Hamburg. Programme reichen nicht, so Kritiker. Asylbewerber aus sicheren Drittstaaten werden selten dorthin zurückgeführt. Das zeigen neue Zahlen.

Drei von einem Syrer ermordete Besucher eines Festes in Solingen, ein hinterrücks von einem Afghanen in den Nacken erstochener Polizist in Mannheim, ein vor dem israelischen Generalkonsulat in München um sich schießender 18-jähriger Österreicher mit bosnischen Wurzeln: Der islamistische Terror hat zuletzt noch bedrohlichere Ausmaße angenommen. Auch in Hamburg ist die Gefahr gewachsen, die Zahl der hier lebenden Islamisten, die von den Sicherheitsbehörden als gewaltbereit eingestuft werden, hat sich von weniger als 600 im Jahr 2014 auf zuletzt 1520 deutlich mehr als verdoppelt. Wie selbstbewusst muslimische Extremisten in der Hansestadt mittlerweile auftreten, zeigten im Frühjahr Demonstrationen von rund 1100 Menschen, die die Einführung eines Kalifats forderten.

Angesichts dieser Entwicklung unternehme der rot-grüne Senat viel zu wenig, um Islamisten zu bekämpfen und die Ausbreitung des Islamismus in Hamburg einzudämmen, kritisiert die Opposition zuletzt immer deutlicher. Das so starke Wachstum der Gruppe der Islamisten in Hamburg sei nicht nur „besorgniserregend“, sagte Linken-Fraktionschefin Cansu Özdemir dem Abendblatt. Es zeige in Wahrheit auch, „dass das 2014 vorgestellte und 2016 angepasste Senatskonzept ‚Effektive Maßnahmen gegen gewaltbereiten Salafismus und religiösen Extremismus ergreifen‘ total versagt hat und grundlegend überarbeitet werden muss.“

Islamismus Hamburg: „Diese Personen verachten unsere Art zu leben und die Demokratie“

So müsse die Stadt endlich an den Schulen ein einheitliches Aufklärungskonzept zu dem Problem des Salafismus und Dschihadismus einführen. Aufklärungen und Schulungen für Lehrer und Schüler gebe es „lediglich punktuell“, so Özdemir. „Insbesondere junge Menschen müssen sich in der Schule mit der Thematik der Radikalisierung, des Salafismus und Dschihadismus auseinandersetzen können, um gerade die gewaltbereiten Strömungen ethisch einordnen zu können.“ Einen entsprechenden Antrag, in dem die Linke mehr Engagement gegen das Agieren von Islamisten auf sozialen Plattformen wie TikTok gefordert hatte, lehnte die rot-grüne Mehrheit in der Bürgerschaft im Frühjahr ab.

Auch die CDU fordert mehr Maßnahmen gegen den Islamismus. „Die erst kürzlich öffentlichen Machtdemonstrationen durch radikale Islamisten auf dem Steindamm sprechen eine deutliche Sprache“, sagt der CDU-Fraktionschef Dennis Thering. „Diese Personen verachten unsere freie Art zu leben, unsere Demokratie und unsere westlichen Werte. Obwohl die reale Gefahr durch Anschläge bekannt ist, tut der rot-grüne Senat deutlich zu wenig, um ausreisepflichtige Personen auch wirklich zurückzuführen.“

In einem aktuellen Bürgerschaftsantrag fordert die CDU den rot-grünen Senat auf, sich beim Bund dafür einzusetzen, dass auch ausreisepflichtige Syrer und Afghanen abgeschoben werden, und „sämtliche Sozialleistungen“ für alle ausreisepflichtige Menschen gestrichen werden. Zudem sollten Asylbewerber aus Syrien und Afghanistan nicht mehr aufgenommen werden, und es müsse „dauerhafte Grenzkontrollen mit konsequenten Zurückweisungen auf Basis des Dublin-Systems bei illegalen Einreisen“ geben.

Nach dem Dublin-Abkommen ist der EU-Staat für das Asylverfahren zuständig, das der Geflüchtete zuerst betritt. Reist er danach in ein anderes EU-Land weiter, so kann er gemäß dem Abkommen dorthin zurückgeschickt werden. Dabei gilt es aber, Fristen zu beachten, sechs Monate im Normalfall, zwölf Monate im Falle einer Haft und 18 Monate beim Untertauchen des Flüchtlings.

Abschiebungen: Gerade einmal acht Prozent der Dublin-Fälle werden zurückgeschickt

Nach jüngsten Zahlen werden aber gerade mal acht Prozent aller Geflüchteten, die unter das Dublin-Abkommen fallen, in das Land zurückgeschickt, aus dem sie nach Deutschland gekommen sind: Von Januar bis August 2024 fielen laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) 49.650 Flüchtlinge unter das Dublin-Abkommen, aber nur in 28.470 Fällen erklärten die Mitgliedstaaten ihre Bereitschaft zur Rücknahme. Und von dieser Zahl gelang die Rückführung in gerade einmal 3948 Fällen. Mithin: In gerade einmal rund 14 Prozent der Fälle, in denen dies möglich gewesen wäre, wurden die Flüchtlinge aus Deutschland in den sicheren Drittstaat zurückgebracht.

