Hamburg. Der Job als Müllwerker ist hart – aber sogar für die Energiewende in Hamburg enorm wichtig. Auf Tour mit den „Trittbrettfahrern“ in Orange.
Stephanie Voß sieht jeden Morgen den Sonnenaufgang über dem Hamburger Osten. Sogar im Sommer, wenn sich die ersten Strahlen schon um halb sechs Bahn brechen. Dann ist es nämlich nicht mehr lang hin bis zu ihrem Einsatz. Stephis Arbeit beginnt, wenn bei vielen gerade erst der Wecker geklingelt hat und andere noch friedlich schlummern. Um 6 Uhr steigt die Frau von Bio-Kolonne 1 in das Abfallsammelfahrzeug und rollt gemeinsam mit Vorarbeiter Matthias Räck und Fahrer Michael Görß vom Betriebshof Wandsbek/Rahlau der Stadtreinigung Hamburg.
Stephi, Matthias und Michael – hier wird geduzt – sind Entsorger bei der Müllabfuhr. Sie sind abwechselnd auf zehn unterschiedlichen Routen im Osten der Stadt unterwegs und garantieren so, dass die grünen Biotonnen 14-täglich entleert werden. Hin und wieder fahren die drei auch Hausmüll.
Stadtreinigung Hamburg: Unterwegs mit Bio-Kolonne 1
Schon nachdem Stephi die erste prall gefüllte Tonne des Tages vom Lifter heben und kippen lässt, sodass sich der Inhalt in den Laderaum entleert, ist am Geruch im und um das Fahrzeug nicht mehr zu verkennen, was die drei transportieren. „Viele wollen auf keinen Fall Bio fahren“, sagt Stephi, „aber mir macht das nichts aus.“ Die 51-Jährige ist ziemlich abgehärtet. Ein dicker Haufen Maden in der Tonne entlockt ihr kaum eine Regung. Gibt ja auch Schlimmeres: „Wo Menschen leben, sind Ratten“, sagt Kollege Michael. So manches Mal, wenn eine von den Nagern bewohnte Tonne gekippt wird, „dann springen die da raus. Da ist die Wahrscheinlichkeit recht hoch, dass du mal eine über die Schulter laufen hast“, erzählt er.
Dieser Tage sind die Tonnen, die Stephi und Matthias im Sekundentakt an die Rückseite des Müllwagens rollen, richtig voll. Denn die Masse an Biomüll hat viel mit dem Wetter zu tun, sagt Stephi: „Wenn es hier in den Randgebieten ein Wochenende mit schönem Wetter gibt, dann springen alle in ihre Gärten und dann gibt es natürlich auch mehr Biomüll.“ Und tatsächlich: An diesem Donnerstagmorgen rauscht aus vielen Tonnen vor allem Grünschnitt heraus. Das zahlt auch auf das Gewicht der Eimer ein. Wer neu als Müllwerker anfängt, darf sich in den ersten Wochen auf Dauermuskelkater gefasst machen, sagt Stephi „und am Anfang machen die Mülltonnen sowieso mit dir, was sie wollen.“
Die 51-Jährige hat vor anderthalb Jahren bei der Stadtreinigung angefangen. Zuvor war sie Altenpflegerin, brauchte aber eine persönliche Veränderung: „Ich wollte Himmel, Luft, Bewegung“, sagt sie. Auf dem Matchday der Stadtreinigung entschied sie sich, es als Entsorgerin zu versuchen. Bei diesen Matchdays bekommen jeweils rund 100 Bewerber einen tieferen Einblick in Jobs bei der Stadtreinigung. Fast 25 Prozent der Besucher unterschreiben wenig später einen Arbeitsvertrag, erzählt der Sprecher des Unternehmens, Kay Goetze.
Frauen bei der Hamburger Müllabfuhr: „Man muss gut parieren können“
Insgesamt sind knapp 18 Prozent der Beschäftigten der Stadtreinigung Frauen. Bei der Müllabfuhr jedoch sind es mit 31 weiblichen Angestellten gerade einmal drei Prozent. Die Bio-Kolonne 1 ist nach Michaels Wissen die einzige, bei der eine Frau fester Teil des Teams ist. Michael erzählt, dass es auch Kolonnen gebe, die lieber keine Frau mitnehmen wollen. Die Kollegen würden vermuten, dass Frauen für die körperlich anstrengende Arbeit länger brauchen und damit das ganze Team ausbremsen, sagt er. Das bedeutet dann einen späteren Feierabend für alle. „Wir sind schließlich erst dann fertig, wenn der letzte Eimer gekippt ist“, sagt Michael.
Stephi ist für ihn aber das beste Beispiel, dass Frauen genauso schnell und versiert Tonnen rollen und kippen können wie Männer – auch bei Regen, Kälte und Sturm. „Außerdem, man kommt doch an der Frau heute gar nicht mehr vorbei“, sagt Michael. „Sie müssen bei der Stadtreinigung natürlich doppelt so viel kämpfen wie wir Männer – aber dann braucht man eben robuste Frauen.“
„Wir verdienen hier das gleiche Geld wie die Männer“, sagt Stephi. „Da verlangen sie natürlich die gleiche Leistung von uns und wollen nicht für uns mitarbeiten. Jede Frau, die hier ist, hat sich ja selbst für den Job entschieden.“ Die 51-Jährige hat etwas übrig für männerdominierte Berufe. Schon ihre Ausbildung machte sie als Elektrikerin. An den teils forschen Ton bei der Stadtreinigung sei sie daher gewöhnt. „Man darf hier nicht alles auf die Goldwaage legen“, sagt sie „und man muss natürlich gut parieren können“ – ein vielsagender Blick in Richtung ihrer beiden Kollegen. „Also ich find’s hier schon ziemlich rau, für eine Frau“, sagt Michael zu seiner Kollegin, „aber du bist einfach ein bisschen anders als die anderen.“
Stadtreinigung Hamburg: 15.000 Schritte bis Feierabend
Die Entsorger bei der Stadtreinigung brauchen einen langen Atem. Bis zu 600 Tonnen ziehen Stephi und Matthias jeden Tag, 15.000 Schritte zeigt die Fitness-App nach Feierabend an. „Und das Trittbrett hat ja auch etwas von Steppaerobic“, sagt die Müllwerkerin grinsend. Fahrer Michael ist schon seit 38 Jahren bei der Stadtreinigung beschäftigt.
