Hamburg. Nach Abendblatt-Enthüllungen über die EM-Sicherheit werden die Vorwürfe immer gravierender. Zweitligist KSC hat Anwalt eingeschaltet.

Der Name, das war ihr immer klar, muss etwas Besonderes sein. Er muss für sie und ihre Firma stehen, ihre Werte widerspiegeln. Einprägsam sollte er sein, damit man ihn nicht mehr vergisst. Gleichzeitig aber schlicht und aussagekräftig. Immer wieder hat Shima Aydin (31) Ideen entwickelt und verworfen. Bis sie den perfekten Namen für ihre Firma gefunden hatte: Good Staff. Gutes Personal.

Denn das wollte sie mit ihrer Firma anbieten: Gutes Personal für Events. So steht es auch im Handelsregister: „Planung und Durchführung von Veranstaltungen jeglicher Art, insbesondere die Gestellung von Personal im Sinne des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes“, heißt es da.

EM 2024 in Hamburg: Wurde Security-Firma von Betrügern gekapert?

Am 18. April 2024 wurde Good Staff beim Amtsgericht Kiel in das Handelsregister eingetragen und Shima Aydin dachte damals, dass alles perfekt sei. 63 Tage später denkt sie das nicht mehr.

Denn unbekannte Täter haben den Namen ihrer Firma sowie ihre Firmenadresse missbraucht, um für die Fußball Europameisterschaft Euro 2024 unter dem Firmennamen Good Staff Ordner für die EM-Spiele im Hamburger Volksparkstadion anzuwerben – und diese teilweise unter dem Mindestlohn und offenbar schwarz zu bezahlen.

Eine Ordnerin hatte dem Abendblatt von den prekären Arbeitsbedingungen berichtet und als Beleg mehrere WhatsApp-Nachrichten vorgelegt. Darin heißt es unter anderem: „Wir zahlen 10 Euro die Stunde, wenn gewünscht jedes Mal zum 20. des Folgemonats bar aus.“ (Originalnachricht).

Euro 2024: Betrüger heuern unter einem fremden Firmennamen Ordner an

Der Mann, der die Ordner unter anderem über einen Aushang an einer Ampel in Wandsbek angeworben hatte, nannte sich Kevin und behauptete zunächst, für eine Firma namens Good4You zu arbeiten. Als das Abendblatt ihn jedoch mit den Vorwürfen konfrontierte, verstrickte er sich in Widersprüche und gab schließlich an, für die Firma Good Staff in Kiel zu arbeiten.

Eine Lüge, wie sich herausstellte. Denn Good Staff ist die Firma von Shima Aydin. Und diese hat weder von dem sogenannten Kevin noch von dem vermeintlichen Leiter der Personalabteilung je gehört. Als die Gründerin vom Abendblatt erfuhr, dass Unbekannte unter dem Namen ihrer Firma Ordner für die EM unter Mindestlohn anheuern und schwarz beschäftigen, war sie fassungslos.

Anwalt geht in die Gegenoffensive

„Wie kann man nur so fies sein und den Namen einer anderen Firma in den Schmutz ziehen“, sagt Shima Aydin, die nach dem Vorfall umgehend ihren Anwalt kontaktierte. Dieser nahm sofort Stellung zu dem Vorfall und teilte schriftlich mit. „Soweit ein Herr Y. behauptet, in einem Vertragsverhältnis zu meiner Mandantin zu stehen, so ist dieses eine wahrheitswidrige Behauptung.“

Und weiter: „Faktum ist, dass die Firma meiner Mandantin erst im April 2024 gegründet und ins Handelsregister eingetragen worden ist und ihren Geschäftsbetrieb bisher noch nicht aufgenommen hat. Hätte meine Mandantin irgendeine Kenntnis zu den von Ihnen aufgeworfenen Fragen, so würde diese Rede und Antwort stehen. Meine Mandantin ist jedoch in den von Ihnen geschilderten Sachverhalt in keiner Weise involviert, weder mittelbar noch unmittelbar.“

Offenbar wurde sogar eine Fake-E-Mail-Adresse angelegt

Sogar eine E-Mail-Adresse legten sich die Hintermänner an. Während die Endung von Shima Aydin und ihrer Firma jedoch @good-staff.de lautet, agieren der sogenannte Kevin und sein Kollege über E-Mails, die auf @good-staff-gmbh.de enden.

