Hamburg. Bizarrer Streit an Behördenspitze entschieden. Disziplinarverfahren der Nummer eins gegen die Nummer zwei ist eingestellt.
Der wohl bizarrste Streitfall der vergangenen Monate in der Justiz ist kurz vor Ablauf des Jahres zumindest juristisch beendet. Justiz-Staatsrätin Katja Günther hat das Disziplinarverfahren, das Generalstaatsanwalt Jörg Fröhlich gegen den Leitenden Oberstaatsanwalt Ralf Peter Anders eingeleitet hatte, nach Informationen des Abendblatts eingestellt. Nach Überzeugung Günthers hat sich Anders keines Dienstvergehens schuldig gemacht.
Der Ausgang des Verfahrens ist eine schwere Schlappe für Generalstaatsanwalt Fröhlich. Der Machtkampf – und um nichts anderes handelt es sich – zwischen der Nummer eins in der Hierarchie der Staatsanwaltschaft und der Nummer zwei hat für reichlich Wirbel auch außerhalb des begrenzten Bereichs der Justiz gesorgt. Als die disziplinarische Attacke Fröhlichs gegen Anders Mitte August bekannt wurde, sah sich die gerade ins Amt gewählte Justizsenatorin Anna Gallina (Grüne) vor eine hausinterne Bewährungsprobe gestellt. Sie hatte die seit Monaten schwelende Fehde um Kompetenzen und Befugnisse zwischen den beiden Topanklägern geerbt.
Fröhlich ist allen Staatsanwälten gegenüber weisungsbefugt
Die Auseinandersetzungen gingen bis in kleine und kleinste Verästelungen des Behördenapparats. Formal ist die große, personalintensive Staatsanwaltschaft mit rund 600 Mitarbeitern unter der Regie von Anders der kleinen Generalstaatsanwaltschaft mit nur 50 Mitarbeitern unterstellt. Fröhlich ist allen Staatsanwälten gegenüber weisungsbefugt, und daraus leitete er auch ein umfassendes Vorschlagsrecht für Personalentscheidungen ab.
Nach Fröhlichs Eindruck hatte sich die Staatsanwaltschaft unter seinen Vorgängern zu viel Macht und Kompetenzen angeeignet, die er, Fröhlich, nun für die Generalstaatsanwaltschaft zurückholen wollte. So verlangte der „General“ nicht nur das Vorschlagsrecht für alle Staatsanwälte, sondern auch für die Amtsanwälte.
Das Verhältnis der beiden ist völlig zerrüttet
Der Streit eskalierte, als es um die Besetzung des Stellvertreterpostens von Anders ging. Fröhlich favorisierte Oberstaatsanwältin Kathrin Hiersemenzel aus dem Bereich der Generalstaatsanwaltschaft, Anders dagegen Oberstaatsanwältin Mona Rickert, die in „seiner“ Staatsanwaltschaft tätig ist. Das Verhältnis war schließlich so zerrüttet, dass Anders eine gemeinsame Vereinbarung mit Fröhlich kündigte, die den umständlichen Titel „Restrukturierung und Optimierung der Zuständigkeitsregelungen für die Bearbeitung von Verwaltungssachen bei den Hamburger Staatsanwaltschaften“ trägt. Dieser „Friedensvertrag“ war erst im Januar dieses Jahres geschlossen worden, um die Konflikte beizulegen. Auf Anders‘ Kündigung folgte Fröhlichs Reaktion mit dem Abstand weniger Tage: Er leitete das Disziplinarverfahren gegen den „LOSta“ ein.
Fröhlich forderte die Justizbehörde auf, das Disziplinarverfahren an das für alle Behörden zuständige Personalamt als neutrale Stelle abzugeben. Doch diesen Plan durchkreuzte die Justizsenatorin, indem sie das Verfahren in der Zuständigkeit ihrer Behörde beließ. Und Gallina setzte als externen „Ermittlungsführer“ Ex-Justiz-Staatsrat Nikolas Hill ein. Der Jurist und Christdemokrat kennt nicht nur die Justizbehörde, sondern als früherer Chef des Planungsstabes in der Senatskanzlei auch die gesamte Hamburger Behördenstruktur.
Ermittler: Anders beging keinen Geheimnisverrat
Im November legte Hill den Bericht über seine Ermittlungen mitsamt einem Entscheidungsvorschlag vor. Das Votum hat sich nun auch Staatsrätin Günther zu eigen gemacht. Nach Informationen aus Justizkreisen hat Anders demnach keinen Geheimnisverrat begangen, wie Fröhlich behauptet hatte. Der Leitende Oberstaatsanwalt habe auch die Vereinbarung mit dem „General“ aus dem Januar kündigen dürfen, ohne gegen Dienstrecht zu verstoßen. Anders habe darüber hinaus den Dienstweg eingehalten und nicht gegen die generelle Unterstützungspflicht gegenüber dem Generalstaatsanwalt verstoßen.
Nach Abendblatt-Informationen soll Hill summarisch geschrieben haben, es gebe keine Pflicht zu kritiklosem Gehorsam in der Staatsanwaltschaft. Ende November hatte Günther, wie berichtet, bereits den Streit in der Sache mit einer Allgemeinverfügung entschieden, die den Charakter eines Erlasses der übergeordneten Instanz hat, also bindend ist. Demnach bleibt es bei dem Vorschlagsrecht des Generalstaatsanwalts für alle Posten des höheren Dienstes, also der Staatsanwälte sowie deren Beförderungen. Allerdings soll sich Fröhlich eng mit dem Leitenden Oberstaatsanwalt abstimmen, in dessen Bereich die meisten Einstellungen und Beförderungen fallen. Dagegen hat Anders für die Besetzung der Amtsanwälte, Rechtspfleger und weiteren Justizmitarbeiter das Vorschlagsrecht – anders als Fröhlich es gefordert hatte.
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Der Streit um Anders‘ Stellvertretung ist nun ein Fall für die Gerichte. Die Justizbehörde hatte Rickert berufen, die Favoritin des „LOSta“, die unterlegene Kandidatin Hiersemenzel, zog daraufhin mit einer Konkurrentinnenklage vor das Verwaltungsgericht. In erster Instanz hat sich die Behörde durchgesetzt. Das Oberverwaltungsgericht muss abschließend entscheiden.