Hamburg. Alle Opfer, die zuletzt in Hamburg ums Leben kamen, hatten eine Migrationsgeschichte. Welcher Faktor noch entscheidet, wovor DLRG dringend warnt.
Nach dem tragischen Badeunfall am Falkensteiner Ufer, bei dem eine Zehnjährige vor den Augen ihrer Schwester unterging, gibt es eine bittere Erkenntnis: Alle Opfer der vergangenen Zeit hatten eine Migrationsgeschichte. Nur zwei Beispiele: Vergangenes Jahr ertranken ein 19 Jahre altes Mädchen aus Indien und ein 23 Jahre alter Afghane.
Gibt es in migrantischen Communitys besonders viele Nichtschwimmer? Ja. Das ergab eine repräsentative Forsa-Umfrage im Auftrag der DLRG.
Badeunfälle: Menschen mit Migrationshintergrund sind doppelt so häufig Nichtschwimmer
Drei Faktoren stechen in der Umfrage hervor: In armen Haushalten gibt es viel mehr Nichtschwimmer als in reichen. In Haushalten mit einem monatlichen Nettoeinkommen unter 2500 Euro kann die Hälfte der Kinder (49 Prozent) nicht schwimmen. Bei Familien mit mehr als 4000 Euro Einkommen im Monat sind es nur zwölf Prozent.
Menschen mit Hauptschulabschluss (14 Prozent) sind dreimal so oft Nichtschwimmer wie der Durchschnitt der Bevölkerung ab 14 Jahren – und Menschen mit einem Migrationshintergrund (neun Prozent) doppelt so oft.
DLRG warnt: Mit Seepferdchen ist man noch kein Schwimmer
Doch auch bei Kindern allgemein ist die Zahl der Grundschulkinder, die nicht schwimmen können, hoch. Sie hat sich binnen fünf Jahren verdoppelt. Waren es vor Corona noch zehn Prozent, sind es nun 20. Das ergab die eingangs erwähnte, von der DLRG in Auftrag gegebene, repräsentative Forsa-Umfrage. Die Befragungen stützen sich auf die Angaben der Eltern. Die DLRG fragte die Schwimmfähigkeiten von Kindern zwischen sechs und zehn Jahren ab. Das Ergebnis damals: Zehn Prozent konnten es nicht. Nun sind es 20 Prozent.
„Mütter und Väter sind noch allzu oft der Meinung, ihr Kind kann schwimmen, wenn es das Seepferdchen hat“, sagt der Leiter Ausbildung im DLRG-Präsidium, Christian Landsberg. „Da sind sie jedoch auf dem Holzweg. Das Seepferdchen bescheinigt das Beherrschen von wichtigen Grundlagen. Sicher schwimmen kann erst, wer den Freischwimmer, also das Schwimmabzeichen Bronze, abgelegt hat.“ Angesichts der Daten zu den abgelegten Schwimmabzeichen geht die DLRG davon aus, dass sechs von zehn Kindern (58 Prozent) am Ende der Grundschule keine sicheren Schwimmer sind.
Flüsse und Seen fordern die meisten Todesopfer
Zehn von 21 tödlichen Badeunfällen passierten in Hamburg vergangenes Jahr in Flüssen. Binnengewässer sind das Todesgewässer Nummer eins: In Deutschland passieren gut 90 Prozent der tödlichen Badeunfälle in ihnen, so die DLRG. Woran liegt das? Sie „sind meist unbewacht, sodass im Ernstfall keine Rettungsschwimmer eingreifen können“, sagt DLRG-Präsidentin Ute Vogt.
Das Schicksal des Mädchens reiht sich ein in eine traurige Chronik
- Im Oktober 2023 ertrank eine Zehnjährige im Schwimmbad Bondenwald, als sie bei einem Seepferdchenkurs Schwimmen lernen wollte.
- Im März 2023 ertrank ein zehn Jahre alter, autistischer Junge Höhe Bubendey-Ufer in der Elbe. Das Kind (Migrationshintergrund) war aus einer Schule für Behinderte im Stadtteil Marmstorf weggelaufen und war mit öffentlichen Verkehrsmitteln dorthin gefahren. Das Kind hatte eine „Inselbegabung“ und hatte sich den Weg gut merken können.
- Im Juni 2020 ertrank ein 15 Jahre alter Rumäne am Falkensteiner Ufer. Sein Bruder (19) stach ein paar Tage später den besten Freund (16) des Ertrunkenen im Phoenix-Viertel in Harburg nieder, weil der bei dem Badeunfall dabei und auch hinterhergesprungen war, den 15-Jährigen aber nicht retten konnte.
- 2014 holten Feuerwehrtaucher an den Landungsbrücken ein fünfjähriges Mädchen aus der Elbe, das eine halbe Stunde unter Wasser war. Das Mädchen, Emilie aus dem rheinland-pfälzischen Aspisheim, lag im Koma, aus dem es erwachte. Das kalte Wasser hatte den Stoffwechsel so weit heruntergefahren, dass so ein „Wunder“ möglich ist.
- 2022 hatte HPA sogenannte Rettungspunkte an der Elbe eingeführt. Die Schilder enthalten einen sechsstelligen Code, der es den Rettungskräften ermöglicht, den genauen Ort des Unglücks zu erfahren.
Nach Corona konnte jedes dritte Grundschulkind nicht schwimmen
Während der Pandemie habe über längere Zeiträume praktisch keine Schwimmausbildung stattfinden können, erklärt die DLRG. Nach Corona, im Jahr 2022, hatten demnach mehr als jeder dritte Junge und mehr als jedes dritte Mädchen im Grundschulalter noch kein Seepferdchen (und kein weiterführendes Schwimmabzeichen.).
Schuljahr | Anteil der Grundschulkinder mit mind. Seepferdchen (Quelle: Senat) |
2013/14 | 82 |
2014/15 | 86,8 |
2015/16 | 86,9 |
2016/17 | 87 |
2017/18 | 85,4 |
2018/19 | 87,3 |
2019/20 | 76,5 |
2020/21 | 71,3 |
2021/22 | 74,4 |
2022/23 | 83 |
5500 Rettungsschwimmerinnen und -schwimmer im Einsatz
In der Badesaison von Anfang Mai bis Ende September wachen jährlich rund 5500 Rettungsschwimmer der DLRG an über 100 Badestellen entlang der Küste und tragen an diesen zur Sicherheit bei. Tödliche Unfälle ereignen sich meist abseits der bewachten Strände. „Ohne die ehrenamtlichen Lebensretter hätte es mehr Unglücksfälle gegeben. An Nord- und Ostsee retteten sie diesen Sommer rund 80 Menschen das Leben“, so Vogt.
Ertrunkene Kinder
Unter Kindern bis zehn Jahre ereigneten sich 16 Todesfälle (2022: 20). In den 2000er-Jahren verzeichnete die DLRG noch durchschnittlich 45 tödliche Ertrinkungsunfälle in dieser Altersklasse. „Das Bewusstsein der Menschen für die Gefährdung von Kindern im Wasser hat sich eindeutig verbessert“, so Vogt.
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Die DLRG ist eine private Wasserrettungsorganisation. Die ehrenamtlich Aktiven klären über Gefahren im Wasser auf, bringen Menschen das Schwimmen bei und bilden sie im Rettungsschwimmen aus. Die DLRG zählt derzeit über 600.000 Mitglieder. Mehr als 1,3 Millionen Förderinnen und Förderer unterstützen die lebensrettende Arbeit mit Spenden. Schirmherr ist Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.