HafenCity. Baugemeinschaft am Lohsepark sieht Lebensqualität gefährdet und bittet Bürgerschaft um Hilfe. Was die Regierungsfraktionen sagen.
Hamburg wird wärmer und nasser infolge des Klimawandels – das hatte der Deutsche Wetterdienst (DWD) schon 2015 nach einer Studie bilanziert, in der es um die mögliche Klimaentwicklung der Hansestadt bis zur Mitte des Jahrhunderts ging. Dass Hamburg sich auf mehr Hitzestress einstellen sollte, ist also schon länger bekannt.
Mit der jüngst von der Umweltbehörde vorgestellten Stadtklimaanalyse 2023 wird allerdings deutlicher denn je klar, wie unterschiedlich Hamburgs Quartiere von Hitzestress betroffen sein könnten: Vor allem in der inneren Stadt gibt es stark verdichtete und versiegelte Viertel, in denen sogenannte Wärmeinseln „zunehmend ein Problem“ werden könnten, wie Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) bei der Vorstellung des Berichts sagte.
HafenCity Hamburg: Baugemeinschaft ist „tief beunruhigt“
Konkret geht es um sogenannte autochthone Wetterlagen, die in den Sommermonaten der Behörde zufolge „oftmals“ auftreten: sehr warme und heiße Tage mit schwachem Wind, an denen der Luftaustausch eingeschränkt ist – eine Belastung für die Gesundheit vor allem in den Nächten, die ja eigentlich zur Erholung von heißen Sommertagen dienen sollen. Konkret kommt es der Analyse zufolge in Hamburg im langjährigen Mittel im Juni, Juli und August an 18,9 Tagen im Jahr zu Nächten mit sehr wenig Windbewegung – das entspreche einem Anteil von 20,5 Prozent der Nächte.
Zeitweise besonders betroffen sein könnte unter anderem die HafenCity. Das hat nun den Beirat der Baugemeinschaft Dock 71 am Lohsepark auf den Plan gerufen, die aus 189 Bewohnerinnen und Bewohnern und elf Gewerbetreibenden besteht. In einem Schreiben an die Bürgerschaftsfraktionen, das dem Abendblatt vorliegt, zeigt sich der Beirat „tief beunruhigt“. Denn: „Wir haben in der Stadtklimaanalyse 2023 gelesen, was wir als seit acht Jahren in der HafenCity Wohnende aus eigener, zunehmend leidvoller Erfahrung wissen: Es wird immer heißer im Quartier.“
HafenCity: Neue MSC-Zentrale soll östlich des Lohseparks entstehen
Sehr besorgt ist die Baugemeinschaft aber nicht allein wegen der Prognose, wo insbesondere Wärmeinseln auftreten könnten, sondern weil in ihrer Nähe auf dem Baufeld 73 am Ericusgraben östlich des Lohseparks der neue Deutschlandsitz der Schweizer Reederei MSC entstehen soll, den diese im Gegenzug für den Einstieg bei der HHLA errichten will. Geplant ist ein Komplex mit mindestens sieben Stockwerken und mehr als 13.000 Quadratmeter Bürofläche.
Bereits Ende Februar hatte sich die Eltern- und Quartiersinitiative Campus HafenCity wie berichtet mit einem Schreiben an die Bürgerschaftsfraktionen gegen die Baupläne gewandt. Sie ist besorgt, weil die MSC-Baustelle parallel zum Betrieb der temporären Containerschule Campus HafenCity laufen könnte – nur 18 Meter von den Klassencontainern entfernt, so die Initiative, zu der auch der Verein Netzwerk HafenCity gehört.
Hitzestress durch Neubau? Wie Umweltbehörde die Situation einschätzt
Das Netzwerk HafenCity fragte vor Kurzem den SPD-Bürgerschaftsabgeordneten Simon Kuchinke, welche klimatischen Auswirkungen es haben könnte, wenn die noch freie Fläche bebaut werden würde. Der Sozialdemokrat richtete eine entsprechende Anfrage an die Umweltbehörde (Bukea) – und übermittelte deren Antwort dann dem Verein.
