Hamburg. Im Volkspark waren Ordner ohne Vorerfahrung und ohne Vertrag im Einsatz. Uefa, HSV und Sicherheitsfirma weisen Verantwortung von sich.
- Recherchen ergaben, dass im Volksparkstadion teilweise Ordner ohne Vorerfahrung und für einen Stundenlohn von nur zehn Euro eingesetzt wurden.
- Unzureichende Bezahlung und mangelhafte Schulung führten zu gravierenden Sicherheitsmängeln, wie beispielsweise unzureichenden Kontrollen bei Einlasskontrollen.
- Die Verantwortung wird zwischen der Uefa, dem HSV und dem Sicherheitsdienstleister Power Personen-Objekt-Werkschutz GmbH hin- und hergeschoben.
Als im Volksparkstadion das Spiel nach dem Spiel begann, waren die Fernsehkameras längst woanders. So konnten TV-Zuschauer nach dem packenden 2:2-Remis zwischen Kroatien und Albanien vor ein paar Tagen nicht mehr sehen, was die erstaunten Fans im Stadion beobachteten. Gleich zehn albanische Anhänger waren auf den Rasen gesprungen – und auch ein kroatischer Fan hatte es geschafft. Doch der Hamburger Ordnungsdienst war nach zahlreichen Vorfällen bei dieser EM 2024 bestens vorbereitet und hatte die sogenannten Flitzer schnell geschnappt.
Ganz so erfolgreich wie in diesem Fall lief es in Sachen Sicherheit allerdings nicht immer bei dieser Europameisterschaft – auch nicht in Hamburg. Und wagt man einen etwas genaueren Blick hinter die Kulissen, sind die zahlreichen Zwischenfälle auch nicht weiter verwunderlich.
So haben Abendblatt-Recherchen ergeben, dass auch im Volksparkstadion Ordner eingesetzt wurden, die teilweise keine Vorerfahrung hatten und gerade einmal zehn Euro Stundenlohn bekommen – und das vermutlich schwarz. Das berichtet eine Hamburgerin, die bei dem Gruppenspiel Polen gegen die Niederlande als Ordnerin gearbeitet hat.
EM in Hamburg: Rund 1000 Ordner sind im Einsatz
Besonders heikel: Die 18-Jährige hatte bei ihrem ersten Einsatz als Ordnerin keinerlei Vorerfahrung und wurde nach eigener Aussage ohne Einweisung bei der Einlasskontrolle, dem Bodycheck, eingeteilt, bei dem die Besucher auf Waffen, Drogen, Wurfgegenstände und Flaschen durchsucht werden. „Wenn da jemand Waffen oder Sprengstoff reingeschmuggelt hätte, wäre es mir vermutlich nicht aufgefallen“, gibt die junge Frau zu und warnt: „Die Stadien sind alles andere als sicher!“
Rund 1000 Ordner sollen bei den jeweiligen EM-Spielen im Einsatz sein. Und trotzdem kommt es bereits seit Beginn der Fußball-Europameisterschaft immer wieder zu gravierenden Sicherheitslücken, die durch die vielen Flitzer sowie den Auftritt eines gefakten Maskottchens bei der Eröffnungsfeier offenbart werden.
EM 2024: HSV nimmt Dienstleister Power in Pflicht
Doch wer ist verantwortlich dafür, dass zumindest in Hamburg teilweise Ordner und Ordnerinnen eingesetzt werden, die unterhalb des Mindestlohns und offenbar schwarz bezahlt werden? Veranstalter der EURO 2024 ist natürlich die Uefa, die allerdings auf Abendblatt-Nachfrage den Ball weiter an den Stadionbetreiber HSV spielt. Die Hamburger erhalten für die fünf EM-Spiele im Volksparkstadion drei Millionen Euro und seien somit nach Angaben der Uefa für den Ordnungsdienst „komplett verantwortlich“.
