Hamburg. Ein Drittel der Stadt zugebaut: 2020 hat Rot-Grün Entsiegelungskonzept angekündigt. Passiert ist bisher nichts. Was sich nun ändern soll.

Die vielen versiegelten Flächen sorgen in Städten dafür, dass die Hitze sich an heißen Tagen wie zuletzt in Hamburg staut und die Belastung für die Bewohner deutlich größer ist als auf dem freien Land. Zugleich kann bei starker Versiegelung das Wasser bei Starkregen nicht abfließen und versickern. Stattdessen überschwemmt es dann Straßen und Keller. Um sich dem Klimawandel mit immer heißeren Tagen und mehr Starkregen anzupassen, versuchen Städte daher weltweit, Flächen zu entsiegeln und so für Abkühlung und Versickerungsmöglichkeiten zu sorgen. Auch SPD und Grüne haben sich dieses Ziel gesetzt und im Koalitionsvertrag von 2020 ein Entsiegelungsprogramm angekündigt. Allerdings: Ein solches Programm oder Konzept gibt es bis heute nicht.

Angesichts der auch vom grünen Umweltsenator Jens Kerstan immer wieder betonten Wichtigkeit des Themas „können wir uns nur wundern, warum die Entsiegelungsstrategie für Stadtflächen aus dem rot-grünen Koalitionsvertrag bis heute noch immer nur angesprochen und nicht umgesetzt wird“, sagte der Hamburger Landesgeschäftsführer des Bundes für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND), Lucas Schäfer, jetzt dem Abendblatt.

„Schwammstadt“ – so könnte Hamburg Flächen entsiegeln

Bezeichnend hierfür sei, das der „letzte Bearbeitungsstand der städtischen Bodenversiegelungskarte Hamburgs aus dem Jahr 2021“ stamme. „Seitdem wartet die Bevölkerung vergebens auf gute Neuigkeiten“, so Schäfer. „Der BUND nimmt Stadtentwicklungssenatorin Karen Pein (SPD) und den gesamten Senat in die Pflicht und fordert als Schwerpunkt der verbleibenden Legislaturperiode sowie des bevorstehenden Bürgerschaftswahlkampfs eine funktionierende städtische Klimaanpassung und dazu geeignete Strategien wie das Konzept Hamburgs als ,Schwammstadt‘ ein.“ Nach dem Konzept soll Regenwasser lokal aufgesaugt und gespeichert werden durch Rückhalte- und Grünflächen sowie Feuchtgebiete.

Inspiration für den Senat gebe es dafür laut BUND beim nordischen Nachbarn: „Die dänische Metropole Kopenhagen setzt bereits seit über zehn Jahren entsprechende Schutzmaßnahmen um, darunter die konsequente Entsiegelung von Flächen im öffentlichen Raum, wodurch die Aufenthaltsqualität in der Stadt deutlich erhöht wurde, und die Anpassungsfähigkeit der Stadt an Extremwetterereignisse klar verbessert.“

Versiegelung Hamburg: Erst seit Kurzem ist das Ausmaß erkannt

Mithilfe einer neuen, auf künstliche Intelligenz (KI) gestützten Methode hat der Senat kürzlich ermittelt, dass in Hamburg im Jahr 2022 insgesamt 31 Prozent der Flächen versiegelt, also überbaut oder gepflastert und geteert waren. So hat man nun zwar endlich nach vielen Jahren eine vorher fehlende halbwegs tragfähige Datengrundlage. Damit ist aber noch keine Quadratmeter Stadtfläche entsiegelt.

Kritik an der noch immer fehlenden Entsiegelungsstrategie gibt es aktuell auch von der Linksfraktion in der Bürgerschaft. Sie schlägt in einem Bürgerschaftsantrag nun vor, dass die Bezirke Geld für entsiegelte Flächen bekommen sollen, eine Art „Entsiegelungs-Cent“. Dafür solle die Stadt „den Bezirken auf dem Weg einer Rahmenzuweisung für entsiegelte Flächen eine entsprechende Kompensation zukommen zu lassen, um eine Entsiegelungsoffensive in Hamburg zu starten“, heißt es in dem Linken-Antrag. „Dabei ist die Rahmenzuweisung so lange ab Entsieglung jährlich zu zahlen, wie die Fläche entsiegelt ist.“

