen. Der Fall geht später in die Berufung. Im Prozess vor dem Landgericht erhalten alle drei Angeklagten schließlich eine Freiheitsstrafe von acht Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt wird. Das Gericht sieht es als erwiesen an, dass alle drei die Überladung des 1990 in der Biskaya gesunkenen Zementfrachters angeordnet hatten. Indem sie dem Kapitän wiederholt die Überladung des Schiffes befahlen, hätten sie den Untergang „mittelbar mit verursacht“.

Und schließlich kommt es zu einem dritten Prozess, nachdem der Fall in die Revision gegangen ist. Die Entscheidung des Gerichts im Jahre 2004, also 14 Jahre nach dem Untergang des Hamburger Zementfrachters „Scantrader“: Das Landgericht stellt den Berufungsprozess ein. Grund sei die lange Verfahrensdauer von mehr als 13 Jahren, sagt der Vorsitzende Richter. Es bestehe daher ein „Prozesshindernis“. Der Fall bleibt also strafrechtlich ungesühnt.