Auch ein Fake-Logo kreierten die vermeintlichen Betrüger – es handelt sich um ein frei verfügbares Template aus dem Internet, also eine Vorlage, die als Grundlage für das Design und den Aufbau von Webseiten oder anderen digitalen Inhalten dient. Als Firmenslogan verwendet die Fake-Firma: „Dienstleistung ist unsere Stärke.“ Shima Aydin hat bisher noch kein Firmenlogo erstellt.

Nach Widersprüchen reagieren Beschuldigte nicht mehr auf Anfragen

Dem Abendblatt ist es gelungen, über die Email-Adresse Kontakt zu dem vermeintlichen Leiter der Personalabteilung aufzunehmen. Per E-Mail teilte er mit, dass die Ordnerin zum Zeitpunkt der Beschäftigung noch nicht angestellt gewesen sei und es sich um ein „Probearbeiten“ gehandelt habe. Doch davon war in den WhatsApp-Nachrichten nie die Rede. Im Gegenteil: Immer wieder bekam die Ordnerin Termine mitgeteilt, an denen sie eingesetzt werden sollte. Als das Abendblatt Kevin und seinen Kollegen mit diesem Widerspruch per E-Mail kontaktierte, reagierten sie nicht mehr.

Besonders bitter: Bisher will niemand die Verantwortung für den Skandal übernehmen. Weder die Uefa noch der Stadionbetreiber HSV und auch nicht deren Sicherheitsdienstleister Power sahen sich auf Nachfrage für den Fall zuständig und verwiesen darauf, das Mindestlohngesetz vertraglich fixiert zu haben. Auf erneute Anfrage schrieb ein Power-Sprecher, bislang keinen Zusammenhang mit den eigenen Partnerunternehmen gefunden zu haben.

Sicherheitsdienstleister Power nimmt Subunternehmen unter die Lupe

Immerhin: Aufgrund der Abendblatt-Berichterstattung hat Power nun doch damit angefangen, die eigenen Subunternehmen etwas genauer unter die Lupe zu nehmen. Der Power-Sprecher teilt schriftlich mit, dass man „im Rahmen unserer Ermittlungen aktuell einer Spur“ nachgehen würde, „die uns hoffentlich neue Erkenntnisse bringen wird. Das betreffende Unternehmen hat sich jedoch noch nicht uns gegenüber geäußert, die Frist läuft aber noch.“

Welches Subunternehmen die Gesetze nun mutmaßlich umgangen hat, sorgt seit der Enthüllung für zahlreiche Reaktionen. Die Gewerkschaften haben scharfe Kritik geäußert, der Zoll bestätigte eine Razzia im Volksparkstadion beim letzten EM-Hamburg-Gruppenspiel zwischen der Türkei und Tschechien und fast alle Hamburger Fraktionen haben sich beim Abendblatt gemeldet und auch politische Konsequenzen aus dem Fall gefordert.

Sicherheitsfall in Hamburg: Die Linke hat eine SKA gestellt

Die Linke hat derweil eine schriftliche Kleine Anfrage (SKA) mit der Überschrift „Schwarzarbeit, Mindestlohnbetrug und mangelnder Arbeitsschutz bei EM-Spielen in Hamburg – was unternimmt der Senat?“ gestellt. Darin wird unter anderem gefragt: „Welche Kontrollen wurden im Vorfeld der EM-Spiele durch Hamburger Behörden durchgeführt?“

Bislang wurde lediglich eine nicht angekündigte Schwerpunktprüfung (SPP) im Bereich Wach- und Sicherheitsgewerbe vom Hauptzollamt Hamburg bestätigt. Während der rund 90-minütigen Prüfungsmaßnahme wurden insgesamt 167 Arbeitnehmer befragt – die Ergebnisse stehen noch aus.

Schwere Vorwürfe in den sozialen Medien

Auch in den sozialen Medien sorgt das Thema für großen Unmut. Allein bei Facebook gibt es 678 Kommentare unter dem Abendblatt-Artikel (Stand: Dienstag um 12 Uhr).

