Hamburg. Flüchtlinge, Integration, S-Bahn, Wohnungsbau und Klimawandel: Hamburgs Bürgermeister stand im Gästehaus des Senats Rede und Antwort.

Die Schöne Aussicht 26 zählt zu Hamburgs feinsten Adressen: Im Gästehaus des Senats am Feenteich logierten schon Queen Elizabeth II. und ihr Ehemann Philip im Jahr 1965, ihnen folgten der ehemalige sowjetische Staatschef Leonid Breschnew, Lady Diana und Prinz Charles, der Dalai Lama, Ex-US-Außenminister Henry Kissinger, der frühere Uno-Generalsekretär Ban Ki-moon und viele weitere Persönlichkeiten und Prominente. Als besondere Ehre und Zeichen der Wertschätzung gilt ein sogenanntes Senatsfrühstück in der weißen Villa auf der Uhlenhorst: In diesen Genuss kam beispielsweise 2018 Hamburgs Ehrenbürger Michael Otto anlässlich seines 75. Geburtstages, auf Einladung von Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD).

Für jedermann ist das prachtvolle Gebäude normalerweise nicht zugänglich – doch weil das Hamburger Abendblatt nun ein Dreivierteljahrhundert alt wird (erfahren Sie hier mehr zum Abendblatt-Jubiläum), machte Bürgermeister Tschentscher eine Ausnahme: In dieser Woche begrüßte der Senatschef 24 Leserinnen und Leser unserer Zeitung an dem geschichtsträchtigen Ort. Unter einem prachtvollen Kronleuchter und an einem mit Rosen geschmückten Tisch sitzend, beantwortete er anderthalb Stunden lang Fragen zur Politik der rot-grünen Landesregierung.

Peter Tschentscher: Leser-Fragen drehen sich auch um große politische Streitthemen

Die laut Tschentscher „charmante Idee“ zu der Runde stammte von Abendblatt-Marketingchefin Vivian Hecker. Vor einem Jahr hatte sie eine entsprechende Anfrage an die Senatskanzlei geschickt. Im August dieses Jahres rief das Abendblatt dann seine Leserinnen und Leser dazu auf, sich um das exklusive Treffen mit dem Bürgermeister zu bewerben. Viele Menschen folgten diesem Appell und schickten Vorschläge für Fragen an Tschentscher zu Themengebieten, die das Abendblatt vorgegeben hatte, darunter Soziales, Mobilität, Wirtschaft, Klimawandel und Kultur. Abendblatt-Chefredakteur Lars Haider und Vivian Hecker wählten anschließend die Teilnehmenden aus. Berufe und Posten spielten dabei keine Rolle, es ging vielmehr darum, einen „guten Querschnitt unserer Leserinnen und Leser abzubilden“, wie Vivian Hecker sagt.

So heimelig sich das Gästehaus präsentierte – bei der Fragerunde mit Peter Tschentscher ging es auch um große politische Streitthemen, die regelmäßig Thema in der Bürgerschaft sind. Ähnlich wie die Opposition schonten die Leser den Senatschef nicht. Was sie von ihm wissen wollten und was der Bürgermeister antwortete, dokumentieren wir hier in Auszügen.

Peter Tschentscher: Was ist mit den Geflüchteten, Herr Bürgermeister?

Was Tschentscher unternehmen werde, um die Lage von Geflüchteten in Hamburger Unterbringungen zu verbessern und wie er die Integration vorantreiben wolle, fragten die Abendblatt-Lesenden Stephan Schwemm und Susana De Kuthy de Speck. Der Bürgermeister sagte, es sei eine große Herausforderung, genügend Sozialarbeiter für Geflüchteten-Unterkünfte zu finden, aber auch für Hilfsangebote über die Einrichtungen hinaus, etwa für die Unterstützung bei der Jobsuche. Geflüchtete Kinder und Jugendliche so früh wie möglich in Kitas und Schulen unterzubringen sei „die beste Form der Integration“. In den vergangenen Jahren habe das in Hamburg „ganz gut“ funktioniert, weil sich der Zugang von Geflüchteten so entwickelt habe, „dass wir hinterherkamen“, sagte Tschentscher. Infolge des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine seien jedoch so viele zusätzliche Geflüchtete in der Hansestadt angekommen, „dass wir an allen Ecken und Enden platzen.“

Tschentscher verwies darauf, dass vor Kurzem im Abendblatt die drei SPD-Senatsmitglieder Melanie Schlotzhauer (Sozialbehörde), Andy Grote (Innenbehörde) und Ties Rabe (Schulbehörde) erklärt hatten, der Zugang durch Geflüchtete steige noch, und sie beobachteten mit Sorge, dass die Stimmung in Hamburg kritischer werde. „Wir sind jetzt am Limit. Wir dürfen die Stadt nicht überfordern, damit Integration weiterhin erfolgreich gelingt“, hatte etwa Melanie Schlotzhauer gesagt.