Bevor er vor rund zwei Jahrzehnten ans Steuer des Müllwagens gewechselt ist, rollte er ebenfalls als Auflader Tonnen. „Damals standen die fast alle noch im Keller“, sagt er, und mussten herausgehievt werden. „Der Job ist immer noch hart, er ist aber über die Jahre immer besser geworden“, sagt Michael. Dennoch: Jeder, der hier in Rente gehe, der verlasse den Job mit Rückenschmerzen oder kaputten Knien, das sei bei der täglichen Belastung unvermeidbar.
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In Wandsbek, wo Michael, Matthias und Stephi arbeiten, gibt es vier weitere Bio-Kolonnen, außerdem 16 für Restmüll und fünf für Papier. In ganz Hamburg sind 118 Restmüll-, 30 Bio- und 35 Papierkolonnen unterwegs. Fast 300 Abfallsammelfahrzeuge umfasst der Fuhrpark der Stadtreinigung, darunter auch die ersten mit Elektroantrieb. Bis 2035 will die Stadtreinigung schließlich klimaneutral arbeiten.
Müll-Energie: Stadtreinigung Hamburg will zur größten Fernwärme-Produzentin werden
Rahlstedt, Bramfeld, Meiendorf – die Bio-Kolonne 1 sammelt auf ihrer Route täglich gut 20 Tonnen Müll ein. Da das Fahrzeug elf Tonnen fasst, lenkt Mathias es zwischendurch zum Biogas- und Kompostwerk Bützberg zur Entleerung. Hier entsteht aus dem Müll Biomethan, das anschließend gereinigt und dann in das Gasversorgungsnetz eingespeist wird. Außerdem produziert die Anlage Kompost, der auf den Recyclinghöfen der Stadtreinigung für 4 Euro je 30-Liter-Sack im Regal steht.
715.500 Tonnen Müll aus Privathaushalten, davon 73.800 Tonnen Biomüll, hat die Stadtreinigung Hamburg im vergangenen Jahr eingesammelt. Der allergrößte Teil davon kann stofflich oder thermisch verwertet beziehungsweise wiederverwendet werden. Lediglich 924 Tonnen Müll muss das Unternehmen am Ende beseitigen. Die Stadtreinigung befindet sich „auf dem Weg der Transformation vom Entsorger zum Versorger“, sagt Sprecher Goetze.
Aus dem Müll entsteht hauptsächlich Dampf- und Fernwärme, 1.292.800 Megawattstunden waren es im Jahr 2023. Künftig will das Unternehmen hier noch an Bedeutung gewinnen: In der Heizperiode 2026/27 soll das Zentrum für Ressourcen und Energie (ZRE) in Bahrenfeld in Betrieb gehen. Dann dürfte die Stadtreinigung rund 50 Prozent der Hamburger Fernwärme herstellen und damit zur größten Produzentin in dem Bereich werden.
Stadtreinigung Hamburg: „Einige Leute wären froh, wenn sie hier anfangen könnten“
„Team Orange“, so nennt das Unternehmen seine Müllwerker. Team, das trifft es: Stephi, Michael und Matthias sind extrem eingespielt. Matthias läuft vor und positioniert die Tonnen, Stephi schiebt sie auf der Rückseite des Müllwagens in die Vorrichtung, sodass der Kipper sie anheben und in die Trommel entleeren kann. Dann kommt Matthias nach und geht ihr zur Hand. Michael versetzt das Fahrzeug just in der Sekunde in Bewegung, in der Stephi wieder aufs Trittbrett steigt. Er fährt ein paar Meter und das Spiel geht weiter. Die drei sind fix und effizient. Nicht nur der eigene Handgriff zählt – hier denkt jeder die Arbeit der anderen mit. „Das geht hier Hand in Hand, wir müssen nicht viel reden“, sagt Stephi. „Und wir kennen jeden Eimer.“
Michael findet es schade, dass sich vergleichsweise wenige für den Beruf begeistern können. „Kinder lieben uns! Bis sie den Führerschein haben, dann stehen wir nur noch im Weg“, sagt er. Sowieso, das Image des Berufs könnte besser sein: „Es heißt ja manchmal: ‚Wenn du in der Schule nicht aufpasst, wirst du Müllmann.‘ Ich glaube, einige Leute wären froh, wenn sie hier anfangen könnten.“
Ein Entsorger bei der Stadtreinigung müsse sich um vieles keine Gedanken machen: Die Entlohnung ist gut – 3000 Euro Einstiegsgehalt –, der Job bei einem städtischen Unternehmen krisenfest und die Auftragslage beständig. Es sei ein Beruf mit hoher gesellschaftlicher Relevanz, ohne den die Stadt ziemlich schnell vor großen Problemen stünde. Und Angst davor, dass künstliche Intelligenz bald die Tonnen rollt, müsse man als Müllwerker auch nicht haben.