Linken-Vorschlag: Bezirke sollen Geld für Entsiegelung bekommen

„Bei ungünstigen Wetterbedingungen wird es viel zu warm in unserer Stadt“, sagte Linken-Umweltpolitiker Stephan Jersch. „Und das geht vor allem erst mal zulasten vulnerabler Gruppen. Die im Koalitionsvertrag vor vier Jahren versprochene Entsiegelungsstrategie ist immer noch nicht umgesetzt. Abhilfe schaffen hier unversiegelte Böden – sie sind entscheidend wichtig nicht nur für den Naturschutz und die Artenvielfalt, sondern auch bei Hitze und Starkregen. Wir müssen Hamburg besser auf die Auswirkungen des Klimawandels vorbereiten. Und wenn der Senat schon selbst ausfällt, muss er wenigstens die Bezirke bei der Unterhaltung von entsiegelter Flächen unterstützen – und dazu brauchen die dann entsprechende Mittel.“

Die Umweltbehörde verwies auf Nachfrage darauf, dass die KI-gestützten Erhebungen zum Versiegelungsgrad derzeit für die Luftbilder der Jahre 2021 und 2022 angepasst werde, um bald erste chronologische Aussagen zu ermöglichen. Noch in diesem Jahr solle ein Förderprogramm zur Entsiegelung von privaten Wohn- und Gewerbegrundstücken in Kraft treten. Die Förderung betrage bis zu 50 Prozent für Privatpersonen bzw. bis zu 30 Prozent für Unternehmen und sonstige Organisationen. Zudem sei „die Betrachtung von Entsiegelungspotenzialen insbesondere in den Hitzehotspots geplant“.

Rot-grüne Koalition wartet auf konkreten Vorschlag der Umweltbehörde

Vom Linken-Vorschlag eines Entsiegelungs-Cents für die Bezirke hält man in der Behörde von Umweltsenator Kerstan nicht so viel. „Da Entsiegelungspotenziale in Hamburg eher lokal und sehr kleinteilig vorhanden sind, wäre eine separate Finanzierung von Kleinstflächen mit einem sehr hohen Verwaltungsaufwand verbunden“, sagte Umweltbehördensprecherin Birgit Seitz. „Die Entwicklung von Ver- und Entsiegelung auf Basis der KI-gestützten Betrachtung könnte in den nächsten Jahren Hinweise über einen flächenmäßig erhöhten Pflegeaufwand geben.“

Und doch wartet man auch in der rot-grünen Koalition auf die fehlenden Vorarbeiten aus der Umweltbehörde. „Wir haben keinen Zweifel daran, dass die Behörde hier in den kommenden Monaten einen konkreten Vorschlag vorlegen wird“, sagte SPD-Umweltpolitiker Alexander Mohrenberg. „Unabhängig davon gibt es schon jetzt eine enge Zusammenarbeit mit den Bezirken bei der Entsiegelung von Flächen, die bislang für Wohnungsbau oder Gewerbe genutzt wurden. Unter anderem in der HafenCity, auf dem Grasbrook, bei der Neuen Mitte Altona oder der Deckelung der A7 haben wir erhebliche Erfolge in der Entsiegelung von Flächen erzielt.“

Klimaanpassung Hamburg: Es braucht nicht nur den Willen, sondern auch das Geld

Auch Grünen-Umweltpolitikerin Ulrike Sparr hebt hervor, dass es nach vielen Umbauten derzeit deutlich mehr Grün gebe, etwa an der Louise-Schröder-Straße, der Königstraße und am Jungfernstieg. „Für die Zukunft ist es wichtig, dass das gedankenlose ‚praktische Versiegeln‘ von unbebauten Flächen verhindert wird“, so Sparr.

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Und der Hamburger Chef des Naturschutzbundes Nabu Hamburg, Malte Siegert, betonte, dass zwei Dinge wichtig seien: der politische Wille, mehr Flächen zu entsiegeln – und das dafür nötige Geld. Durch die Nabu-Volksinitiative „Hamburgs Grün erhalten“ war erst klar geworden, dass Hamburg gar keine verlässlichen Daten zum Versiegelungsgrad besaß, sodass schließlich die Erhebung mittels KI eingeführt wurde.