Hamburg. Gute Betreuung, stark in Englisch, aber zwei Bereiche machen den Forschern Sorge. Schüler, die nicht richtig Deutsch können, werden abgehängt.

Die gute Nachricht gab es schon vor wenigen Tagen: Hamburg hat in einer aktuellen wirtschaftsnahen Studie im Vergleich der Schulsysteme der Bundesländer Rang 3 erreicht. Im Vorjahr lag das Bildungssystem in dem Stadtstaat der jährlichen Vergleichsstudie der arbeitgebernahen Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) zufolge noch auf Platz 4. Seit 2013, dem ersten Jahr mit neuer Methodik, haben sich das Saarland und Hamburg am stärksten verbessert. Am Dienstagvormittag nun wurden die Einzelheiten vorgestellt. Und sie zeigen, wo Hamburgs Schulen spitze sind – und wo nicht.

So erreicht Hamburg den bundesweit den Spitzenplatz bei der Internationalisierung. Begründung: Fast alle Grundschülerinnen und Grundschüler in Hamburg (98,9 Prozent) wurden im Jahr 2022 in Fremdsprachen unterrichtet (Bundesdurchschnitt: 52,8 Prozent).

Der Anteil der Berufsschülerinnen und Berufsschüler mit Fremdsprachenunterricht betrug im Jahr 2022 in der Hansestadt 85,9 Prozent und fiel damit ebenfalls ausgesprochen hoch aus (Bundesdurchschnitt: 49,9 Prozent). Die Hamburger Schülerinnen und Schüler haben in der englischen Sprache ein weit überdurchschnittliches Hör- und Leseverständnis. Sie belegen hier unter allen Bundesländern den 1. bzw. 2. Platz.

Schulen in Hamburg – ihre weiteren Stärken:

  • Die Sachausgaben an Schulen und Hochschulen sind relativ hoch.
  • In Grundschulen kommen rechnerisch wenige Kinder auf eine Lehrkraft. Ein Lehrer betreut 14 Kinder, im Bundesdurchschnitt sind es 16.
  • Fast alle Kinder und Jugendlichen besuchen eine Ganztagsschule, sind also in Ganztagsbetreuung. 98,6 Prozent der Hamburger Grundschülerinnen und Grundschüler lernten im Jahr 2022 an einer offenen oder gebundenen Ganztagsschule Im Bundesdurchschnitt sind es gerade einmal 49,5 Prozent. Damit steht Hamburg an der Spitze aller Bundesländer. Gleiches gilt für den Anteil der Schülerinnen und Schüler in der Sekundarstufe I, die ganztags betreut werden. Hier erreichte Hamburg einen Wert von 97,8 Prozent, der Durchschnitt liegt bei 48,6 Prozent.
  • Ausbildungsstellenangebot und Erfolgsquote der dualen Ausbildung sind hoch. Mit 71,9 Prozent lag die Ausbildungsstellenquote im Jahr 2023 über dem Bundesdurchschnitt von 68,7 Prozent. Die Quote der Unversorgten (7,4 Prozent) fiel in Hamburg ebenfalls besser aus als im Bundesdurchschnitt (8 Prozent). Gleichzeitig war die Erfolgsquote der Berufsschülerinnen und Berufsschüler in der dualen Ausbildung mit 91,4 Prozent relativ hoch (Bundesdurchschnitt: 88,2 Prozent).

Hamburgs Schwächen: Verbesserungspotenziale sehen die Autoren der Studie vor allem bei Bildungsarmut und Schulqualität, wo die Hansestadt jeweils den zehnten Platz im Ländervergleich belegt.

  • Bildungsarmut: Trotz Fortschritten erreichen viele Kinder nicht die Mindeststandards an Kompetenzen. Bei der Überprüfung der Bildungsstandards im Lesen für die Neuntklässlerinnen und Neuntklässler aus dem Jahr 2022 erreichten 16,5 Prozent der Hamburger Schülerinnen und Schüler nicht den Mindeststandard (Bundesdurchschnitt: 15,2 Prozent). In Hamburg mussten im Jahr 2022 jedoch etwas weniger Schülerinnen und Schüler die Schule ohne Abschluss verlassen (6,3 Prozent) als in anderen Bundesländern (Bundesdurchschnitt: 6,8 Prozent)
  • Schulqualität: Die Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler sind leicht unterdurchschnittlich. Die Kompetenzerhebung für die Viertklässlerinnen und Viertklässler aus dem Jahr 2021 zeigt, dass die Schülerinnen und Schüler in Mathematik durchschnittliche Kompetenzen und im Lesen und im Hörverständnis überdurchschnittliche Kompetenzen aufweisen. In der aktuellsten Kompetenzerhebung für die Neuntklässlerinnen und Neuntklässler aus dem Jahr 2022 erreicht Hamburg im Lesen einen leicht unterdurchschnittlichen Wert, sowohl bei der Betrachtung aller Schulen als auch bei einer separaten Betrachtung der Gymnasien.

Bildung und Migration: Was den Forschern Sorge macht

Die Vergleichsstudie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) im Auftrag der INSM untersucht anhand von 98 Indikatoren in 13 Handlungsfeldern die Bildungssysteme der Länder – inwieweit ein Bundesland Bildungsarmut reduziert, zur Fachkräftesicherung beiträgt und Wachstum fördert. Die besten Ergebnisse erreichen Sachsen und Bayern vor Hamburg.