Anders als manches Mal in der Zweiten Liga nimmt der HSV den Uefa-Ball gekonnt auf – und leitet ihn seinerseits elegant weiter, wie es Deutschlands Mittelfeldstar Jamal Musiala nicht hätte besser machen können. „Im Rahmen des Mietvertrages beauftragt die HSV Fußball AG einen externen Dienstleister für den Sicherheits -und Ordnungsdienst“, lässt ein HSV-Pressesprecher wissen. Und weiter. „Grundsätzlich regelt der Vertrag zwischen der HSV Fußball AG und dem Dienstleister, dass insbesondere das Mindestlohngesetz einzuhalten ist.“
Umsatz von Power bei 67,2 Millionen
Dieser Sicherheits- und Ordnungsdienst ist die Power Personen-Objekt-Werkschutz GmbH, die zu den 25 führenden Sicherheitsdienstleistern in Deutschland gehört und laut der Lünendonk-Liste im Jahr 2022 etwa 1550 Mitarbeiter beschäftigt. Der Umsatz des Unternehmens lag zuletzt bei etwa 67,2 Millionen Euro.
Doch auch Power beherrscht das Kunststück mindestens genauso gut, den Ball der Verantwortung weiterzuspielen. In einer ausführlichen Stellungnahme lässt ein Firmensprecher ausrichten, dass man bei der EM natürlich mit Partnerunternehmen zusammenarbeiten müsse. Aber: „In den mit unseren Partnern geschlossenen Verträgen sind selbstverständlich auch die gesetzlich einzuhaltenden Mindestbestimmungen definiert“, versichert der Power-Sprecher.
Power arbeitet bei EM mit zahlreichen Subfirmen
Tatsächlich gilt Power als etabliertes und seriöses Sicherheitsunternehmen in der Branche. Doch welches Subunternehmen möglicherweise nicht ganz so seriös wie Power Verträge einhält, den Mindestlohn respektiert, Steuern zahlt und ihre Mitarbeiter den Anforderungen entsprechend schult, lässt sich in der Kette von oben (Uefa) bis unten (Kleinstunternehmen) nur schwer nachvollziehen. Die Nachfrage, mit welchen Partnerunternehmen Power bei dieser EM zusammenarbeite, wollte die Hamburger Firma aus „vertragsrechtlichen“ Gründen nicht beantworten.
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Nur so viel: „Auch das sind Kollegen, die andere Stadien in Norddeutschland absichern auf vergleichbar hohem Niveau wie wir. Wir unterstützen uns gegenseitig seit vielen Jahren, teils Jahrzehnten.“ Und natürlich seien alle vertraglichen Standards auch mit diesen Subunternehmen fixiert: „In den mit unseren Partnern geschlossenen Verträgen sind selbstverständlich auch die gesetzlich einzuhaltenden Mindestbestimmungen definiert. So weit es uns möglich ist, überprüfen wir das auch regelmäßig. Unsere Prüfung bezüglich der EM kann selbstverständlich erst nach der EM und den entsprechenden Lohnzahlungen erfolgen.“
Gibt es angebliche Sicherheitsfirma Good4You überhaupt?
Die Hamburgerin Diana (Name geändert) war nicht direkt von Power angeworben worden, sondern von einem Subunternehmen. Der angebliche Firmenname: Good4You. Der Firmenname war ihr wie alle Details zu ihrem Einsatz in einer WhatsApp Gruppe mit rund 50 anderen Neu-Ordnern mitgeteilt worden, die Kommunikation lief ausschließlich über WhatsApp.
Monate später wird der Subunternehmer auf Abendblatt-Nachfrage behaupten, dass von dem Firmennamen Good4You nie die Rede war, sondern es sich um die Firma „Good Staff GmbH“ aus Kiel handelt. Im Chat wurde jedoch ein anderer Name kommuniziert. Und auch einen Vertrag hat Diana nie bekommen. „Natürlich kam mir das alles merkwürdig vor, aber ich wollte den Job unbedingt, um an Events teilnehmen zu können. Daher habe ich das erst mal alles so hingenommen“, sagt die 18-Jährige.
Sie wurde über einen Aushang an einer Ampel in Wandsbek auf den Job aufmerksam. Es war so ein Zettel, wie er in Hamburg tausendfach an Laternenpfählen und Ampeln hängt, in einer billigen Klarsichtfolie, mit Tesa festgeklebt. „Nebenjob“, stand da. Und: „Hast du Lust, als Veranstaltungsordner im Fußballstadion zu arbeiten? Unter anderem bei Spielen der Bundesliga und der EM 2024... Für weitere Infos melde dich gerne per WhatsApp.“
Als Ordner kann man nebenbei Geld kassieren
Im April war das, und für Diana schien der Job ideal zu sein. Sie war damals gerade mit ihrem Freiwilligen Sozialen Jahr (FSJ) fertig und wartete auf den Beginn ihrer Ausbildung. „Ich dachte, dass ich in der Zeit ein bisschen Geld verdienen kann und gleichzeitig bei ein paar coolen Events eingesetzt werde, für die ich mir sonst nie eine Karte leisten könnte“, so die junge Hamburgerin.
