Hamburg. Mann rastete aus und feuerte Waffe ab. Auch Polizeihund wurde getroffen. Gericht sprach später von „besonderer Kaltblütigkeit“.
Er wollte bei einer Runde Poker einsteigen. Doch das kam bei den Leuten, die in einem Hinterzimmer einer Kneipe auf der Reeperbahn Karten spielten, überhaupt nicht gut an. Sie schickten den Mann weg – daraufhin sann er aus Frust auf Rache. Es folgte ein spektakulärer Mehrfach-Mord auf dem Hamburger Kiez. Infolge der Schießerei starben zwei Menschen, drei weitere wurden lebensgefährlich verletzt.
„Im Urteil gegen den damaligen Schützen sprach das zuständige Gericht von einem ,Racheplan‘ und von einer ,besonderen Kaltblütigkeit‘, mit der der Täter vorgegangen sei“, erinnert sich Gerichtsreporterin Bettina Mittelacher in „Dem Tod auf der Spur“, dem Crime-Podcast des Hamburger Abendblatts mit Rechtsmediziner Klaus Püschel, an das Verbrechen in der Kiez-Kneipe Dallas. „Es war also ein richtig heftiges Geschehen.“
Reeperbahn: Nach Frust beim Poker sterben in Hamburgs „Dallas“ zwei Menschen
Das Dallas auf der Reeperbahn war in manchen Kreisen ein sehr beliebter Treffpunkt. Und am 19. Januar 2001 wurde es zu einem Ort, an dem es nachts zu einem Blutbad kam. „Die letzten Gäste des Lokals Dallas waren schon gegangen. Nur bei der Pokerrunde im Hinterzimmer brannte noch Licht“, erzählt Püschel. „Zu den vier Kartenspielern, die in ihr Pokerspiel vertieft waren, gesellte sich ein 45-Jähriger.“ Die anderen fühlten sich von Milan T. (Name geändert) gestört, weil der ihr Spiel mit Gesten und Bemerkungen kommentierte. Sie schickten ihn weg. „Hör auf, uns in die Karten zu schauen“, sagten sie ihm.
Wegen dieser Nichtigkeiten entschloss sich der 45-Jährige, seine Schusswaffe, die er in seiner Wohnung im selben Gebäude aufbewahrte, zu holen. Es war ein Revolver des Fabrikats Luger, 44er Magnum. Einem Freund kündigte er an, es werde „gleich ein Blutbad geben“. Zuerst trank Milan T., so haben es zumindest Zeugen später erzählt, noch im Gastraum des Lokals zwei Gläser Weinbrand. Danach trat er mit der erhobenen Waffe, die er in beiden Händen hielt, in das Hinterzimmer mit der Pokerrunde ein und schoss gezielt auf die ahnungslose Gruppe von Kartenspielern. Außerdem feuerte er eine Kugel auf eine Frau, die noch im Gastraum verblieben war. Mindestens einmal hat er nachgeladen.
Täter drohte: „Es wird gleich ein Blutbad geben“
„Wenn man bedenkt, wie Zeugen später die Geschehnisse beschrieben haben, dann hat Milan T. sehr gezielt gehandelt – und zudem ausgesprochen kaltblütig“, berichtet Püschel. „Einem Spieler schoss er ins Bein. Als das Opfer ihn anflehte, ihn nicht zu töten, schoss der 45-Jährige erneut auf den Mann. Und einem anderen Mann, der noch aus dem Hinterzimmer fliehen wollte, schoss Milan T. zweimal in den Rücken. ,Hinrichtungsartig‘, wurde das später im Prozess genannt. Das Opfer starb noch am Tatort.“
Zwei weitere Männer aus der Pokerrunde wurden durch Schüsse schwer verletzt, ebenso die Frau, auf die Milan T. im Gastraum geschossen hat. Sie erlag zwei Monate darauf ihren Verletzungen. „Im Prozess, der später wegen dieses Blutbads im Lokal Dallas verhandelt wurde, ist der Angeklagte im August 2001 wegen zweifachen Mordes und dreifachen versuchten Mordes zu einer lebenslänglichen Gefängnisstrafe verurteilt worden“, erinnert sich Mittelacher. „In ihrer Urteilsbegründung sprachen die Richter von einer ,furchtbaren Bluttat‘.“
Das Urteil für den Schützen lautete auf „lebenslange Freiheitsstrafe“
Diese Einordnung könne er aus rechtsmedizinischer Sicht bestätigen, meint Püschel. Das betreffe unter anderem einen 51-Jährigen, der zwei Brustkorb-Durchschussverletzungen aufwies. Nachdem Milan T. die fünf Personen niedergeschossen hatte, versuchte er, aus der Kneipe zu flüchten. Aber die Tür des Lokals war abgeschlossen. Der 45-Jährige floh daraufhin durch ein Fenster der Kneipe und landete direkt vor zwei Streifenwagen. Erneut eröffnete er das Feuer, nun auf die Polizisten. Kugeln durchschlugen die Streifenwagen, verletzten den Polizeihund. Der angetrunkene Täter gab erst auf, nachdem er seinen Revolver leer geschossen hatte. „Das Bild, welches sich den einschreitenden Polizeibeamten und danach den Rettungskräften bot, glich einem Schlachtfeld“, sagt Püschel.
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Später wurde Milan T. in einem Prozess vor dem Landgericht zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Das Gericht sprach ihn wegen Mordes in zwei Fällen und versuchten Mordes in drei Fällen schuldig. Als Ursachen für die Tat wurden unter anderem Alkoholeinfluss, Depressionen und verletztes Ehrgefühl genannt. Trotzdem habe der Familienvater „durchaus zielgerichtet und planvoll“ gehandelt, hieß es in der Urteilsbegründung. Bei der Tat habe er die „Arg- und Wehrlosigkeit der Opfer erkannt und ausgenutzt“.
Richter: „Täter ist mit erbarmungsloser Brutalität vorgegangen“
„Der Täter ist mit erbarmungsloser Brutalität vorgegangen“, sagte der Vorsitzende Richter. Weil das Gericht zudem die besondere Schwere der Schuld feststellte, konnte der Verurteilte nicht darauf hoffen, bereits nach 15 Jahren Gefängnis entlassen zu werden.
„In diesem Fall war der verurteilte Mörder weit davon entfernt, überhaupt darüber nachzudenken zu können, wann er einen Antrag auf vorzeitige Entlassung auf Bewährung stellen könnte“, erklärt Rechtsmediziner Püschel. „Denn Milan T. erkrankte in der Haft schwer, wurde schließlich erst in die Ambulanz und später dann ins Zentralkrankenhaus der Haftanstalt verlegt. Dort habe ich ihn im Jahr 2007 mehrfach ärztlich untersucht. Er war damals bereits von einem schweren Lungenkrebsleiden gezeichnet.“ Milan T. verstarb schließlich am 15. Januar 2008, beinahe auf den Tag genau sieben Jahre nach seinem Verbrechen. Er wurde 52 Jahre alt.
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