Hamburg. EM-Ordner ohne Verträge, Mindestlohn und Steuern? Politik nimmt Senat, HSV und Power in die Pflicht. Zoll machte Schwerpunktprüfung.
Am Mittwochabend wurde es plötzlich lebhaft im bis auf den letzten Platz gefüllten Volksparkstadion. Das lag allerdings weniger an den frenetischen Türken oder den nicht weniger lautstarken Tschechen, die beim letzten Vorrundenspiel der Fußball-Europameisterschaft ins Stadion gekommen waren und einen abwechslungsreichen 2:1-Sieg der Türkei erlebten. Sondern am Hauptzollamt Hamburg, das in Absprache mit der Polizei Hamburg zu einer sogenannten SPP angerückt war.
Die nicht angekündigte Schwerpunktprüfung (SPP) im Bereich Wach- und Sicherheitsgewerbe wurde durchgeführt, um die Einhaltung der Mindestarbeitsbedingungen und Arbeitgeberpflichten nach dem Mindestlohngesetz, die sozialversicherungsrechtlichen Pflichten (Meldepflichten, Abführung von Beiträgen zur Sozialverssicherung) und den Missbrauch von Sozialleistungen zu überprüfen, wie der Zoll auf Abendblattnachfrage bestätigte.
Volksparkstadion: Zoll und Polizei kontrollierten Ordner
Aus dem Behördendeutsch übersetzt: Zoll und Polizei kontrollierten, ob bei den Sicherheitskräften im und um das Volksparkstadion auch alles mit rechten Dingen zuging. Während der rund 90-minütigen Prüfungsmaßnahme wurden insgesamt 167 Arbeitnehmer befragt.
Warum eine solche Maßnahme dringend nötig ist, konnten alle Beteiligten noch am selben Abend bei abendblatt.de nachlesen. „EM-Sicherheit: Offenbar Schwarzarbeit und nicht mal Mindestlohn“, hieß es in der Überschrift über einen großen Report.
Abendblatt-Bericht über mutmaßliche Schwarzarbeit
In dem Bericht konnte das Abendblatt nachweisen, dass ein Subunternehmen vom Hamburger Sicherheitsdienstleister, der Power Personen-Objekt-Werkschutz GmbH, offenbar unerfahrene Ordner beschäftigt, die teilweise gerade einmal 10 Euro Stundenlohn erhalten – und das auch noch schwarz.
Eine 18 Jahre alte Ordnerin, die beim EM-Vorrundenspiel zwischen den Niederlanden und Polen auch beim „Bodycheck“ im Einsatz war, hatte dem Abendblatt bestätigt, dass man sie aufgrund eines Aushangs an einer Ampel in Wandsbek angeheuert hatte. Die junge Hamburgerin hatte allerdings weder eine Einführung vor Ort noch einen Vertrag erhalten, ihr abgesprochenes Gehalt soll ihr zudem am 20. des Folgemonats in bar ausgezahlt werden.
HSV, Uefa und Power fühlen sich nicht zuständig
Weder die Uefa noch der Stadionbetreiber HSV und auch nicht deren Sicherheitsdienstleister Power sahen sich allerdings auf Nachfrage für den Fall zuständig und verwiesen darauf, das Mindestlohngesetz vertraglich fixiert zu haben. Welches Subunternehmen dieses Gesetz nun mutmaßlich umgangen hat, sorgte am Tag nach dem Spiel für zahlreiche Reaktionen.
Als Erstes meldete sich der Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB): „Wir erwarten, dass hier umgehend durchgegriffen wird, denn Verstöße gegen das Arbeitsrecht dürfen nicht toleriert werden. Hier darf es kein Herauslavieren mit Sub-Sub-Subunternehmen und angeblicher Verantwortungsdiffusion geben“, sagte Hamburgs DGB Vorsitzende Tanja Chawla, die der Uefa nach eigener Aussage sogar „die Gelbe Karte“ zeigte.