Ihr größter Traum sei es gewesen, zum Taylor-Swift-Konzert zu gehen oder Karten für ein EM-Spiel zu bekommen. „Doch daranzukommen, war unmöglich. Daher fand ich die Idee genial, als Ordner zu arbeiten“, sagt Diana und erzählt, wie sie die angegebene Nummer anschrieb und schnell darauf eine Antwort von einem gewissen Kevin bekam.
Als Kevin ein paar Wochen später vom Abendblatt mit den Vorwürfen konfrontiert wird, verwendet er plötzlich einen anderen Namen. Obwohl er sich im Chat als Kevin vorstellte.
Organisation des Ordnungsdienstes lief über WhatsApp
Dem Abendblatt liegt der WhatsApp-Verlauf über mehrere Wochen vor. In der Nachricht schrieb Kevin: „Wenn du Lust hast mitzumachen, würden wir dich in eine WhatsApp Gruppe einladen, dort würden dann immer die Aufträge rein geschickt werden und wenn du dann Zeit und Lust hast an dem Tag zu arbeiten, tragen wir dich dann dafür ein. (...)Wenn du weiterhin interessiert bist würde ich dir noch weitere Infos zur Bezahlung und den Voraussetzungen zuschicken, ok?“ (Originalnachricht)
Diana stimmte zu und erfuhr weitere Einzelheiten zu den geplanten Einsätzen. „In diese Gruppe schicken wir dann 5–6 Tage vorher die Aufträge rein, jeder der dann an dem Auftrag arbeiten möchte, kann sich darauf melden. (...) Es ist wichtig dass schwarze Kleidung getragen wird und auch schwarze Schuhe“, so die Anweisung von Kevin.
Offerierte Bezahlung: zehn Euro die Stunde
Zum Thema Bezahlung schrieb er: „Wir zahlen 10 Euro die Stunde wenn gewünscht jedes Mal zum 20. des folgemonats Bar aus. Sprich das was du im Dezember gearbeitest hast, erhälst du am 20. Januar und von dann an alle 4 Wochen. Also jedes Mal zum 20.den Monats die Auszahlung. (...) Wenn du damit einverstanden bist, würde ich dich in dei Whatsapp Gruppe Aufnehmen. Wir würden uns dann spätestens beim ersten Auftrag einmal persönlich sehen.“ (Originalnachricht)
„Inaktzeptabel“: Bundesverband der Sicherheitswirtschaft verurteilt Zustände
Der Bundesverband der Sicherheitswirtschaft verurteilte die geschilderten Zustände im Veranstaltungsordnungsdienst scharf. „So etwas ist inakzeptabel“, sagt Hauptgeschäftsführer Dr. Peter Schwark. Auch wenn es im Ordnerbereich üblich sei, bei Großveranstaltungen auf zusätzliche Minijobber zu setzen, müssten die geltenden Gesetze und der Mindestlohn eingehalten werden.
„Wenn ein Unternehmen die Steuergesetze missachtet oder den Mindestlohn ignoriert, führt das bei Ausschreibungen zu Wettbewerbsverzerrungen“, so Schwark. Anders als im Veranstaltungsordnungsdienst gebe es für die etwa 285.000 Beschäftigten in der Wach- und Sicherheitsbranche einen Tarifvertrag, an den sich alle Unternehmen zu halten hätten.
Laut Tarifvertrag: 13,90 Euro die Stunde
Laut Tarifvertrag gelten für gewerbliche Sicherheitsmitarbeiter in Hamburg bereits in der untersten Gruppe Stundengrundlöhne von mindestens 13,90 Euro. Derzeit arbeiten etwa 285.000 Beschäftigten in der Wach- und Sicherheitsbranche.
Zum Vergleich: Seit Januar 2024 gilt in Deutschland ein gesetzlicher Mindestlohn von 12,41 Euro. Zum 1. Januar 2025 steigt der Mindestlohn auf 12,82 Euro.
