Hamburg . Justizsenator Till Steffen sieht Hamburg mit Einrichtung der Zeugenbetreuung in Strafverfahren “gut aufgestellt.“
Opfer von Straftaten sollten „nicht darum ringen müssen, gehört zu werden“, betonte Justizsenator Till Steffen (Grüne) bei einer Veranstaltung unter dem Motto „Opferschutz in Hamburg – wo stehen wir?“ im historischen Sektionssaal des Medizinhistorischen Museums des UKE. Es sei wichtig sicherzustellen, dass mögliche Strafverfahren stattfinden können, so Steffen.
Dafür sei es wichtig zu überprüfen: „Haben wir eine ausreichende Dokumentation?“ Hamburg sei mit seiner Einrichtung der Zeugenbetreuung in Strafverfahren und nun auch der psychosozialen Prozessbegleitung „gut aufgestellt“, sagte der Senator. Allerdings gelte der Anspruch auf eine solche Begleitung nur für bestimmte Delikte. Die Frage sei: „Muss man das ausweiten?“
Im Mittelpunkt von Strafverfahren stehen Angeklagte. Die Frage, ob dadurch Rechte von Opfern zu kurz kommen, war das Thema der Veranstaltung im UKE. Wie kann im Spannungsfeld von Opferschutz und Unschuldsvermutung gewährleistet werden, dass Opfer die erforderliche Unterstützung und Beistand erhalten?
Jeder kann kommen, auch ohne dass eine Strafanzeige erstattet werden muss
Entscheidend wichtig sei eine professionelle Dokumentation von Verletzungen nach einem Übergriff, betonte der Direktor des Instituts für Rechtsmedizin, Klaus Püschel. In seinem Institut würden jährlich Tausende Menschen, die bei Straftaten verletzt werden, untersucht. „Jeder kann zu uns kommen, auch ohne dass eine Strafanzeige erstattet werden muss“, sagte Püschel, der sich als Rechtsmediziner auch als „Anwalt der Opfer“ versteht. Die Untersuchung müsse zum „frühestmöglichen Zeitpunkt“ erfolgen, „innerhalb weniger Stunden“, betonte Püschel.
Mehrere Tage oder sogar Wochen nach einer Tat könne „ein Spurenbild nicht mehr erhoben werden“. Möglich sei auch eine „anonyme Spurensicherung“, die dann sicher verwahrt werde. Danach könne sich ein Opfer beliebig lange überlegen, ob es Anzeige erstatten wolle, erklärte der Rechtsmediziner. Nicht selten seien Opfer eines Übergriffs über sehr lange Zeit traumatisiert, wichtig für eine Beweiserhebung seien professionelle Gutachten. „Ein Opfer einer schweren Straftat hat lebenslang, der Täter kriegt vielleicht nur fünf Jahre.“
Die Soziologin Sibylle Ruschmeier vom Frauennotruf Hamburg, der unter anderem eine breite therapeutische Beratung anbietet, erzählte, sie erlebe oft „enttäuschte Opfer. Wenige erstatten Strafanzeige, wenige gehen in die medizinische Versorgung. Sie empfinden es so, dass ihnen viel Unglauben entgegen gebracht wird.“ Ihre Organisation berate die Opfer und kläre auch auf über die Möglichkeiten der Opfer, Strafanzeige zu erstatten, erklärte Ruschmeier.
„Childhood-House“ soll nach skandinavischem Vorbild in Hamburg entstehen
Strafverteidigerin Gül Pinar sagte, ein Strafprozess sei dazu da, ein angemessenes Urteil für einen Täter zu finden. Die Anwältin, die im NSU-Prozess in München die Angehörigen eines der Opfer vertreten hatte, erzählte, dass nach fünf Jahren Verhandlung das Gericht es in einer dreistündigen Urteilsverkündung „verpasst“ habe, den Angehörigen der Opfer zu erklären: „Warum kommen wir zu diesem Ergebnis?“
Bei dem Umgang mit Opfern müsse darauf geachtet werden, durch eine Befragung deren Erinnerungen nicht zu beeinflussen oder gar zu verfälschen. Oft gebe es ein Problem mit der Identifizierung von Tätern. „Wir wollen“, so Pinar, „dass der Richtige verurteilt wird.“
Um der besonderen Situation kindlicher Opfer besser gerecht zu werden, plädierte Rechtsmediziner Püschel für die Einrichtung eines Hamburger „Childhood-House“, wie es vor allem bereits in Schweden praktiziert wird. In solchen Einrichtungen gibt es die Möglichkeiten, die polizeiliche Vernehmung kindlicher Opfer direkt auch beispielsweise von Staatsanwälten und Richtern mitverfolgen zu lassen, so dass sich weitere, möglicherweise sehr belastende Vernehmungen erübrigten. „Das Modell aus Skandinavien wollen wir in diesem Jahr gern auch in Hamburg umsetzen“, sagte Püschel. Darauf entgegnete Justizsenator Steffen: „Wir sind da dran.“ Es müssten noch „einige Fragen zum Konzept“ geklärt werden. „Aber ich bin sehr überzeugt von der Idee.“