„Irreguläre Migration kann Hamburg nicht bewältigen“

Hamburg schaffe es, weiterhin das im Grundgesetz verankerte individuelle Recht auf Asyl zu garantieren, sagte der Bürgermeister. Nicht bewältigen könne die Hansestadt hingegen die sogenannte irreguläre Migration, bei der Menschen nicht auf schwerwiegende Asylgründe verweisen können. Es sei sehr wichtig, dass die Bundesregierung und die europäischen Länder dieses Problem in den Griff bekommen. „Um das individuelle Recht auf Asyl weiterhin garantieren zu können, müssen wir die irreguläre Migration zurückdrängen, verhindern. Wir brauchen auch Zuwanderung darüber hinaus – aber die muss eben organisiert sein“, sagte Tschentscher, der auf den zweiten Aspekt an anderer Stelle noch einmal zurückkam.

Auch für ein Gruppenbild im feinen Ambiente des Senatsgästehauses nahm sich Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (M.) Zeit. 
Auch für ein Gruppenbild im feinen Ambiente des Senatsgästehauses nahm sich Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (M.) Zeit.  © FUNKE Foto Services | Roland Magunia

Leserin Sabine Dawert wollte wissen: „Warum tut der Senat immer mehr für Radfahrer, aber nicht mehr für Fußgänger und Autofahrer?“ Tschentscher antwortete, er habe auch Fußgänger und Auto­fahrer im Blick. Zwar wolle der Senat es durch den Ausbau von Radwegen, Bussen sowie S- und U-Bahnen in Hamburg möglich machen, dass die Bürger „schnell, sicher und komfortabel“ durch die Stadt kommen können, ohne das Auto zu nutzen. Aber: „Immer wenn wir einen Straßenraum umbauen, achten wir auch auf breite Fußwege. Wenn Sie sich eine neu sanierte Straße ansehen, sind die Fußwege mitsaniert und breiter als vorher“, sagte der Bürgermeister.

Peter Tschentscher: Wann kommt S-Bahn endlich pünktlich und verlässlich?

Trotzdem sei der Straßenraum natürlich begrenzt. „Deswegen versuchen wir durch die Verlagerung des Verkehrs unter die Erde und auf U- und S-Bahnen mehr Luft im oberirdischen Straßenraum zu bekommen.“ Hamburg befinde sich in einer „großen Transformationsphase“. Es werde noch einige Jahre dauern, bis es in der Hansestadt sehr viel Elektromobilität, Bus- und Bahnverkehr, Fahrradverkehr und Möglichkeiten für Fußgänger geben werde, „aber dennoch auch diejenigen, die mit dem Auto fahren wollen oder müssen, genug Raum dafür haben“.

Leserin Stephanie Alterauge aus Rissen beklagte, bei der S-Bahn-Linie 1 nach Harburg komme es immer wieder zu Verzögerungen und Ausfällen – wann sei mit einer pünktlichen, zuverlässigen Verbindung zu rechnen? Tschentscher sagte, bei der S-Bahn seien Weichen und Stellwerke lange nicht mehr modernisiert worden, außerdem fahre die S-Bahn oberirdisch. Diese und weitere Gründe erklärten, warum die S-Bahn weniger zuverlässig sei als die U-Bahn. Er versicherte: „Wir arbeiten an diesen Schwachstellen, indem wir modernisieren.“

Mehr Querverbindungen bei Bahnen in Hamburg gewünscht

Leserin Kathrin Jünemann fragte: „Warum laufen alle S- und U-Bahnen über den Hauptbahnhof, warum gibt es keine Querverbindungen im Hamburger Süden und im Norden? Wäre dem so, stünden bei Ausfällen von Zügen mehr Alternativen bereit. Tschentscher antwortete, immerhin für Bergedorf gebe es schon Querverbindungen durch Schnellbusse nach Harburg. In Zukunft werde es solche Verbindungen auch „stärker Richtung Wandsbek“ geben.

Leserin Irene Horn wollte wissen, warum pensionierte Beamte nicht die Abschlagszahlung erhielten, die aktive Beamte in Hamburg als Ausgleich für die seit 2011 erfolgte Kürzung des Weihnachtsgeldes bekommen. Viele der heutigen Pensionäre seien doch 2011 und in den folgenden Jahren noch im Dienst gewesen. „Wir finden das unfair. Es bewirkt auch einen Vertrauensverlust“, sagte sie – und fragte: „Ist es gut für Hamburg, wenn die Stadt nicht als fairer Arbeitgeber wahrgenommen wird?“ Auf das erste Anliegen ging Tschentscher nicht direkt ein, er betonte allerdings: „Wir wollen als fairer Arbeitgeber wahrgenommen werden.“ Hamburg verhalte sich bei der Besoldung „verfassungskonform“, so der Bürgermeister. „Wir machen das, was vorgesehen ist -- aber eben nicht mehr.“