Ordner: Die Chance auf Live-Spiele
Diana wusste zwar, dass die zehn Euro Stundenlohn weit unter dem Mindestlohn liegen, sagte aber dennoch zu. Weil sie dabei sein wollte, wie sie heute sagt. Dabei bei der EM im eigenen Land, in einem Stadion, bei einem Spiel, für das sie sonst nie Karten bekommen hätte.
Nach ihrer Zusage wurde sie in eine WhatsApp-Gruppe aufgenommen. Eine Kommentarfunktion sei nicht möglich gewesen, erinnert sich Diana und sagt, dass ständig Mitglieder aufgenommen und entfernt worden seien.
Ordner brauchen DFB-Schulung
Per WhatsApp erhielt sie weitere Anweisungen. „Um im Stadion als Ordner arbeiten zu dürfen, muss man online eine dfb-Schulung machen. Dabei handelt es sich um 12 Videos (je 10–20 Minuten), die man sich anschauen muss und zwischendurch einige Fragen beantworten muss. Sobald du die Schulung abgeschlossen hast, darfst du im Stadion arbeiten.“ (Originalnachricht)
Diana wurde aufgefordert, ihre E-Mail-Adresse anzugeben, damit man ihr einen Link für die Schulung schicken könne. Außerdem erhielt sie einen Link, unter dem sie ihr Führungszeugnis beantragen könne, und eine Datenschutzerklärung, die sie ausfüllen sollte.
Vorgesetzter wollte unvollständige Datenschutzerklärung
Das Problem: Die WhatsApp-Nachricht enthielt lediglich die letzte Seite der Datenschutzerklärung. Seite 5. Als Diana fragte, ob es nicht noch mehr Seiten gebe, die man lesen sollte, antwortete Kevin: „Ich weiß es nicht. Das ist das was mir zugeschickt wurde.“ (Originalnachricht)
Aus heutiger Sicht muss Diana selbst den Kopf schütteln, wie chaotisch alles war, wie unorganisiert, nahezu planlos. Immer wieder gab es Probleme mit der Schulung, mehrmals musste sie ihre Teilnahme mit einem Screenshot nachweisen.
DFB-Schulung dauerte sechs Stunden
„Nach jedem Video musste man dazu Fragen beantworten. Wenn eine Antwort falsch war, ist man nicht weitergekommen, sondern musste noch mal von vorne anfangen“, erklärt Diana das Prozedere, das sie etwa sechs Stunden gekostet hat. Bezahlt werde die Zeit nicht.
In den Videos ging es um Rechte und Pflichten des Veranstaltungsordners, Beispiele strafrechtlicher Verstöße, Verstöße gegen die Stadienordnung, Rassismus, Rechtsextremismus und Diskriminierung im Fußball.
Erstes Treffen mit Vorgesetzten erst am Spieltag
Etwa zweieinhalb Monate dauerte es von der ersten Kontaktaufnahme bis zu ihrem ersten Einsatz. Es sollte ihr erster und letzter Einsatz werden. „Kevin hatte uns per WhatsApp den Standort geschickt, an dem wir uns treffen“, sagt Diana und erzählt, dass es am Nord-Ost-Eingang, also in unmittelbarer Nähe des berühmten Uwe-Seeler-Fußes, vor schwarz gekleideten Menschen nur so wimmelte. Bis auf eine Ausnahme: ein Mann in Jeans und Shirt, etwa Mitte 20, mit einem Klemmbrett in der Hand, auf dem er Namen abgehakt hat.
„Er hat sich als Kevin vorgestellt und gesagt, dass wir uns geschrieben haben“, erinnert sich Diana und erzählt, wie Kevin sie in einer Gruppe von Ordnern zu einem Container gebracht habe, an dem sie ihre Sicherheitswesten bekamen. Danach habe sie ihn nicht wiedergesehen.
Rund 50 Ordner sollen beim Treffpunkt gewesen sein
In ihrer Gruppe seien etwa 50 Männer und Frauen gewesen, die meisten ihrer Schätzung nach zwischen 18 und 30 Jahren. „Man hatte uns vorher eingetrichtert, dass wir für die Firma Good4You arbeiten. Ich habe erst vor Ort begriffen, dass es noch zahlreiche andere Firmen gab, die im Einsatz waren“, sagt Diana. Von anderen Ordnern habe sie gehört, dass diese vorher einen Vertrag unterschrieben hatten und mehr als 13 Euro die Stunde verdienten.
