St. Pauli. Gesprächsrunde auf dem Kiez fühlt Stephan Weil und Hamburgs Erstem Bürgermeister auf den Zahn – mit einigen überraschenden Antworten.
Matthias Iken
Es war ein eher ungewöhnliches Format, zu dem sich Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) und sein Parteifreund Stephan Weil, Ministerpräsident von Niedersachsen, am späten Dienstagnachmittag im Schmidtchen trafen. Auf Einladung von Lars Meier und dem N-Klub saß man in den tiefen roten Sesseln des Theaters am Spielbudenplatz unter der eher schlichten Frage „Was geht?“ Weil erinnerte sich an Kiezausflüge in seiner „Jugend Maienblüte“, Tschentscher an Theaterbesuche im Schmidts in Studientagen. Weil präsentierte sich leutselig und lustig, der Hamburger etwas nüchterner und ernster.
Nach dem leichten Aufgalopp ging es um die Frage dieser Tage – wie hält es die Politik mit dem Fußball? Das letzte Deutschland-Spiel, verriet Bürgermeister Tschentscher, habe er in einer Kneipe in Barmbek geschaut. Beim nicht gegebenen Tor habe es dort einen „Tumult“ gegeben. Auch Weil mag es lieber bodenständig: „Ich sitze nicht gern auf der Ehrentribüne, sondern lieber mit Freunden im Biergarten“, antwortete der Hannover-96-Fan.
Stephan Weil: „Man kann die Wähler der AfD zurückgewinnen“
Als man schon fürchten musste, der Abend würde wie ein 0:0 dahinplätschern, wurde es politisch. Dabei brachen hin und wieder zarte Unterschiede zwischen den beiden Sozialdemokraten auf: „Man kann die Wähler der AfD zurückgewinnen, dafür müssen wir kämpfen und bessere Politik machen“, sagte Weil. Tschentscher kommentierte den Rechtsruck etwas kategorischer: „Wir waren uns immer sicher, dass wir eine starke Demokratie sind. Seit ein, zwei Jahren bekomme ich Zweifel“, sagte er.
Sein Rezept gegen den Radikalismus: Man müsse positiv über Vielfalt reden. Zugleich betonte Tschentscher, dass Bund und Länder handeln, auch bei der Zuwanderung: „Die notwendigen Dinge machen wir, aber wir verfallen nicht in populistische Parolen.“
Weil und Tschentscher geben sich Mühe, Scholz zu verteidigen
Etwas komplizierter wurde es für die Sozialdemokraten, als es darum ging, die Berliner Politik zu verteidigen. Olaf Scholz war nicht im Raum, aber doch immer wieder Thema. Tschentscher lobte die Zeitenwende-Rede und die ruhige, besonnene Art seines früheren Chefs. Weil fand zwei überzeugende Erklärungen, warum Scholz seine Inhalte oft dröge herüberbringt: „In unserem Alter verändert man sich nicht mehr“, erklärte der 65-jährige Weil den 66-jährigen Scholz.
Die Probleme in der Ampel erklärte der Niedersachse so: „Es ist wie im wirklichen Leben: Eine Zweierbeziehung ist einfacher als eine Dreierbeziehung.“ Zugleich plädierte Weil für mehr Leidenschaft. Da zögerte sein Hamburger Amtskollege. „Leidenschaft“, so Tschentscher, sei eine Typfrage. Und verriet: Leidenschaftlich sei er nur beim Klavierspielen. Allerdings stummgeschaltet aus Rücksicht auf die Nachbarn.
Tschentscher über den Finanzminister: „Christian Lindner ist sehr unerfahren“
Der Niedersachse erzählte frank und frei, warum er sich 2019 gegen eine Kandidatur für den SPD-Parteivorsitz entschieden hatte: „Die politische Kultur in Berlin und ich – wir passen nicht so gut zusammen“, sagte er. Tschentscher wiederum verriet, dass sein Name als potenzieller Gesundheitsminister im politischen Berlin von einem Parteifreund gestreut worden sei – dem späteren Gesundheitsminister Karl Lauterbach.
Kritik übten beide an den Koalitionspartnern in Berlin. „Christian Lindner ist sehr unerfahren“, sagte der langjährige Hamburger Finanzsenator. „Wir müssen investieren. Die Schuldenbremse ist da keine Lösung.“ Infrastruktur-Investitionen etwa für die Deutsche Bahn müsse man herausrechnen können“, sagte Tschentscher. Und Weil assistierte: „Wir sind nicht auf einem ordnungspolitischen Feldzug.“
Der Bürgermeister will zwei weitere Gleise über der Elbe
Etwas besser kam Wirtschaftsminister Robert Habeck weg bei den beiden Ministerpräsidenten, die mit den Grünen regieren. Allerdings sagte Tschentscher: „Das Heizungsgesetz hat Habeck vermasselt.“ Weil als Landesvater eines Flächenstaates warb um gesellschaftliche Mehrheiten. „Wir müssen auch an die denken, die mit der Transformation Probleme haben“, sagte er und verwies auf die Pendler und die Besitzer unsanierter Häuser.
Eine Brücke schlugen die beiden Politiker –, und zwar über die Elbe: „Wir benötigen zwei weitere Gleise über die Elbe – gerade auch, weil es neue Verkehre gibt durch die Fehmarnbeltquerung“, betonte Tschentscher. „Wir brauchen diese Infrastruktur, um Autofahrer zum Umstieg zu bewegen.“
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Zum Abschied reichte Moderator Lars Meier den beiden einen Glückskeks. „Ist da Cannabis drin?“, fragte der Bürgermeister. Auf den Hinweis, das sei doch jetzt erlaubt, antwortete der Bürgermeister kurz und knapp: „Leider“. Am Ende steckte ohnehin nur eine Kaugummiautomatenweisheit im Keks.