Hamburg. „DreiFürEins“ wird verlängert: Kinder und Jugendliche leiden nach der Corona-Pandemie besonders. Hamburger Projekt bald bundesweit?

Verhaltensprobleme, Hyperaktivität und emotionale Belastungen zählen zu den häufigsten psychischen Auffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen. Eine Studie des Universitätsklinikums Eppendorf (UKE) hat gezeigt, dass auch nach der Corona-Pandemie jedes vierte Kind unter psychischen Auffälligkeiten leidet. Zwei Drittel der Hamburger Kinder und Jugendlichen fühlten sich durch die Pandemie belastet.

In Hamburg gibt es deshalb zahlreiche Hilfsangebote – doch häufig werden sie nicht genutzt, beispielsweise aufgrund fehlender Schnittstellen. Um dieses Problem zu beheben, hat die Techniker Krankenkasse, gemeinsam mit der Behörde für Schule und Berufsbildung, der Sozialbehörde sowie den Klinikleitungen des Asklepios Klinikums Harburg und des Katholischen Kinderkrankenhauses Wilhelmstift, der Universität Oldenburg und der Universität Erlangen-Nürnberg, das Hamburger Pilotprojekt „DreiFürEins“ entwickelt. Zum Start 2021 wurde das Projekt zunächst mit 5,9 Millionen Euro durch den Innovationsfonds gefördert. Um es fortzuführen, sprangen die Akteure mit einer Brückenfinanzierung ein.

Kinder in Hamburg: ein Erfolgsmodell für psychische Hilfen?

Das Projekt „DreiFürEins“ in Hamburg ist eine Initiative, die Kinder und Jugendliche mit auffälligem Verhalten unterstützt. In diesem Projekt arbeiten zwei Kinder- und Jugendpsychiatrien eng mit den regionalen Bildungs- und Beratungszentren (ReBBZ) und der Kinder- und Jugendhilfe zusammen. Diese Kooperation ermöglicht eine sektorenübergreifende Fallkoordination, bei der regelmäßige Konferenzen stattfinden. Wenn bei Kindern und Jugendlichen ein Unterstützungsbedarf festgestellt wird, findet ein Beratungsgespräch statt. Bei Therapiebedarf erhalten die Betroffenen vor Ort – an den ReBBZ in Altona, Altona-West, Bergedorf und Wandsbek-Süd – kinder- und jugendpsychiatrische sowie psychotherapeutische Angebote, einschließlich Kunsttherapie.

Leo Kaczmarek, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut am Asklepios Klinikum Harburg, sagt: „Die Fallkonferenzen sind unser Herzstück.“ So kommen alle Beteiligten sowie Eltern, Schule und Jugendhilfe an einem Tisch zusammen, man begegne sich auf Augenhöhe, so Kaczmarek. Dabei spielt Transparenz eine wichtige Rolle, so sind die Akteure von der Schweigepflicht entbunden. „Es geht aber nicht darum, Familiengeheimnisse zu verraten, sondern direkt mit passenden Ansprechpartnern zu sprechen“, sagt der Therapeut. Man könne effizienter arbeiten, müsse weniger hin und her telefonieren. „Außerdem können wir so passgenauer und umfänglicher auf Probleme reagieren“, sagt Svenja Karlsson, Sonderpädagogin am ReBBZ in Altona.

Senatorin Schlotzhauer: Hamburger Pilotprojekt soll „Versorgungsform der Zukunft“ werden

„Wir sind uns sicher, dass diese Versorgungsform die Versorgungsform der Zukunft ist“, sagt Sozialsenatorin Melanie Schlotzhauer (SPD). Natürlich gelte das nicht für jedes Kind. „Aber für viele Familien ist es schwierig, Hilfe und Behandlung zu bekommen. Deshalb muss man dorthin gehen, wo sich Kinder aufhalten“, so Schlotzhauer. Die Unterstützung erfolgt deshalb direkt an den regionalen Bildungs- und Beratungszentren. Die Behandlungsdauer beträgt in der Regel etwa sechs Monate.

