Hamburg. Es arbeiten deutlich mehr Allgemeinmediziner mit über 70 Jahren, als es junge Nachfolger gibt. Hausärzte warnen vor Investoren-Praxen.
Die Hausärztinnen und Hausärzte in Hamburg haben ein Problem, das die gesamte Gesellschaft umtreibt: Sie werden im Schnitt älter und älter. Nach neuen Zahlen der Kassenärztlichen Vereinigung, die dem Abendblatt vorliegen, sind mittlerweile 37 Prozent aller niedergelassenen Allgemeinmediziner der Stadt über 60 Jahre alt. Dabei praktizieren deutlich mehr im Alter von über 70 noch, als es Hausärzte zwischen 30 und 39 Jahren gibt. Das zeigt die Misere: Der Nachwuchs fehlt, junge Mediziner sind aufgrund schlechter Rahmenbedingungen kaum zur Übernahme einer Praxis bereit.
Das hat nicht nur mit den Verdienstmöglichkeiten zu tun, die am unteren Ende dessen sind, was Praxisärzte erhalten. Hausärztinnen und Hausärzte sind oft „Vollblut-Mediziner“, die heute selten in Teilzeit oder angestellt arbeiten wie in den großen Medizinischen Versorgungszentren (MVZ), die nicht mehr von Ärzten, sondern von Investoren geführt werden.
Dr. Jana Husemann, die Vorsitzende des Hamburger Hausärzteverbandes, fordert im Abendblatt „grundlegende Änderungen“ an diesen Bedingungen für Hausärztinnen und Hausärzte: Dazu gehöre, dass Berufe wie studierte Praxismanagerinnen und Sozialberater besser eingebunden würden. „Hierzu braucht es Fördergelder. Zudem müssen Praxisneugründungen erleichtert und Umbaumaßnahmen von Praxisräumen gefördert werden. Immer häufiger werden auch Mietverhältnisse der Praxen gekündigt, hier wäre ein gesonderter Kündigungsschutz hilfreich.“
Hausärzte in Hamburg: Viele arbeiten mit über 70 noch in ihren Praxen
Der Hamburger Hausarzt Klaus Schäfer (79) warnt: „Die Gesundheitspolitik wird der nachfolgenden Generation von Hausärzten große Probleme bereiten. Große Medizinische Versorgungszentren sind in der Hand von Investoren. Da finanzieren wir mit unseren Krankenkassenbeiträgen amerikanische Rentenfonds.“ Er spricht von „erlösoptimierten Behandlungen“ in den MVZ.
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Schäfer und seine Kolleginnen und Kollegen, die vom Abendblatt befragt wurden und sich für eindrückliche Foto-Porträts zur Verfügung stellten, versorgen neben ihrer Praxis Behinderte in ihren Wohnungen, Menschen in Pflegeheimen und Hospizen. Dabei sind einige ältere Hausärzte selbst gesundheitlich angeschlagen. Dr. Rainer Holzhüter (77) hilft seiner Tochter in der Harburger Praxis – so lange, bis er vielleicht eines Tages rausgetragen wird, wie er sagt. Dr. Horst Boulanger (72) aus Eißendorf sagt: „Einige geben frustriert auf und schließen einfach die Praxis. Mir macht die Arbeit Spaß und hilft dabei, länger fit zu bleiben.“
Ärzte in Hamburg: „Bei tausend Formularen und zigtausend Richtlinien frage ich mich: Muss das sein?“
Dr. Elisabeth Lübbers-Klare (66) aus Winterhude könnte bald in Rente gehen. Sie sagt: „In der Praxis habe ich Spaß an der Arbeit. Aber bei tausend Formularen und zigtausend Richtlinien frage ich mich: Muss das sein?“
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Weil Haus- und Kinderärzte in einigen Quartieren Hamburgs gänzlich fehlen, gibt es bereits Überlegungen, ihre „Ansiedlung“ wie in deutschen Flächenländern mit Prämien, günstigen Mieten oder weiteren Anreizen zu fördern. Auch dass sich Praxen unter einem Dach Medizinische Fachangestellte „teilen“, ist denkbar. Diese MFAs sind genauso rar, weil sie von Krankenhäusern abgeworben werden, in denen sie besser bezahlt werden.
Hausärztin und Verbandschefin Husemann sagt mit Blick auf die Verteilung der Ärzte und die Sozialstruktur Hamburgs: „Die Stadt muss zudem aktiv werden bei den Themen Förderung der Gesundheitskompetenz der Bürgerinnen und Bürger sowie Verringerung von Armut und Lebensumständen, die krank machen.“