Schleswig/Hamburg. Ernennung des Chefanklägers Ralf Peter Anders zum Generalstaatsanwalt in Schleswig gestoppt. Der Hintergrund zu einer Justiz-Posse.

  • Top-Jurist sollte zum Generalstaatsanwalt des Landes Schleswig-Holstein werden.
  • Verwaltungsgericht Schleswig hat das Verfahren gestoppt.
  • Begehrter Posten soll neu ausgeschrieben werden.

Hamburgs Leitender Oberstaatsanwalt Ralf Peter Anders saß gewissermaßen schon auf gepackten Koffern. Am 27. März dieses Jahres entschied die Kieler Landesregierung, den habilitierten Top-Juristen zum Generalstaatsanwalt des Landes Schleswig-Holstein zu ernennen. Doch jetzt hat das Verwaltungsgericht Schleswig das Verfahren gestoppt und eine neue Ausschreibung des Postens angeordnet.

Die elfseitige Entscheidung der 12. Kammer des Gerichts bedeutet eine heftige Klatsche für die Hamburger Justizbehörde, denn deren dienstliche Beurteilung für Anders war nach Auffassung der Richter in mehreren Punkten „rechtsfehlerhaft“.

Durchgesetzt hat den Richterspruch Anders‘ unterlegene Mitbewerberin im Rennen um den Posten des Generalstaatsanwalts im Wege einer Konkurrentenklage: Birgit Heß, Leiterin der Kieler Staatsanwaltschaft. Die Spitzenjobs in der Justiz sind rar, und es ist nicht ungewöhnlich, dass unterlegene Kandidaten, die ja rechtlich ausgesprochen versiert sind, vor Gericht ziehen. Das Gerangel um den Posten des Chefanklägers im nördlichen Bundesland, der bereits seit 2021 nicht besetzt ist, entwickelt sich allerdings zu einer besonderen Hängepartie.

Hamburger Justiz: Für Senatorin Gallina ist Gerichtsentscheidung doppelt misslich

Das Justizministerium hatte sich nach einer ersten Ausschreibung für Birgit Heß entschieden. Gegen die Ernennung klagte der unterlegene Leiter der Lübecker Staatsanwaltschaft, Ralf Döpper, 2022 aufgrund von Formfehlern mit Erfolg. Daraufhin schrieb das Justizministerium die Stelle 2023 bundesweit aus, worauf sich erneut Heß und nunmehr auch Anders sowie der kommissarische schleswig-holsteinische Generalstaatsanwalt Georg-Friedrich Güntge bewarben. Nach der erfolgreichen Klage von Heß dürfte es nun bereits zu einer dritten Ausschreibung kommen.

Sicher: Für die Kieler Justizministerin Prof. Kerstin von der Decken (CDU) ist es ausgesprochen peinlich, den wichtigsten Posten der Anklagebehörde selbst nach drei Jahren nicht rechtskonform besetzen zu können, auch wenn für das Verwaltungsgericht in seiner aktuellen Entscheidung dafür die Fehler verantwortlich sind, die in der Hamburger Justizbehörde gemacht wurden. Für Justizsenatorin Anna Gallina (Grüne) und Justiz-Staatsrat Holger Schatz ist der Richterspruch aber gleich doppelt misslich. Neben der Klatsche des Gerichts rückt nun ein Streit wieder in den Mittelpunkt, der die Hamburger Justiz schon seit Jahren zu lähmen droht: die zur Feindschaft tendierende Fehde zwischen Generalstaatsanwalt Jörg Fröhlich und der Nummer zwei in der Hierarchie, dem Leitenden Oberstaatsanwalt Ralf Peter Anders.

Hamburger Staatsanwaltschaft: Seit Jahren schwelender Konflikt plötzlich wieder im Mittelpunkt

Doch der Reihe nach: Laut Verwaltungsgericht Schleswig hat das Kieler Justizministerium Fröhlich am 16. März 2023 im Zuge des Ausschreibungsverfahrens aufgefordert, eine Beurteilung für Anders „nach den hamburgischen Beurteilungsrichtlinien“ zu erstellen. Fröhlich schickte seinen Entwurf als Erstbeurteiler laut Gericht am 19. April des Jahres an Jakob Nikolai, den Leiter des Amtes für Justizvollzug und Recht, und forderte ihn auf, eine Zweitbeurteilung hinzuzufügen. Die Richtlinien über die Beurteilung der Beschäftigten der Freien und Hansestadt Hamburg sehen eine Erst- und Zweitbeurteilung vor.