Normal. Dieses Wort taucht immer wieder in den Kommentaren auf. Normal, dass „in der Branche bei solchen Veranstaltungen die meisten unter Mindestlohn arbeiten oder noch nicht mal gemeldet sind“. Normal, dass „gerade im Sicherheitsbereich Gesetze umgangen werden“. Normal, „dass die sogenannten Sicherheitskräfte kaum ausgebildet sind“. Normal, „dass bei Ausschreibungen immer der Billigste gewinnt.“

„Ich habe selbst erlebt das Sicherheitsfirmen Mitarbeiter fur 12€/Stunde angeboten haben. Da brauche ich kein Genie zu sein, um zu wissen dass es keine ausgebildeten Sicherheitskräfte mit Mindestlohn sind. Aber bei Ausschreibungen gewinnt immer der Billigste. Und wenn jemanden 11€/Stunde anbietet wird der genommen! Und jetzt kommt es noch besser: Der, der den Auftrag bekommen hat, gibt den Auftrag noch an Subunternehmen ab und die sind noch billiger, wenn die nicht auch noch an Subunternehmen abgeben. Und somit ist die ganze Sache schön undurchsichtig und keiner ist schuld“, so ein User.

Scheinfirma verwendet ein Foto von KSC-Ordnern für die Akquise von Mitarbeitern

Von der Firma Good Staff oder Good4You, wie sich Kevin und seine Komplizen zunächst genannt haben, will niemand etwas gehört haben. Niemand bei Facebook, bei Power, beim HSV oder bei der Uefa.

Die Scheinfirma hat vermutlich nicht nur über Aushänge Ordner für die EM akquiriert, sondern auch über Kleinanzeigen. Dort wird zwar eine andere Mobilfunknummer angegeben, aber mit exakt demselben Foto geworben wie auf den Aushängen. Wir kontaktieren auch die Nummer bei Kleinanzeigen, bekommen aber keine Antwort.

Zweitligist KSC ist schockiert – und hat Anwalt eingeschaltet

Ebenfalls verdächtig: Das verwendete Foto zeigt zwei Ordner des Karlsruher SC. Als das Abendblatt den Zweitligisten darüber informiert, dass Kevin und sein angebliches Unternehmen das Foto der KSC-Sicherheitskräfte für ihre Machenschaften missbrauchen, ist man auch dort geschockt.

„Das auf dem inkriminierten Aushang verwendete Foto, das das Logo des Karlsruher Sport-Clubs (KSC) zeigt, erfolgte ohne das Wissen und ohne die Zustimmung des KSC. Der KSC ist bereits erfolgreich gegen diese widerrechtliche Verwendung des Fotos vorgegangen“, ließ der KSC über seinen Anwalt mitteilen.

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Unabhängig von dem Hamburger Fall ist die Sicherheit bei dieser Europameisterschaft seit Tagen auch bundesweit ein großes Thema. Seit Beginn der EM ist es immer wieder zu gravierenden Sicherheitslücken gekommen, die durch die vielen Flitzer sowie den Auftritt eines gefaketen Maskottchens bei der Eröffnungsfeier offenbart wurden. Tiefpunkt war ein mutmaßlicher Hobbyfotograf, der vermummt beim Achtelfinalspiel der Deutschen gegen Dänemark in Dortmund ungehindert auf das Stadiondach gelangen konnte. Die Untersuchungen zu dem Fall laufen noch.

Am Freitag werden die Ordner und Ordnerinnen ein letztes Mal bei dieser EM in Hamburg gefordert werden. Im Volksparkstadion treffen dann Frankreich und Portugal im Viertelfinale aufeinander. Kylian Mbappé gegen Cristiano Ronaldo. Ein Leckerbissen für Fußballfans – und eine echte Mammutaufgabe für den Ordnungsdienst.

Erneut sollen rund 1000 Sicherheitskräfte im Volksparkstadion im Einsatz sein, um einen reibungslaufen Ablauf zu gewährleisten.

EM: Missbrauchen Betrüger Firmennamen für Schwarzarbeit?

Trotz allem – oder gerade deswegen. Shima Aydin wird auch weiterhin die EM-Spiele gucken. Aber aus einem anderen Blickwinkel. Sie wird nicht mehr nur auf das Spiel achten, sondern auch auf die Ordner im Stadion. Und sich fragen, wie viele von ihnen wohl ebenfalls unter Mindestlohn arbeiten.

Irgendwann in der letzten Woche, als alles über sie hereinbrach, hat sie sich kurz gefragt, wie es weitergeht. Ob ihre Firma überhaupt wie geplant den Betrieb aufnehmen kann. Jetzt fragt sie sich das nicht mehr. Sie wird ihr Unternehmen aufziehen und an dem Namen festhalten. Denn das war ihr immer klar. Der Name ist etwas Besonderes.