Hamburg. Ehepaar wollte Killer für Ex-Partner der Mutter anheuern. Wie das FBI den Fall aufdeckte und wie die Täter bestraft wurden.
Der Mord sollte heimlich geschehen. Ausgeführt durch einen Auftragskiller, professionell, kalt – und gegen Bezahlung. Auftraggeber für diese spektakuläre Verbrechen waren eine Medizinerin und ein Topmanager. Die Anweisungen erteilten sie über das Darknet. Doch dann trat das FBI auf den Plan, die Hamburger Polizei wurde eingeschaltet. Und das Ehepaar, das den Mordauftrag erteilt hatte, landete vor Gericht.
„In diesem außergewöhnlichen Fall werden mehrere besondere Mordmethoden angedacht“, sagt Gerichtsreporterin Bettina Mittelacher im Crime-Podcast „Dem Tod auf der Spur“ des Abendblatts mit Rechtsmediziner Klaus Püschel. „In der Fantasie spielt sich da eine Menge ab, zum Beispiel Ertrinken, nachdem jemand von einem Kreuzfahrtschiff gestoßen wurde, oder auch ein Schuss mit einem Narkosegewehr. Und dann, als todsicheres Mittel, soll in Hamburg ein Auftragskiller auf den Plan treten.“
True Crime: „Die Geschichte ist wie ein spektakulärer Krimi“
„Die ganze Geschichte, die Ende 2021 begann, mutet wirklich bizarr an“, meint Rechtsmediziner Püschel. Neben den Hauptpersonen, den späteren Angeklagten, spielen in diesem verbrecherischen Potpourri auch noch ein paar Gestalten aus dem Darknet eine Rolle, die rätselhaft bleiben. Außerdem schaltet sich der US-amerikanische Inlandsgeheimdienst FBI ein. Und es gibt noch einen unfreiwilligen Darsteller in diesem Drama, nämlich den Ex-Freund der Ärztin, mit dem sie ein gemeinsames Kind hat. „Die Geschichte ist wie ein spektakulärer Krimi und hält insgesamt jede Menge überraschende, spektakuläre Wendungen parat.“
Auslöser für das Geschehen und den Mordauftrag ist der Sorgerechtsstreit um die sechsjährige Tochter, den eine Hamburger Schönheitschirurgin und ihr früherer Partner austragen. Nun schmiedet laut Anklage Lena V. (Name geändert) gemeinsam mit ihrem neuen Ehemann den Plan, wie sie das alleinige Sorgerecht erhalten könne: Professionelle Killer sollen ihren Ex-Freund töten. Es soll so aussehen, als sei der 56-Jährige durch einen Unfall oder einen Raubüberfall ums Leben gekommen. Denn wenn der frühere Partner gemeuchelt wird, sollte man die Spur nicht zu ihr zurückverfolgen können. Sie wollte, dass ihre Weste „so weiß wie eine Schneewolke“ bleibt.
Auftragsmord im Darknet: Anstifter wollten auf jeden Fall unerkannt bleiben
Also ein Job für Profis. Und um solche zu finden, suchte man im Internet nach „Killerservices“. Je nachdem, wie weit so ein Plan voranschreitet, macht man sich auch als Anstifter strafbar. Wenn also die Eheleute als Auftraggeber für den Mord identifiziert werden, wäre für die Eheleute die Wahrscheinlichkeit groß, dass sie alles verlieren: ihr hohes gesellschaftliches Renommee – und was noch viel einschneidender ist: die Freiheit.
„Wenn man bereit ist, es einzufädeln, dass der Vater der eigenen Tochter getötet werden soll, muss sich viel Hass aufgestaut haben“, überlegt Püschel. So war es offenbar bei Dr. Lena V. und ihrem früheren Freund Tom B. (Name geändert). Nach der Geburt ihrer Tochter im Jahr 2016 und der Trennung drei Jahre später wird der Sorgerechtsstreit zunächst halbwegs friedlich geregelt. Doch dann lernt Lena V. über das Internet einen anderen Mann kennen, nämlich den Unternehmer Nils V. (Name geändert). Zwei Monate, nachdem sie ihn im Oktober 2020 erstmals angeschrieben hat, zieht sie mit ihrer Tochter bei ihm ein. Sie nennt ihn „meinen Seelenverwandten“.