„Bundesweit haben sich von 2013 bis heute die Ergebnisse in den Handlungsfeldern Internationalisierung, Förderinfrastruktur und Betreuungsbedingungen am stärksten verbessert“, sagte Studienleiter und Bildungsökonom Professor Dr. Axel Plünnecke vom IW in Berlin. „In den Handlungsfeldern Integration, Schulqualität und Bildungsarmut sind die Herausforderungen hingegen deutlich gestiegen.“

Schule: Mangelnde Deutschkenntnisse ein Problem

Ein Aspekt bereitet den Autoren der Studie besondere Sorgen, deshalb setzen sie hier einen Schwerpunkt: Mangelnde Deutschkenntnisse von Schülerinnen und Schülern belasten deren schulische Leistungen. Nicht der Migrationshintergrund generell, aber fehlende Deutschkenntnisse und Bildungsferne der Eltern hätten stark negative Auswirkungen auf die Bildungs- und späteren Arbeitsmarktchancen von Zuwandererkindern, so das Ergebnis des neusten INSM-Bildungsmonitors. „Die Studie zeigt, dass nicht Zuwanderung das Problem im Bildungsbereich verschärft, sondern die unzureichende Integration der Kinder bildungsferner Familien”, sagt INSM-Geschäftsführer Thorsten Alsleben.

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Damit würden erhebliche demografische Potenziale ungenutzt gelassen. 15-jährige Kinder mit Migrationshintergrund weisen im Durchschnitt geringere Kompetenzen im Lesen, in Mathematik und in den Naturwissenschaften auf. Die Analysen der IW-Bildungsexperten zeigen, dass Kinder in den PISA-Kompetenzen dann schlechter abschneiden, wenn die Eltern gering qualifiziert sind, wenn wenig Bücher zu Hause vorhanden sind und wenn im Elternhaus nicht deutsch gesprochen wird. Der Migrationsstatus an sich hat keinen signifikanten Effekt. Dies zieht sich durch bis hin zur Arbeitsmarktintegration.

Studie: Sprachförderung der Kinder von zentraler Bedeutung

Die IW-Experten zeigen durch Auswertungen von PISA- und SOEP-Daten weiterhin, dass Kleinkindern mit Migrationshintergrund weniger oft Bücher vorgelesen werden und sie seltener über einen längeren Zeitraum den Kindergarten besuchen. Besonders groß sind die Herausforderungen bei Kindern, die selbst zugewandert sind. Rund 40 Prozent dieser Kinder hat kein Elternteil mit guten deutschen Sprachkenntnissen und ihnen steht seltener ein eigener Raum für die Hausaufgaben zur Verfügung.

„Über 40 Prozent der Kinder im Alter unter 15 Jahren haben einen Migrationshintergrund. Die Zuwanderung stellt damit ein großes Potenzial dar, die demografische Herausforderung bei der Fachkräftesicherung zu meistern“, so Studienleiter Plünnecke: „Gute Lese- und Sprachkompetenzen sind der Schlüssel, diese Potenziale zu heben.“ Deshalb müsse der volle Fokus der Bildungspolitik darauf liegen, zielgerichtet die Kinder zu fördern, die aus bildungsfernen Haushalten stammen und die zu Hause nicht gut in der deutschen Sprache gefördert werden können.

Startchancen-Programm sollte vervierfacht werden

INSM-Geschäftsführer Alsleben kritisiert die Bildungspolitik: „Wir haben hier riesige Potenziale, die uns helfen können, die Herausforderungen unserer überalternden Gesellschaft zu meistern. Doch die Politik kümmert sich nicht richtig darum.“ INSM und die Bildungsökonomen des IW fordern, dass viel gezielter in die frühkindliche Bildung investiert wird. Die Kinder mit Sprachdefiziten müssten bundesweit im Alter von vier Jahren durch verpflichtende Tests identifiziert werden, und für sie müsste eine Pflicht gelten, damit die Defizite aufgeholt werden können, bevor sie in die Schule kommen. In Hamburg wird dies mit der Vorstellung der Viereinhalbjährigen bereits umgesetzt.

Schule: Was Hamburg deutlich besser macht

Alsleben fordert, das Startchancenprogramm für benachteiligte Schüler deutlich auszuweiten. So dürften nicht nur rund zehn Prozent der Schulen mit einem ungünstigen Sozialindex besonders gefördert werden, sondern das Programm sollte auf rund 40 Prozent der Schulen ausgeweitet werden.

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Hamburg hat als Langstreckenläufer für bessere Bildung über viele Jahre die richtigen Prioritäten gesetzt“, kommentiert Peter Golinski, Geschäftsführer Bildung, Arbeitsmarkt, Fachkräfte bei Nord-Metall und AGV Nord. Die intensive Betreuung der Schülerschaft durch einen frühen und konsequenten Ausbau des Ganztagsangebots stehe dabei an vorerster Stelle. Aber: Auf die Grundkompetenzen Mathematik, Lesen und Hörverstehen müsse noch ein größerer Fokus gelegt werden, betont Golinski.

„Sie sind essenziell für einen erfolgreichen Übergang in das Berufsleben.“ Die systematisierte Sprachstandserhebung vor der Grundschule und die Sprachförderung Zugewanderter legten wichtige Grundlage für spätere Lernerfolge, sie sollten früher und noch intensiver stattfinden. „Hamburg beweist insgesamt, dass der Niedergang der schulischen Bildung und die Chancenminimierung vor allem unter Schülerinnen und Schülern mit ausländischen Wurzeln kein Gottgegebenes Großstadtschicksal sind.“