Hamburgs Generalstaatsanwalt Jörg Fröhlich hatte eine Erstbeurteilung für Ralf Peter Anders geschrieben, die dann unter den Tisch fiel.
Hamburgs Generalstaatsanwalt Jörg Fröhlich hatte eine Erstbeurteilung für Ralf Peter Anders geschrieben, die dann unter den Tisch fiel. © picture alliance/dpa | Georg Wendt

Doch nun geschieht etwas sehr Ungewöhnliches: Nikolai spricht sich in einem Vermerk vom 9. Juni 2023 dafür aus, dass nur Justiz-Staatsrat Schatz für Anders eine dienstliche Beurteilung schreibt. Ein Argument: Da auch der schleswig-holsteinische Justiz-Staatssekretär die beiden schleswig-holsteinischen Bewerber Heß und Güntge beurteilt habe, solle Chancengleichheit für Anders hergestellt werden, indem „auf gleicher Ebene“, also durch den Staatsrat, beurteilt werde. Zudem sei er, Nikolai, erst kurz im Amt und Schatz kenne Anders und seine Fähigkeiten länger und besser.

Erste Beurteilung durch Generalstaatsanwalt Fröhlich fiel komplett unter den Tisch

Justizsenatorin Gallina stimmte dem Vorgehen zu, und Schatz schrieb daraufhin die einzige offizielle Beurteilung für Anders, die er später auf Nachfrage aus Kiel noch um den Zusatz „übertrifft die Anforderungen in besonderem Maße“ ergänzte. Fröhlichs erste Beurteilung seines behördeninternen Widersachers Anders fiel dagegen komplett unter den Tisch. Man muss nicht besonders fantasiebegabt sein, um zu vermuten, dass Fröhlichs Arbeitszeugnis für den Leitenden Oberstaatsanwalt nicht sehr überragend ausfiel. Naheliegend ist, dass die Spitze der Behörde diese Einschätzung nicht teilte und jede negative Botschaft in Richtung Kiel vermeiden wollte. Immerhin hätte ein Weggang des Leitenden Oberstaatsanwalts dessen schwelenden Konflikt mit Fröhlich beendet.

Senatorin Anna Gallina
Anna Gallina (Grüne), Senatorin für Justiz und Verbraucherschutz, stimmte dem Hamburger Vorgehen zu, das jetzt vom Verwaltungsgericht gerügt wurde. © picture alliance/dpa | Ulrich Perrey

Derlei personalpolitische Querelen interessieren Verwaltungsrichter in aller Regel nicht, und so fällt das Urteil über das Hamburger Vorgehen sehr deutlich aus. „Ein Verstoß gegen die (Hamburger, die Red.) Beurteilungsrichtlinien ist zunächst darin zu sehen, dass die Beurteilung nur durch einen Beurteiler erstellt worden ist“, schreibt das Gericht der Justizbehörde ins Stammbuch und stellt fest: „Eine Abweichung von diesem zweigliedrigen Beurteilungssystem war auch nicht ausnahmsweise nach den Beurteilungsrichtlinien zulässig.“

Hamburger Justiz-Staatsrat Schatz war laut Gericht für die Beurteilung nicht zuständig

Damit nicht genug. „Im vorliegenden Fall tritt erschwerend hinzu, dass die Behörde für Justiz und Verbraucherschutz erst im laufenden Beurteilungsverfahren den Entschluss getroffen hat, die Beurteilung allein durch Staatsrat... (Schatz, die Red.) anfertigen zu lassen und damit der durch Generalsstaatsanwalt... (Fröhlich, die Red.) gefertigte Beurteilungsentwurf praktisch als nicht existent und nicht einmal als Beurteilungsbeitrag behandelt worden ist“, rügt das Schleswiger Gericht.