Sozialsenatorin Melanie Schlotzhauer
Sozialsenatorin Melanie Schlotzhauer (SPD) sieht das Projekt „DreiFürEins“ in Zukunft in der Regelversorgung. © FUNKE Foto Services | Marcelo Hernandez

Die Senatorin zeigt sich beim Ortstermin zufrieden über die vier Standorte in Hamburg. Trotzdem gebe es auch in Stadtteilen wie Wilhelmsburg und Neugraben-Fischbek Bedarf. Ziel der Sozialbehörde ist es, das Projekt künftig in die Regelversorgung zu fassen. Bis es so weit ist, kommt die Brückenfinanzierung zum Tragen: „Strukturen wie diese funktionieren, wir können also nicht zwei Jahre warten, bis eine Entscheidung gefällt wird“, sagt die SPD-Politikerin.

Projekt „DreiFürEins“ für Kinder, die im bestehenden System keinen Halt gefunden haben

„DreiFürEins“ richtet sich an Kinder und Jugendliche im Alter von vier bis 17 Jahren, die aufgrund ihres Verhaltens in Kita oder Schule auffallen und eine behandlungsbedürftige Symptomatik aufweisen. Das Hauptziel ist es, eine gesunde Entwicklung und Bildungsteilhabe von Kindern und Jugendlichen zu fördern, die in den bestehenden Hilfesystemen bisher keinen Platz gefunden haben.

Hamburgs Sozialsenatorin Melanie Schlotzhauer trifft sich mit Fachkräften des Projekts
Hamburgs Sozialsenatorin Melanie Schlotzhauer trifft sich mit Fachkräften des Projekts "DreiFürEins" vor Ort. Gemeinsam mit Maren Puttfarcken (r.), Leiterin der TK-Landesvertretung Hamburg, besucht sie den Raum der Kunsttherapie. © privat | Techniker Krankenkasse

Neben der Verbesserung der Schulnoten sollen das unentschuldigte Fernbleiben von der Schule reduziert, die Lern- und Leistungsmotivation gesteigert und die psychischen Symptome der Betroffenen verringert werden. Letztlich zielt das Projekt darauf ab, die gesundheitsbezogene Lebensqualität der Kinder und Jugendlichen zu erhöhen.

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Dabei spielen mehrere Hilfsangebote eine Rolle, eines davon ist die Kunsttherapie. In einem Raum im ReBBZ Altona sieht man von Kindern gestaltete Kunstwerke, Farbe und Pinsel. Kindern und Jugendlichen wird mit dieser Therapieform ein Raum für Entfaltung geboten, ein Platz für Gedanken und Gefühle. Die Vielfalt an Angeboten mache das Projekt aus, so Sonderpädagogin Karlsson. „Es braucht nicht viel, aber es braucht das Richtige zum frühst möglichsten Zeitpunkt.“

Hamburger Projekt „DreiFürEins“ wird bis März 2026 fortgeführt

Seit dem Start im November 2021 wurden rund 370 Kinder und Jugendliche betreut. Die Projektpartner haben verbesserte Kooperationsstrukturen geschaffen und Daten gesammelt, die derzeit ausgewertet werden. Eine Brückenfinanzierung ermöglicht es, die Versorgung bis zum 31. März 2026 fortzuführen – unabhängig von der Förderung durch den Innovationsfonds, der bis zum 31. Januar 2025 läuft.

Basierend auf den Evaluationsdaten könnte der gemeinsame Bundesausschuss entscheiden, das Projekt in die Regelversorgung zu überführen – also als Behandlung, die von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlt oder bezuschusst wird. In rund eineinhalb Jahren wolle die Sozialbehörde anhand der ausgewerteten Daten überlegen, wie es mit dem „DreiFürEins“-Projekt weitergehen kann. „Es besteht natürlich die Gefahr, dass Strukturen wieder auseinanderbrechen“, so Schlotzhauer.