In ihrer Antwort erläutert die Bukea zunächst erneut, die Stadtklimaanalyse sei für eine „austauscharme Wetterlage bei schwacher Windbewegung ohne überlagernde Winde“ erarbeitet worden – also für den Worst Case (schlechtesten Fall), so die Behörde. Dann führt sie aus, es gebe einen Unterschied für die nächtliche Temperatur um 4 Uhr zwischen westlicher und östlicher HafenCity. So weise die westliche HafenCity nachts eine deutlich schlechtere Durchlüftung und höhere Temperaturen auf, während die östliche HafenCity – dort lebt die Baugemeinschaft Dock 71 – insbesondere durch den Lohsepark eine „bessere Situation für Luftbewegungen“ habe.
Allerdings sei die HafenCity insgesamt „in den Sommermonaten als ein Raum anzusehen, der sich aufheizt und empfindlich ist gegenüber Nutzungsintensivierungen“. Das gelte auch für den Bereich an der Ericusspitze, wo der MSC-Neubau entstehen soll.
HafenCity: Beirat der Baugemeinschaft befürchtet „weitere Aufheizung“
Es folgt eine aus Sicht des Beirats der Baugemeinschaft entscheidende Einschätzung: „Eine Verhinderung der geplanten Bebauung, wie sie im Bebauungsplan ermöglicht wird, würde sich nicht bis in den westlichen Teil der HafenCity auswirken, würde jedoch den Status quo erhalten“, so die Umweltbehörde. „Das würde bedeuten, dass die aktuelle Situation des Luftaustausches, bei dem die fragliche Fläche eine wichtige Funktion zum Abfließen der nächtlichen Flurwinde und Kaltluft bei austauscharmen Wetterlagen und damit der Luftbewegung in der östlichen HafenCity hat, nicht verändert würde.“
Das, so der Beirat der Baugemeinschaft, bedeute doch: Ihre vorteilhafte Funktion für die Luftbewegung in der östlichen HafenCity könnten die Flächen „logischerweise nicht erfüllen, wenn sie nicht mehr existieren“. Die Folge sei also „unmittelbar eine geringere Abkühlung der östlichen HafenCity durch nächtliche Kaltluftzirkulation, oder, umgekehrt: eine weitere Aufheizung“. Dies führe „direkt zu einer Verschlechterung der Lebensqualität für die Menschen in der östlichen HafenCity“, befürchtet der Beirat.
Umfrage: Jeder Zweite in Hamburg besorgt wegen Hitzewellen
Nicht nur die Baugemeinschaft in der HafenCity treiben mögliche Folgen des Klimawandels in Hamburg um. Ende Mai teilte die Krankenkasse AOK Rheinland/Hamburg mit: Einer repräsentativen Umfrage zufolge, die das Meinungsforschungsinstitut Civey im Auftrag der AOK durchführte, habe in der Hansestadt jeder Zweite angegeben, wegen der von Experten prognostizierten Zunahme von Hitzewellen besorgt zu sein.