Auch der Attentäter von Solingen hätte nach dem Dublin-Abkommen längst, in seinem Fall, nach Bulgarien geschickt werden können. Die Behörde aber hatten dies versäumt. In Hamburg erstach im Jahr 2017 ein damals 26 Jahre alter Palästinenser einen Mann und verletzte fünf andere. Die Behörden hatten es versäumt, ihn gemäß dem Dublin-Abkommen fristgerecht nach Norwegen zurückzuschicken, von wo er eingereist war.

Dublin-Fälle: So viele Flüchtlinge aus sicheren Drittstaaten leben derzeit in Hamburg

Mit Stand Ende Juli gab es in Hamburg 1047 Flüchtlinge, die nach dem Dublin-Abkommen in sichere Drittstaaten zurückgeschickt werden müssten. Das teilte die Innenbehörde auf Abendblatt-Anfrage mit. Insgesamt befanden sich demnach am 31. Juli 8666 Menschen in einem Asylverfahren in Hamburg. Die Hansestadt sei bei der Rückführung von Menschen, die aus sicheren Drittstaaten eingereist sind, deutlich erfolgreicher als andere, da Dublin-Fälle hier vorrangig behandelt würden, sagte der Sprecher von Innensenator Andy Grote (SPD), Daniel Schaefer, dem Abendblatt. In Hamburg würden mehr als 32 Prozent aller unter das Dublin-Abkommen fallende Flüchtlinge zurückgeführt, zu deren Aufnahme sich ein anderes EU-Mitgliedsland bereits bereit erklärt habe, so der Innenbehördensprecher – und damit deutlich mehr als die oben genannten 14 Prozent im Bundesdurchschnitt.

Der Senat betont derweil, dass es bereits zahlreiche Programme dafür gebe, um zu verhindern, dass junge Menschen in Hamburg in den Islamismus abdriften. Im Zentrum stehe dabei die Fachstelle Legato, die sich laut Sozialbehörde „sowohl an radikalisierungsgefährdete bzw. radikalisierte Jugendliche und Erwachsene selbst, aber auch an deren soziales Umfeld wendet und neben einer systemischen Beratung auch Qualifizierungsarbeit für Fachkräfte anbietet“. Zudem gebe es eine enge Zusammenarbeit mit muslimischen Verbänden zur Islamismus-Prävention, und der städtische Betreiber der Flüchtlingsunterkünfte arbeite ebenfalls mit Legato zusammen. Auch der gemeinsame Religionsunterricht für alle Religionen gilt in Hamburg als eine wirksame Maßnahme gegen eine religiöse motivierte Radikalisierung. Zudem gebe es nun ein Projekt, um der Radikalisierung auf Internet-Plattformen wie TikTok entgegenzuwirken.

Radikalisierung von jungen Menschen nicht mehr in Moscheen, sondern im Internet

„Derzeit greift die islamistische Szene verstärkt weltpolitische Geschehnisse auf, um ihre extremistische Propaganda zu verbreiten, und nutzt insbesondere soziale Medien, um vor allem junge Menschen für ihre Zwecke zu gewinnen, wodurch präventive Ansätze vor neue Herausforderungen gestellt werden“, so die für die Prävention zuständige Sozialbehörde. „Deshalb gilt es, weiter Aufklärungs- und Sensibilisierungsarbeit zu leisten.“

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Auch der SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Kazim Abaci betont: „Der Islamismus hat sich weiterentwickelt und wird heute nicht mehr nur durch Hasspredigten in Moscheen verbreitet. Er ist zunehmend geprägt von einer Generation TikTok, die den Islamismus als Lifestyle inszeniert und für die es neue Konzepte braucht.“ Deshalb habe der rot-grüne Senat in Hamburg den Verfassungsschutz personell verstärkt, so Abaci. „So bekommen wir einen besseren Überblick über die Szene und ergänzen die bestehenden Präventionsprogramme.“

Flüchtlinge Hamburg: Auch eine psychologische Betreuung ist wichtig

Es sei in der aktuellen Lage wichtig, „die Maßnahmen im Bereich der Prävention zu stärken und miteinander noch stärker zu verzahnen“, sagte Abaci dem Abendblatt. Dabei spielten nicht nur die Schulen eine wichtige Rolle. „Hamburg hat schon im Zuge der Flüchtlingswelle 2015/16 die psychologische Betreuung und Begleitung von Geflüchteten als wichtige Maßnahme auf den Weg gebracht“, so Abaci. „Diese müssen wir uns noch genauer ansehen und falls nötig auch nachsteuern.“

Kürzlich hatte der SPD-Mann vorgeschlagen, die Flüchtlinge, die nicht regulär arbeiteten, gemäß den bereits bestehenden gesetzlichen Möglichkeiten zu gemeinnütziger Arbeit anzuhalten. Das könne die Integration befördern und der Gefahr einer Radikalisierung entgegenwirken. Mit seinem Vorschlag hatte Abaci eine hitzige Debatte ausgelöst. Er selbst betont, dass gemeinnützige Arbeit „nichts Abwertendes und keine Strafe“ sei, „sondern ein erster Schritt zur gesellschaftlichen Teilhabe“.

Im Herbst will der Senat einen umfassenden Bericht über die aktuellen Entwicklungen beim Thema Islamismus vorlegen. Dabei geht es laut Sozialbehörde auch um die „Auswirkungen des Nahostkonflikts auf die Lage in Hamburg oder die steigende Rolle des Internets“. Auch seine „darauf ergriffenen Maßnahmen zur Prävention“ sollen dann „detailliert benannt werden“.