Hamburg. Corona, Personalkosten und eine verzögerte Krankenhausreform belasten die Hamburger Uniklinik. Die Lage könnte bedrohlich werden.
Das Hamburger Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) ist in Turbulenzen: Es wird im Jahr 2024 voraussichtlich ein Defizit von 60,4 Millionen Euro aufweisen. Die Gründe dafür liegen in der nach der Corona-Pandemie noch immer zu geringen Zahl an Patienten, an den in diesem Jahr wirksam werdenden Tarifsteigerungen für Ärzte (8,57 Prozent) und Pflegekräfte (4,66 Prozent) und generell an zu geringen Honoraren für medizinische Behandlungen. Für das Jahr 2025 ist nach derzeitigen Kalkulationen sogar ein Rekordminus von 120 Millionen Euro möglich.
Aktuell beträgt der Jahresumsatz rund 1,6 Milliarden Euro bei 15.300 UKE-Mitarbeitern. Das ergibt sich aus dem Protokoll des Ausschusses für öffentliche Unternehmen der Bürgerschaft. Das UKE bestätigte dem Abendblatt die Berechnungen. Über ein drohendes Defizit hatte die „Bild“-Zeitung zuerst berichtet. Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank (Grüne) sagte dem Abendblatt: „Für alle Universitätskliniken in Deutschland ist die Lage momentan schwer. Die Corona-Pandemie hinterlässt nach wie vor Spuren, hinzu kommen Inflation, Energie-, Tarif- und Kostensteigerungen. Trotzdem hat das UKE im letzten Jahr mit einem Plus abgeschlossen und weiter Spitzenleistungen erbracht. Dass wir nun auch in ein Defizit gerutscht sind, nehmen wir alle ernst, und gemeinsam mit dem UKE arbeiten wir nun an Lösungen.“
UKE in Hamburg: Anhaltendes Millionen-Defizit nach Corona-Pandemie
Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) erinnerte ebenfalls an die „drastischen Spuren“, die Covid-19 hinterlassen habe, sowie an die Konsequenzen aus dem russischen Angriff auf die Ukraine. „Wir haben bereits während der Haushaltsberatungen für Mehrbelastungen Vorsorge betrieben, gleichwohl sind weitere Konsolidierungsbemühungen notwendig, da besteht Einigkeit bei allen Beteiligten. Auch der Bund ist in der Pflicht, bei der Krankenhausfinanzierung die besonderen Bedarfe der Unikliniken zu berücksichtigen.“
Fegebank sagte, man wolle sicherstellen, dass das UKE „weiterhin seinen Kernauftrag der Versorgung von Patientinnen und Patienten erfüllen kann“. Dazu gehöre, dass für Forschung und Lehre im kommenden Haushalt mehr Geld angesetzt werden solle. Fegebank versprach zudem, dass sie sich dafür einsetzen werde, die Finanzierung von Unikliniken auf Bundesebene zu verbessern.
Im Protokoll heißt es, dass das „Fallpauschalen-System die Kosten für Krankenhausleistungen nicht auskömmlich decke“. Das bedeutet, dass die Honorare der Krankenkassen nicht genügten, um neben den Kosten für Behandlungen die aufwendig vorgehaltene Infrastruktur eines Universitätsklinikums zu finanzieren. Mit der angekündigten, aber erneut verzögerten Krankenhausreform von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) soll sich das ändern. Das UKE wird anders als die anderen Hamburger Häuser wegen seiner Sonderstellung als Uni-Klinikum von der Wissenschaftsbehörde getragen. Das Haus setzt voll auf Lauterbachs Reform – und sorgt sich: Kämen jetzt nicht „gravierende Weichenstellungen“ bei der neuen Finanzierung, sei ein „Systemversagen“ nicht auszuschließen.
Intensivstation im UKE: Jedes dritte Bett kann nicht belegt werden
Aktuell kann im UKE wegen Personalnot unter anderem etwa jedes dritte Bett auf der Intensivstation nicht betrieben werden. Auch das schlägt sich bei den Erlösen nieder. Mehrfach hatten UKE-Professoren im Abendblatt darauf aufmerksam gemacht. Das UKE räumte nun ein, dass Betten für nicht so schwer erkrankte Patientinnen und Patienten nur von Technik überwacht würden. „Es werde dann bedarfsorientiert entschieden, da für Menschen, die nicht allzu schwer erkrankt seien, weniger Personal benötigt werde als für Schwerkranke. Dadurch werde versucht, die Kapazitäten wieder auszuweiten.“
In anderen Bereichen kann zum Teil kein Geld verdient werden oder es wird bestenfalls ein Beitrag zu den Kosten erwirtschaftet, so in der universitären Lehre und der Forschung. Das UKE wirbt zwar sogenannte Drittmittel in Millionenhöhe für die Forschung ein, hat aber auch hohe Personalkosten. Mit der Infektiologie und Virologie (unter anderem Prof. Marylyn Addo) will das UKE in Zukunft auch ein Exzellenzcluster der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) entwickeln. Das brächte nicht nur das Wissen über Krankheitserreger voran, sondern dem Haus auch 57 Millionen Euro an Fördergeldern.
UKE hat IT-Fachkräfte gewonnen – trotz schlechter Bezahlung
Das UKE kann auch deshalb nicht wie gewünscht wachsen, weil Fachkräfte fehlen. Kurios: Ausgerechnet bei den begehrten IT-Experten sei man erfolgreich gewesen, „obwohl das UKE sehr schlecht bezahle“, heißt es im Ausschuss-Protokoll. Auf mehr als 250 Mitarbeiter sei die Abteilung ausgebaut worden. Diese Fachleute sowie ihre Technik müssen bis zu 12.000 tägliche Angriffe auf die Computer-Systeme des Uniklinikums abwehren.
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Mit Kostensteigerungen beim Bau hat das UKE ebenso zu kämpfen: Das neue Herzzentrum sowie der Neubau der Martiniklinik werden teurer. Im Protokoll heißt es dazu: „Gleiches gelte für den Forschungscampus II, bei dem es lange gelungen sei, gestiegene Baukosten abzufedern und den gesteckten Zeitrahmen einzuhalten. Dies sei inzwischen allerdings bedauerlicherweise ebenfalls nicht mehr gewährleistet.“
Unikliniken unter Druck: Neben UKE auch UKSH betroffen
Als Risikofaktoren für die kommenden Bilanzen sieht das Haus unter der Leitung von Prof. Christian Gerloff unter anderem den Wegfall der Inflationshilfen vom Bund, den fehlenden Ausgleich von Kostensteigerungen bei Personal und Anschaffungen und die Zinslasten. „In der konservativen Mittelfristplanung ist weiterhin von einem substanziellen Defizit auszugehen“, heißt es in einer UKE-Präsentation. Die in Euro und Cent messbaren Folgen der Krankenhausreform seien „bislang unklar“ und „positive Effekte frühestens 2027 zu erwarten“.
Zum Vergleich: Das Uniklinikum Schleswig-Holstein (UKSH), wo Olaf Scholz‘ Bruder Prof. Jens Scholz die Leitung hat, weist ein aktuelles Defizit von rund 122 Millionen Euro aus für beide Standorte in Kiel und Lübeck zusammen. Die Förderstiftung sah sich zuletzt gezwungen, dem Eindruck entgegenzutreten, das UKSH sei bald zahlungsunfähig. Das sei „schlicht falsch und unredlich“.