Und wird noch deutlicher: „Durch eine derartige Vorgehensweise können die jeweils höheren Vorgesetzten nämlich, sofern sie mit der Erstbeurteilung nicht einverstanden sind, diese ,verschwinden lassen‘, was das in den Beurteilungsrichtlinien geregelte Verhältnis zwischen Erst- und Zweitbeurteiler völlig unterlaufen würde.“ Es drängt sich der Eindruck auf, dass sich die Schleswiger Richter mit den Verhältnissen in der Hamburger Justizbehörde sehr vertraut gemacht haben.

Schleswiger Richter ließen Argumente der Hamburger Justizbehörde nicht gelten

Staatsrat Schatz, so das Gericht weiter, habe das Arbeitszeugnis für Anders erstellt, „obwohl er nach den Richtlinien weder für die Erst- noch für die Zweitbeurteilung zuständig ist“. Die erste Beurteilung liege bei dem Generalstaatsanwalt als dem unmittelbaren Vorgesetzten und das zweite Gutachten hätte Justizvollzugsamtsleiter Nikolai anfertigen müssen. „Gründe, die gegen eine Erstbeurteilung durch Generalstaatsanwalt... (Fröhlich, die Red.) sprechen, sind nicht ersichtlich“, heißt es in der Schleswiger Entscheidung.

Hamburgs Justiz-Staatsrat Holger Schatz erstellte die Beurteilung für den Leitenden Oberstaatsanwalt, war aber laut Gerichtsentscheidung nicht zuständig.
Hamburgs Justiz-Staatsrat Holger Schatz erstellte die Beurteilung für den Leitenden Oberstaatsanwalt, war aber laut Gerichtsentscheidung nicht zuständig. © Marco Lange / Justizbehörde | Marco Lange mail@langefilmnacht.de

Das Argument der Hamburger, auch in Kiel habe der hierarchisch gleichgestellte Staatssekretär die Beurteilungen der dortigen Bewerber geschrieben, lässt das Gericht nicht gelten. Die Beurteilung durch einen Staatsrat oder Staatssekretär sei nicht „wertvoller“ oder „bedeutender“ als durch einen niedriger gestellten Beamten wie den Generalstaatsanwalt. Im Übrigen sei die Situation in Schleswig-Holstein anders, weil dort kein Generalstaatsanwalt im Amt sei, der eine Erstbeurteilung anfertigen könne, und der Vertreter des „Generals“ sich selbst um den Posten beworben habe, also für eine Beurteilung ebenfalls ausfalle.

Justizbehörde hält daran fest, dass ihre Beurteilung den Richtlinien entspricht

Das Fazit des Verwaltungsgerichts fällt knapp aus. Birgit Heß, die Leiterin der Kieler Staatsanwaltschaft, rüge als Antragstellerin „zu Recht, dass die der Auswahlentscheidung zugrundeliegende Beurteilung des Beigeladenen (Ralf Peter Anders, die Red.) fehlerhaft ist“. Die Justizbehörde wollte sich unter Hinweis auf das laufende Verfahren nicht äußern. „Wir setzen uns mit der Entscheidung auseinander. Wir gehen nach wie vor davon aus, dass unsere Beurteilung den in Hamburg geltenden Beurteilungsgrundsätzen entspricht“, sagte Behördensprecher Dennis Sulzmann immerhin.

Das Kieler Justizministerium, gegen dessen Entscheidung sich die Konkurrentenklage richtete, hat bis Anfang August Zeit, Beschwerde gegen den Richterspruch beim Oberverwaltungsgericht (OVG) einzulegen. „Der Beschluss des Verwaltungsgerichts wird derzeit geprüft. Über das weitere Vorgehen wird nach Abschluss der Prüfung entschieden“, sagte Christian Kohl, Sprecher des Justizministeriums. Es gehe dem Gericht um formelle Mängel bei der Erstellung der dienstlichen Beurteilung des im Auswahlverfahren erfolgreichen Hamburger Bewerbers. „Eine Bewertung der Qualifikation der Bewerbenden ist im Beschluss nicht enthalten“, sagte Kohl.