„Ich wusste ja schon vorher, dass 10 Euro wenig ist und wir das Geld vermutlich schwarz bekommen. Ich dachte, das sei in der Branche vielleicht normal. Aber als ich dann von den anderen gehört habe, dass die Verträge haben und viel mehr verdienen, fand ich das alles noch merkwürdiger und frustrierender“, so Diana.
Treffen um 9.15 Uhr, Bezahlung erst ab 10 Uhr
Erst nach ihrem Einsatz hat sie erfahren, dass sie nicht ab dem Zeitpunkt des Treffens um 9.15 Uhr bezahlt wird, sondern erst ab 10 Uhr. Als sie Kevin dazu eine Nachricht schickt, ist er empört: „Du kriegst bezahlt ab 10 Uhr“, lässt er sie wissen. Es sei normal, dass man sich dann schon um 9.15 Uhr treffe. „Ich weiß nicht, ob du denkst, das ist Spaß hier. Das ist Arbeit. Es ist ganz normal, dass man Treffpunkt früher macht. Das machen alle Firmen so“, heißt es in einer Sprachnachricht.
Aber, das ist Diana ganz wichtig, in dieser Geschichte soll es nicht nur um dubiose Subunternehmer und die prekären Arbeitsbedingungen gehen. Sondern auch um das Sicherheitsrisiko Fußballstadien. „Und das bei einem Großereignis wie der EM!“, sagt sie und gibt ehrlich zu: „Trotz dieser Videos war ich in keinster Weise auf den Job vorbereitet. Wenn es zu einem Notfall gekommen wäre, hätte ich nicht gewusst, wie ich reagieren soll.“
Fachkräftemangel in Sicherheitsbranche
Das Problem: In der Wach- und Sicherheitsbranche besteht wie in vielen Branchen ein akuter Fachkräftemangel. Gleichzeitig haben die Corona-Pandemie, der Ukraine-Krieg und die Flüchtlingskrise zu einer erhöhten Nachfrage nach Sicherheitsdienstleistungen geführt, sodass die Lücke zwischen Angebot und Nachfrage immer größer wird. Ohne Subunternehmer, so ein Sicherheitsexperte, könne man kaum noch arbeiten. Doch leider gebe es darunter auch viele schwarze Schafe, so der Branchen-Insider.
Bei den ersten EM-Spielen in Hamburg machte das Abendblatt Stichproben und fragte zahlreiche Ordnungskräfte, für welche Firma sie arbeiten, was sie verdienen, wie lange sie arbeiten, welche Aufgaben sie übernehmen und wie die Arbeitsbedingungen seinen. Viele Sicherheitskräfte waren verunsichert, wollten ungern persönliche Auskünfte geben. Andere hatten aber auch kein Problem mit den Fragen und baten nur darum, dass nicht der echte Name genannt werde.
Sehr offen war beispielsweise ein sehr junger Ordner, der beim Spiel zwischen Kroatien und Albanien extra aus Nürnberg angereist war. Er berichtet, dass er nachts aus 2 Uhr mit dem Bus losgefahren sei und erwartete, gegen 23 Uhr am Spieltag wieder in Nürnberg zu sein. Am nächsten Morgen um 6 Uhr würde er dann erneut mit dem Bus abgeholt werden, um nach München zum nächsten EM-Spiel zu fahren. Laut seiner Aussage arbeitet er für Power, komme im Schnitt auf 160 Stunden im Monat, erhalte ein Tarifgehalt. Ob aber die stundenlange An- und Abreise bezahlt werde, wusste er nicht.
Ordner aus Süddeutschland sollten in Hamburg unterstützen
Der Power-Sprecher versichert auf Nachfrage: „Die aus Süddeutschland eingesetzten Kräfte sind alle in unserem Unternehmen angestellt. Die Fahrtzeiten werden allerdings nur mit dem gesetzlichen Mindestlohn bezahlt.“ Bei der Partie Albanien gegen Kroatien waren Power-Mitarbeiter aus Nürnberg, München und Stuttgart in Hamburg.
So auch ein junger Mann, der im Treppenhaus eingesetzt wurde. Auch er: aus Augsburg. Auch er: angestellt bei Power. Und auch er erhalte 13,50 Euro die Stunde. Doch genau wie sein Kollege weiß auch er auf Abendblatt-Nachfrage nicht, ob die Anreise vergütet werden würde. Er sei um 5 Uhr morgens losgefahren.