Killer gesucht: Die Bezahlung lief laut Anklage in Bitcoin
Doch ihr Glück ist getrübt. Denn sie bekommt durch einen Bandscheibenvorfall so massive gesundheitliche Probleme, dass sie dazu gezwungen ist, ihren Beruf als Ärztin aufzugeben. Als Nils V. ein attraktives Jobangebot in Süddeutschland bekommt, möchte sie ebenfalls in die neue Stadt ziehen. Und die Tochter soll mit. Doch Lena V. scheitert mit einem Antrag beim Familiengericht, dass sie nun allein das Aufenthaltsbestimmungsrecht ausüben wolle. Das Gericht spricht es vielmehr dem leiblichen Vater zu, also Tom B.
Jetzt kommt es zu Ereignissen, die später nicht nur Dr. Lena V., sondern auch ihren neuen Ehemann Nils V. vor Gericht bringen. Laut Anklage war das Ehepaar Anfang 2022 auf einer Website im Darknet aktiv. Dabei suchten sie demzufolge nach Killerservices – und wurden auf einer Website fündig. Der Name der Website lautete demnach: „Nr. 1 hitmen Service“. Laut Ermittlungen haben die Eheleute dort unter einem Pseudonym den Auftrag gepostet, Tom B. umzubringen. Außerdem warf die Anklage dem Ehepaar vor, schon das Honorar für den Mord gezahlt zu haben, nämlich rund 15.000 Dollar in der Kryptowährung Bitcoin.
Betrüger haben im Darknet ein „leichtes Spiel“
Doch Tom B., der das Opfer werden sollte, wurde – glücklicherweise – kein Haar gekrümmt. Denn die Website „Nr. 1 hitmen Service“ wurde von Betrügern betrieben, denen es drauf ankam, Leute in die Falle zu locken und so Geld von Kunden abzuzocken. „Das Kalkül war vermutlich“, überlegt Mittelacher: „Erstens kann im Darknet ein ,unseriöser‘ Anbieter kaum oder gar nicht identifiziert werden. Und zweitens: Wer Opfer eines solchen Betruges wird, wird wohl kaum zur Polizei gehen und sagen: Hey, ich wollte einen Auftragskiller buchen, aber der Anbieter hat nicht geliefert. Ich stelle hiermit Strafanzeige.“
Die Eheleute Lena und Nils V. sollen deshalb einen anderen Weg eingeschlagen haben. Laut Anklage suchten sie sich, nachdem ihr erster Versuch gescheitert war, ebenfalls im Darknet Rat bei einem anderen Nutzer der Website. Diesmal machten sie offenbar deutlich, dass der Mord besonders dringend ausgeführt werden müsse. Auch dieser zweite Auftrag ging ins Leere. Den Ermittlungen zufolge wurde dem Ehepaar Anfang April 2022 mitgeteilt, dass sie einer Betrugsmasche aufgesessen waren. Die Betrüger waren mit dem Honorar auf den undurchsichtigen Pfaden des Darknets verschwunden.
Mordauftrag: Das FBI kam dem Ehepaar auf die Spur – Festnahme
Und nicht nur das: Das FBI, also die amerikanische Bundespolizei, wurde auf den Mordauftrag aufmerksam. Das FBI setzte sich mit den deutschen Ermittlungsbehörden in Verbindung. Lena V. und ihr Mann wurden daraufhin im Juni 2022 festgenommen und kamen in Untersuchungshaft. Schließlich begann der Prozess vor dem Hamburger Landgericht.
„Die Angeklagte Dr. Lena V. war eine zerbrechlich aussehende Frau“, erzählt Mittelacher. „Bei ihr fiel auf, dass sie verstört wirkte, also als wenn sie neben sich stehe. Einen stabileren Eindruck als die Angeklagte vermittelte Nils V., der Ehemann. Er wirkte konzentriert und fokussiert.“ Der 52-Jährige beteuerte, er habe mit der angeklagten Tat nichts zu tun. „Ich habe weder eine Tötung noch die Anstiftung zu einer Tötung geplant“, betonte Nils V. Allein den Verdacht empfinde er als „absurd“. Er könne es sich auch nicht vorstellen, dass seine Frau in einen Mordauftrag involviert sein könne. Wenn überhaupt, dann im Rahmen eines „Ausrasters“, also gewissermaßen einer Kurzschlusshandlung.