Es spricht einiges dafür, dass der Machtkampf in der Staatsanwaltschaft nun weitergeht

Es gilt als wahrscheinlich, dass das Kieler Ministerium eine dritte Ausschreibung für den Posten des Generalstaatsanwalts startet, statt vor das OVG zu ziehen, zumal nicht eigene Fehler Gegenstand des ersten Verfahrens waren. Ob sich Ralf Peter Anders erneut bewerben würde, ist ungewiss. Für diesen Fall müsste die Justizbehörde dann zwingend die Erstbeurteilung von Fröhlich akzeptieren, was als unwahrscheinlich gilt.

So spricht einiges dafür, dass der Machtkampf zwischen Fröhlich und Anders in der Hamburger Staatsanwaltschaft seine Fortsetzung findet oder zumindest die gegenseitige Blockade andauert. Generell geht es in dem Konflikt darum, wer in Grundsatzfragen der Anklagebehörde das Sagen hat. Dabei ist die Hierarchie eindeutig: Der Generalstaatsanwalt ist die Nummer eins, der „LOSta“ die Nummer zwei. Letzterer ist allerdings Chef von mehr als 600 Mitarbeitern der Staatsanwaltschaft, während die Generalstaatsanwaltschaft nur rund 50 Mitarbeiter umfasst.

Fröhlich leitete 2020 Disziplinarverfahren gegen seinen Kontrahenten Anders ein

Wie zerrüttet das Verhältnis zwischen den beiden Topanklägern ist, zeigt ein Vorgang aus dem Jahr 2020. Damals leitete Fröhlich – ungewöhnlich genug – ein Disziplinarverfahren gegen Anders ein, nachdem der eine gemeinsame Vereinbarung mit dem umständlichen Titel „Restrukturierung und Optimierung der Zuständigkeitsregelungen für die Bearbeitung von Verwaltungssachen bei den Hamburger Staatsanwaltschaften“ aufgekündigt hatte. Die Vereinbarung war eine Art Friedensvertrag zwischen den beiden und sollte deren Konflikte in geordnete Bahnen lenken.

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Letzter Auslöser für die Kündigung der Vereinbarung war bezeichnenderweise eine Personalentscheidung. Während Anders eine Oberstaatsanwältin aus seinem Bereich zu seiner Stellvertreterin machen wollte, favorisierte Fröhlich eine Oberstaatsanwältin aus „seiner“ Generalstaatsanwaltschaft. Wenige Tage nach der Kündigung startete Fröhlich das Disziplinarverfahren gegen seinen Konkurrenten.

CDU-Rechtspolitiker Seelmaecker wirft der Justizbehörde „politische Vetternwirtschaft“ vor

Als externer Gutachter kam Ex-Justiz-Staatsrat Nikolas Hill (CDU) Ende 2020 zu dem Ergebnis, dass Anders nicht gegen das Dienstrecht verstoßen habe, als er den „Friedensvertrag“ aufkündigte. Letztlich stellte die damalige Justiz-Staatsrätin Katja Günther (Grüne) das Verfahren gegen ihn ein – eine schwere Schlappe für Fröhlich. Im Übrigen soll der umgängliche Anders größere Sympathien in den Spitzenetagen der Behörde genossen haben als der asketisch und etwas spröde wirkende Fröhlich.

Der CDU-Rechtspolitiker Richard Seelmaecker sieht nach der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Schleswig alle Betroffenen beschädigt. „Es ist skandalös, dass bei der Besetzung einer solchen Stelle ein Verwaltungsgericht so klare Worte finden muss in Bezug auf die Rechtswidrigkeit des Handelns der Justizbehörde“, sagt der Bürgerschaftsabgeordnete. Es sei ein „starkes Stück“, dass der Generalsstaatsanwalt bei der Beurteilung übergangen worden sei und eine Zweitbeurteilung fehle. „Der Rechtsstaat eignet sich nicht für politische Vetternwirtschaft“, sagt Seelmaecker, der persönliche Vorlieben und Animositäten hinter dem Vorgehen der Justizbehörde vermutet.