Schwerin – Hamburg und zurück: 12 Stunden im Einsatz
Doch bei der Abendblatt-Befragung gab es auch Ordnungskräfte von anderen Subunternehmen. So zum Beispiel ein Syrer, der aus Schwerin nach Hamburg gebracht wurde. Er sei am Morgen vor der Partie um 6 Uhr abgeholt worden und soll noch am gleichen Tag um 23 Uhr wieder zu Hause sein. Sein Arbeitgeber: die Alfa Nord. Nach eigener Aussage erhalte er 12,40 Euro als Stundenlohn, „aber ich mache das vor allem aus Spaß“. Er sei Fußballfan – besonders Real Madrid finde er super.
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Auch Diana ist Fußballfan. Und trotzdem hat sie noch am Abend ihres ersten Einsatzes alle weiteren Termine als Ordnerin im Volksparkstadion abgesagt. „Ich habe noch nie ein größeres Schneeballsystem gesehen“, so ihr Fazit über das Prinzip der Sub-Sub-Subunternehmen.
Als das Abendblatt Kevin mit den Vorwürfen konfrontiert, reagiert er per WhatsApp. Telefonisch ist er nicht zu erreichen. „Völliger Quatsch“, schreibt er und bietet einen Gesprächstermin nach dem 14. Juli an. Also dem Tag des EM-Endspiels.
Welche Rolle spielt Firma Good Staff GmbH?
Für weitere Fragen solle man sich schriftlich an die Geschäftsstelle der Good Staff GmbH in Kiel wenden. Doch unter der angegebenen Adresse existiert weder eine Telefonnummer noch eine E-Mail-Adresse. Darauf angesprochen, schickt er zwei Stunden später die E-Mail-Adresse eines Ansprechpartners.
Aus dem Handelsregister geht hervor, dass Gegenstand des Unternehmens „Planung und Durchführung von Veranstaltungen jeglicher Art, insbesondere die Gestellung von Personal im Sinne des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes“ ist.
Unternehmen weist alle Vorwürfe zurück
Good Staff weist die Vorwürfe zurück: „Bezüglich der EM2024 stellen wir ausschließlich für unseren Auftraggeber in Berlin, als Subunternehmer unsere Ordnerkräfte in Berlin zur Verfügung“, heißt es in einer schriftlichen Stellungnahme. Am 16.06.24 habe es eine Ausnahme gegeben, weil man vom Auftraggeber als Unterstützung in Hamburg angefragt worden sei. Die dort eingesetzte Mitarbeiterin sei „zu dem Zeitpunkt noch nicht bei uns angestellt“, heißt es.
„Die Mitarbeiterin wurde an diesem Tag zum Probetag eingesetzt, hat sich gegen eine weitere Zusammenarbeit entschieden.“ Doch laut Chatverlauf, der dem Abendblatt vorliegt, war nie die Rede von einem Probetag. Weitere Nachfragen über die widersprüchlichen Angaben und warum es beispielsweise Barbezahlung und keinen Vertrag gab, bleiben bis Redaktionsschluss unbeantwortet.
Der Gesellschaftervertrag der Firma ist auf den 5.4.2024 datiert. Die Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister erfolgte am 18.04.2024. Diana hatte bereits am 4. April erstmals Kontakt mit Kevin.
Diana hat jedenfalls ihre Konsequenzen gezogen – und verzichtete auf weitere EM-Einsätze als Ordnerin. Auch beim letzten Hamburg-Vorrundenspiel an diesem Mittwoch zwischen der Türkei und Tschechien, für das sie laut Chatverlauf vorgesehen war, war sie nicht mehr im Einsatz.
EM: Erhält ungelernte Ordnerin jemals Gehalt?
Als Diana Kevin aber noch einmal kontaktiert und wissen möchte, wo sie am 20. ihr Geld für ihren Einsatz beim Spiel zwischen den Niederlanden und Polen abholen kann, wiegelt der noch ab. Seine Antwort: „Das sage ich am 19. Juli.“ Doch dann stellt sich heraus, dass Diana am Zahltag nicht in Hamburg ist. Sie fragt Kevin, ob es noch eine andere Möglichkeit gibt, an ihr Gehalt zu kommen.
Eine Antwort hat sie bis heute nicht erhalten.
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