Opfer: „Ich habe geweint. Ich hatte auch Ängste.“
Tatsächlich hat Dr. Lena V. vor Gericht ein Geständnis abgelegt, also zugegeben, dass sie auf einer Darknet-Plattform den Auftrag erteilt hat, ihren früheren Partner umbringen zu lassen. Ihr Ehemann habe mit der ganzen Sache nichts zu tun, habe auch nichts davon gewusst, betonte sie.
Das avisierte Opfer Tom B. sagte als Zeuge aus, dass er im ersten Moment vor allem fassungslos war, als er durch die Polizei von dem Mordauftrag erfuhr. „Ich konnte das nicht begreifen“, erzählte der 56-Jährige. „Ich habe geweint. Ich hatte auch Ängste.“ Unter anderem habe er sich gefürchtet, „ins Auto zu steigen und den Schlüssel umzudrehen. Ich hatte auch Ängste um unser Kind.“
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Ein anderer Zeuge, der Dr. Lena V. schon aus Schulzeiten kannte, berichtete von diversen weiteren Ideen der Angeklagten, wie man ihren Ex-Freund töten könne. „Die Frage ist, inwieweit die Überlegungen ernst gemeint waren“, überlegt Püschel. „Aber man war jedenfalls durchaus kreativ. Es ging unter anderem darum, dass mit einem großen Hammer ein Schlag gegen den Kopf versetzt werden könne. Eine andere Idee war, ein Gift einzusetzen, das nur ins Gesicht geschüttet werden müsse. Ein weiteres Thema war das Erschießen mit einer Armbrust sowie das Überbordwerfen des Ex-Freundes von einem Kreuzfahrtschiff, wenn dieser Hanteln an den Füßen hat. Lena V. überlegte auch, ob es ein Gift gäbe, das einen Schlaganfall verursacht.“ Und ob man an eine Schusswaffe kommen könne.
Schließlich verurteilte das Gericht am 4. April 2023 beide Angeklagten wegen versuchter Anstiftung zum Mord. Für Lena V. verhängte die Kammer fünfeinhalb Jahre Freiheitsstrafe. Ihr Ehemann wurde zu fünf Jahren und drei Monaten Haft verurteilt. Dass dieser beteuert hatte, er habe mit der Tat nichts zu tun gehabt, wertete das Gericht als Schutzbehauptung. Zwar hatte Lena V. nach Überzeugung des Gerichts größere Anteile an der Tat und war mehr oder weniger die treibende Kraft. Aber ihr Mann hat sie, das ist laut Kammer nachgewiesen, bei der Suche nach einem Auftragskiller unterstützt und den angeblichen Killer mit Bitcoin bezahlt. Auch Nils V. hatte nach Überzeugung des Gerichts ein Interesse daran, den früheren Partner von seiner Frau umbringen zu lassen. Nicht zuletzt, weil seine eigene Ehe mit Lena V. immer stärker von Krisen belastet war. Die Ermordung des früheren Partners von Lena V. habe dafür „die Lösung sein sollen. Er sollte als Störfaktor aus dem Weg geräumt werden.“
Richterin: „Verbrechen gibt es in allen Gesellschaftsschichten“
Es gibt neben mehreren Zeugenaussagen unter anderem Fotos und Details aus dem E-Mail-Verkehr sowie Briefe und Inhalte aus Telefonaten, auf die das Gericht seine Überzeugung stützt. Dies wurde im Urteil sorgfältig aufgeschlüsselt und eingeordnet. „Man mag sich nicht vorstellen, dass zwei erfolgreiche Menschen so etwas tun“, sagte die Vorsitzende Richterin über den Mordauftrag. „Aber Verbrechen“, fügte sie hinzu, „gibt es in allen Gesellschaftsschichten.“
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