Wie Tschentscher dem Fachkräftemangel begegnen will

Dann sprach er ein wachsendes Pro­blem der Stadt an: den Fachkräftemangel. „Wenn wir alle älteren Menschen, die in den nächsten zehn Jahren in den Ruhestand gehen, vergleichen mit all den jungen Menschen, die in zehn Jahren ins berufsfähige Alter kommen – dann klafft das um viele Zehntausend auseinander“, sagte Tschentscher. Hamburg müsse alle jungen Leute qualifizieren. „Wir können auf niemanden verzichten“, so der Bürgermeister. „Wir sind hinter jedem jungen Kopf her und sagen: Ausbildung, Studium – was auch immer – wir brauchen dich.“

Es sei zudem wichtig, gezielt Zuwanderung zu organisieren, etwa für die Pflege. „Wir kommen nicht durch die nächsten 20 Jahre, wenn wir das alles so laufen lassen.“ Und: Es müsse versucht werden, bestimmte Tätigkeiten durch Computer und Automatisierung erledigen zu lassen. „Nicht, weil wir Leute entlassen wollen, sondern damit es überhaupt noch genug Kräfte gibt für die Bereiche, in denen wir nicht automatisieren können, z. B. in der Pflege und im Kindergarten“, so Tschentscher.

Leserin macht sich Sorgen um Hamburgs Bäume

„Ich mache mir Sorgen um unsere Bäume“, sagte Leserin Lilly Herwald. Warum werde in Hamburg so viel Grün vernichtet, wo doch angesichts des Klimawandels die Bäume in der Hansestadt eigentlich umso wichtiger seien? „Eigentlich wollen wir für jeden Baum, der gefällt wird, einen nachpflanzen“, sagte Tschentscher. Ersatz sei immer nötig. Aber: „Das geht manchmal nicht an derselben Stelle.“ Und: Auch ohne Nachpflanzungen komme es zu natürlichem Baumwuchs im sogenannten Begleitgrün. Deshalb gelte: „Insgesamt ist die Zahl der Straßenbäume über viele Jahre nicht gesunken, sondern sogar gestiegen“, so der Bürgermeister.

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Greife man jedoch einzelne Bezirke heraus oder frage, wie viele Nachpflanzungen es für gefällte Bäume in einem bestimmten Zeitraum gegeben habe, dann könne eine Lücke entstehen. Der Senat wolle künftig versuchen, mit modernen Methoden wie Drohnenflügen möglichst alle Bäume in Hamburg zu erfassen, „damit wir sicher sind, dass es nicht weniger wird“.

Mehr Wohnungsbau – aber gleichzeitig will Hamburg Flächen entsiegeln

Leser Wolfgang Kaeser fragte: Wie der Senat den Konflikt löse, dass mehr Wohnungsbau in Hamburg vorgesehen sei, dass die Hansestadt aber gleichzeitig zu einer „Schwammstadt“ werden solle, die unter anderem durch eine Entsiegelung von Flächen auf mögliche Folgen des Klimawandels wie zunehmende Starkregen-ereignisse und Überflutungen vorbereitet sei? „Durch Bauaktivitäten versiegeln wir auch – da machen sich viele Menschen Sorgen“, sagte Tschentscher. Allerdings gelte eine Vereinbarung mit dem Naturschutzbund Hamburg (Nabu), wonach für neu bebaute Flächen innerhalb des zweiten grünen Rings Ausgleichsflächen in gleicher Größe innerhalb des zweiten grünen Rings ausgewiesen werden müssten. Der Bürgermeister verwies auf die HafenCity: „Das waren früher versiegelte Industrieflächen. Dort entstehen jetzt nicht nur Wohnungen, sondern auch zusätz­liche Grünanlagen, die Natur bedeuten und Entsiegelung.“

Tschentscher erwähnte außerdem, dass es von 2027 an verpflichtend sein werde, bei Neubauten ein „Solargründach“ zu schaffen. Die Begrünung könne Feuchtigkeit aufnehmen und dazu beitragen, dass starke Niederschläge nicht sofort auf den Boden und in die Kanalisation gelangten, sagte er.

Peter Tschentscher: „In der Kultur sind immer neue Ideen gefragt“

„Welchen Stellenwert hat die Kultur in Ihrer Politik und welche Förderungen beabsichtigen Sie etwa für die Bücherhallen und die Theater?“, fragte Abendblatt-Leserin Beate Schwarz. Kultur habe aus Sicht des Senats eine sehr große Bedeutung, sagte Tschentscher. Er verwies etwa auf erfolgte Sanierungen in Theatern und beschrieb kurz das Zukunftsprojekt „Haus der digitalen Welt“, das von den Hamburger Bücherhallen, der Volkshochschule und dem Jugendinformationszen­trum gestaltet werden soll.

Ein schon bestehender, „ganz wunderbarer“ Service seien verlängerte Öffnungszeiten in den Bücherhallen ohne Fachpersonal. Bei der Einführung im vergangenen Jahr hieß es, damit reagierten die Bücherhallen auf den Wunsch der Kundinnen und Kunden nach erweiterten Öffnungszeiten, die besser mit Beruf und Freizeitverhalten vereinbar sind. In der Kultur, so Tschentscher, seien „immer wieder neue Ideen gefragt“.