Hamburg. Die scharfe Kritik des CDU-Chefs an der Asylpolitik ist überfällig. Deutschland kann in Europa nicht länger eine Sonderrolle spielen.

Die deutsche Asylpolitik erinnerte zuletzt an das Spiel Jenga, bei dem man Holzblöcke aus dem Fundament eines Turmes zieht, um ihn weiter zu erhöhen. Der Turm hält erstaunlich lange, aber wird wackeliger. Seit 2015 hat die Bundesrepublik rund vier Millionen Flüchtlinge aufgenommen – und es hat irgendwie geklappt. Fragil und wackelig wirkte zuletzt die Politik angesichts des Zuwanderungsstresses. Und doch hat es das Land immer wieder geschafft, neue Unterkünfte gefunden, Integrationsprogramme aufgelegt, zusätzliche Schulklassen eingerichtet, weitere Milliarden bewilligt.

Doch wie beim Spiel Jenga hält der Turm nicht ewig und bricht zusammen. Solingen könnte für diesen Zusammenbruch stehen. Seit der Terrorattacke, die ausgerechnet beim Fest der Vielfalt verübt wurde und drei Menschen das Leben kostete, hadert das Land mit einer Migrationspolitik, die von weiten Herzen, aber weniger von kühlem Verstand geleitet war. Die Illusion der Merkel‘schen Politik sind in dieser Nacht zerstoben.

Nach Solingen: Die Wurzel des heutigen Übels liegt im Jahr 2015

Was wir jetzt erleben, ist das Ergebnis einer historischen Fehlentscheidung. Und die traf Kanzlerin Angela Merkel 2015 unter dem donnernden Beifall von Aktivisten und Medien in einer Großen Koalition. Es ist wichtig, sich dessen zu erinnern.

Damals wunderte sich der einstige US-Außenminister Henry Kissinger, dass ein Land seine Außengrenzen nicht verteidige, sondern sie öffne. „Das hat es seit einigen Tausend Jahren nicht mehr gegeben.“ Zugleich warnte er vor einem Punkt, „an dem die Transformation der sozialen und politischen Strukturen beginnt. Das werde zwangsläufig passieren, warnte der vor den Nazis geflohene Jude aus Fürth, „wenn man es mit Gruppen zu tun hat, die die grundlegenden Werte der westlichen Gesellschaft nicht akzeptieren.“

Die Bilanz der Integration fällt zwiespältig aus

Auch wenn die Integration von vielen gut geklappt hat, bei nicht wenigen ist sie gescheitert. Und schlimmer noch: Manche Schutzsuchende werden zur Gefahr. Die Explosion der Messerkriminalität lässt sich nicht von Zuwanderung trennen – jeder dritte Täter ist Asylbewerber oder Flüchtling. Auch der Terror hat mit Migration zu tun: Was mit dem vermeintlichen Flüchtling Anis Amri begann, der mit einem Lkw in Berlin 13 Menschen ermordete, zieht sich weiter: Ein Islamist ermordete aus Schwulenhass 2020 einen Homosexuellen in Leipzig, ein Somali vier Passanten in der Würzburger Innenstadt, ein palästinensischer Flüchtling erstach zwei junge Menschen im Regionalzug in Brokstedt, ein Palästinenser erstach 2017 einen Kunden im Edeka-Markt in Barmbek, weil er Christen töten wollte. Hinzu kommen Dutzende vereitelter Terroranschläge und Attacken.

Das zu sagen, halten einige schon für rechts. Längst ist die Debatte so vergiftet, dass sich viele lieber zweimal auf die Zunge beißen, als missverstanden zu werden. Man kann die Untaten totschweigen aus der nachvollziehbaren Angst, den Falschen zu nützen. Aber dann wächst das Unheil weiter.

Auch Demokraten müssen Tacheles reden

Deshalb ist die klare Ansage von Friedrich Merz hilfreich. Selten hat ein Politiker aus der (rechten) Mitte so Position bezogen und betont, dass es ganz anders werden muss. Er fordert einen Stopp der Zuwanderung aus Afghanistan und Syrien. Das geht weit, sehr weit und ist rechtlich schwierig.

Aber Deutschland muss diskutieren, warum Schutzsuchende aus Syrien mindestens sechs und Flüchtlinge aus Afghanistan sogar sieben Grenzen überschreiten müssen. Sind sie vorher nirgends in Sicherheit? Im Grundgesetz Artikel 16a heißt es klar: „Politisch Verfolgte genießen Asyl.“ Und dann: „Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen“, wer aus einem Mitgliedsstaat der EU oder aus einem sicheren Drittstaat einreist.

Asylpolitik: Zurückweisungen sind europäischer Konsens

Zurückweisungen wären möglich und waren im September 2015 vorbereitet, bevor Merkel ihren Innenminister stoppte. Wenn Merz sich so klar positioniert, räumt er das heillose Erbe der früheren CDU-Chefin endlich ab. Das mag vielen Deutschen radikal erscheinen.

Aber im europäischen Kontext ist das Konsens. Ob das liberale Frankreich, die konservative Regierung in Schweden oder die Sozialdemokraten in Dänemark – sie alle wollen Migration zurückführen oder gar auf null senken. Das sind keine bösen Menschen, vielmehr wissen sie, dass Integration eine Frage des Maßes ist. Je mehr Zuwanderer kommen, umso schwieriger wird sie.

Man kann und darf sich an Merz stören

Das Gute an der Demokratie ist, dass man sich an Merz´ Ausführungen stören kann und darf. Wem das zu rechts ist, der hat in Deutschland reichlich Auswahl – gerade die Grünen plädieren für offene Grenzen. Auch das ist ihr gutes Recht. Nur ob es eine so kluge Idee ist, steht dahin. Die Linkspartei zog mit der Flüchtlingsaktivistin und Seenotretterin Carola Rackete in den Europawahlkampf im Juni. Die Partei hat sich mehr als halbiert und landet mit 2,7 Prozent im politischen Nirwana.

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Es geht auch darum, die AfD zu stoppen. Die Kritik an der Flüchtlingspolitik hatte sie lange exklusiv, was sie von der Splitterpartei bis an die 20 Prozent geführt hat. In ihrer Radikalisierung und in ihrem völkischen Denken ist sie längst zu einer Gefährdung für das System geworden. Da ist jeder zurückgewonnene Wähler ein Gewinn für die Demokratie.

Hilfreich wäre eine Reform in der Asylpolitik, die von allen demokratischen Kräften getragen wird: Ein Konsens, der weniger Zuwanderung und Zurückweisungen mit besseren Integrationsbemühungen verbindet. Das wird ein Solingen nicht verhindern. Aber es kann eine aufgeschreckte Gesellschaft beruhigen. Es ist an der Zeit.