Politik nimmt Uefa in die Pflicht
Und es sollte nicht lange dauern, ehe auch die Hamburger Politik in die Diskussion einstieg: „Es ist unerlässlich, dass die bestehenden Gesetze und die Regelungen zum Mindestlohn auch bei den Sicherheitskräften und sonstigen Beschäftigten Beachtung finden und strikt befolgt werden und die Uefa muss dieses sicherstellen“, sagte Dennis Thering, der Vorsitzende der CDU-Fraktion. „Jegliche Missachtung dieser Vorschriften ist nicht hinnehmbar und ich wundere mich, dass auch der Hamburger Senat darauf anscheinend keinen Wert gelegt hat.“
Ähnlich sah man den Fall auch bei den Linken. „Arbeitsschutz und die Einhaltung von Tarif- und Mindestlöhnen müssen gewahrt bleiben“, sagte David Stoop, der gewerkschaftspolitische Sprecher der Linksfraktion. „Der Staat darf nicht zulassen, dass soziale Standards und Sicherheitsvorschriften ignoriert werden. Egal ob Subunternehmen oder nicht.“
Stoop nannte den ganzen Vorgang rund um mögliche Schwarzgeldzahlungen und die Umgehung des Mindestlohns einen „Skandal“: „Der HSV und der Senat stehen hierfür in der Verantwortung.“
SPD erhebt Forderungen gegenüber dem HSV und Power
Doch die Empörung über die Zustände im Sicherheitsbereich bei der EM hatte die Hamburger Opposition nicht exklusiv. Auch die SPD-Fraktion forderte Aufklärung von den beteiligten Unternehmen ein. „Kein Mindestlohn, dafür aber ein stark anonymisierter Recruiting-Prozess – der im Abendblatt geschilderte Einzelfall ist inakzeptabel“, sagte Jan Koltze, arbeitsmarktpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion Hamburg.
Koltze nimmt vor allem den HSV und dessen Partner Power in die Verantwortung: „Die Power Personen-Objekt-Werkschutz GmbH muss sich fragen lassen, nach welchen Kriterien sie ihre Partner auswählt. Das Unternehmen steht in der Verantwortung, bei einer Untervergabe auch geeignete Prüfmechanismen anzuwenden, die die Einhaltung des Mindestlohns sicherstellen.“
SPD will noch während der EM Aufklärung
Und weiter fordert er: „Wir haben jetzt die klare Erwartung, dass das Unternehmen noch während der laufenden EM den Vorwürfen nachgeht und auch der HSV als Stadionbetreiber sich an einer schnellen Klärung beteiligt.“
Ein ähnliches Wording gibt es vom Koalitionspartner. Filiz Demirel, die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Grünen, sagt: „Eine Kontrolle der Subunternehmer durch die Hauptunternehmen ist zwingend nötig. Es wäre daher nicht angebracht, wenn sich Uefa und HSV hier weiter wegducken würden.“
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Gleichzeitig betont Demirel auch: „Grundsätzlich sind es aber die Hamburger Sicherheitsbehörden, die bisher für einen sicheren und reibungslosen Ablauf der EM 2024 in unserer Stadt sorgen.“
Gerne hätte das Abendblatt zu den Vorkommnissen auch eine Einschätzung von Innen- und Sportsenator Andy Grote gehabt. Persönlich konnte der SPD-Politiker nicht Stellung beziehen, ließ aber über seinen Sprecher ausrichten, dass der Abendblattartikel zum Anlass genommen wurde, „den Veranstalter auf die geltenden Anforderungen und die gesetzlichen Bestimmungen hinzuweisen und um Stellungnahme zu bitten.“
Das Fazit der Innenbehörde: „Die bisherigen Spiele in Hamburg sind insbesondere von Seiten der Sicherheitsbehörden hochprofessionell bewältigt worden.“
Zoll konnte nicht sagen, wann Ergebnisse vorliegen
Tatsächlich unternahmen Zoll und Polizei am Mittwoch einen ersten Schritt, um der Problematik Herr zu werden. „Im Rahmen der weiteren Bearbeitung folgt nun eine Plausibilitätsprüfung der vor Ort getätigten Personenbefragungen. Im Anschluss können sich weitere Prüfungsmaßnahmen bei den Arbeitgebern anschließen“, hieß es auf Nachfrage.
Ob und wann mit Ergebnissen zu rechnen ist, konnte am Donnerstag allerdings niemand sagen.