„Schon oft haben wir das Argument gehört, wir hätten ja die Bebauungspläne gekannt oder kennen können, bevor wir hergezogen seien“, schreibt der Beirat der Baugemeinschaft Dock 71 an die Bürgerschaftsfraktionen. „Die Bebauung des Lohseparks wurde aber erst mehrere Jahre nach unserem Einzug geplant. Und die Stadtklimaanalyse 2023, die wissenschaftlich belegt, was wir hier im Sommer empfinden, wurde vor gerade mal zwei Monaten veröffentlicht.“
HafenCity-Bewohner: Senat soll MSC ein anderes Grundstück anbieten
Es gebe noch viele Baufelder in der HafenCity für Gewerbe, die der Stadt gehörten und „klimatisch weniger bedeutsam“ seien. Auf dem Baufeld 73 solle der Neubau für MSC nur entstehen, weil die Reederei sich dies gewünscht habe –diese Aussage treffe Andreas Kleinau, Geschäftsführer der HafenCity Hamburg GmbH in der „HafenCity Zeitung“. Wörtlich sagte Kleinau der Zeitung: „MSC hat sich bewusst für dieses Grundstück interessiert und ausgesprochen.“
Der Beirat der Baugemeinschaft appelliert an die Bürgerschaftsfraktionen, diese sollten nicht zulassen, „dass das Wünsch-dir-was der Schweizer Reederei MSC Vorrang hat vor der Lebensqualität der Menschen im Quartier“. Und: „Wirken Sie auf den Senat ein, MSC ein anderes Grundstück in der HafenCity anzubieten.“
Wie die SPD auf den Brief der HafenCity-Bewohner reagiert
Was sagen die Regierungsfraktionen zu dem Appell? „Der Bau des MSC-Sitzes in der HafenCity ist ein wichtiges Signal für den Wirtschaftsstandort Hamburg. Das Grundstück ist im Flächennutzungsplan stets als Baufläche geführt worden“, erklärt SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf auf Abendblatt-Anfrage. „Die Stadtklimaanalyse 2023 nehmen wir sehr ernst, gleichwohl halten wir das Grundstück weiterhin für gut geeignet, weil keine negative Auswirkung auf die Bebauung westlich oder südlich des Lohseparks zu erwarten ist.“
Kienscherf greift die schon geschilderte Einschätzung der Umweltbehörde auf, derzufolge die Stadtklimaanalyse den Worst Case schildere und die östliche HafenCity besser aufgestellt sei als die westliche HafenCity. „Dennoch würde wohl niemand von einer geringen Lebensqualität im Quartier sprechen“, so der SPD-Fraktionschef. „Im Gegenteil: Wir führen in der HafenCity eine Reihe an Maßnahmen durch, um die Aufenthaltsqualität kontinuierlich weiter zu erhöhen. Der Lohsepark ist eine zentrale Grünfläche, die auch mit einer Nutzung der schon lange geplanten Baufläche ihre wichtige Funktion für das Klima im Quartier beibehält.“
Grüne: „Wir können die Sorgen der Anwohnenden grundsätzlich verstehen“
Olaf Duge, Sprecher für Bauen und Wohnen der Grünen-Fraktion, teilt auf Anfrage mit: „Wir können die Sorgen der Anwohnenden am Lohsepark mit Blick auf sehr heiße Sommertage grundsätzlich verstehen und werden deshalb unsere Anstrengungen zur Minimierung der Hitzebelastungen weiter intensivieren.“ Für den konkreten Fall lasse sich „in Retrospektive“ sagen: „Die Kommission für Bodenordnung hat das Grundstück am Ericusgraben Anfang des Jahres vor Veröffentlichung der Stadtklimaanalyse an den Vorhabenträger anhand gegeben. In diesem Fall gilt der Gleichbehandlungsgrundsatz wie bei allen Grundstücksvergaben in Hamburg.“
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Um die Belastung an Hitzetagen in Hamburg nachhaltig zu senken, sei es „wichtig, den Grünanteil insgesamt zu erhöhen“, sagt Duge. Das von Rot-Grün in der Bürgerschaft angestoßene Begrünungsprogramm, das etwa Entsiegelung im Straßenraum oder Fassadenbegrünung vorsehe, solle „schon bald vom Senat auf den Weg gebracht werden“. Mit den Anwohnenden der HafenCity sei zudem ein „Katalog an Vorschlägen“ erarbeitet worden, „deren Umsetzung kurz- und mittelfristig erfolgen“ werde.
Wo bleibt Hamburgs Hitzeaktionsplan?
Auch immer noch „in der Erarbeitung“ ist Hamburgs Hitzeaktionsplan, wie die von der SPD geführte Sozial- und Gesundheitsbehörde auf Abendblatt-Anfrage mitteilt. Die „Überlegungen zur konkreten inhaltlichen Ausgestaltung“ seien „noch nicht abgeschlossen“, so Behördensprecherin Anja Segert. Mit der Fertigstellung sei „voraussichtlich“ im September zu rechnen.