Hamburg. Angeklagter muss sich wegen versuchten Mordes auf der Reeperbahn verantworten. Ging es um Drogengeschäfte und eine Familienfehde?
Es ist nicht lange nach Mitternacht. Auf der Reeperbahn auf St. Pauli herrscht die übliche Betriebsamkeit, als plötzlich ein Schuss fällt. Nur Augenblicke später stürmen zwei Männer aus einem Schnellimbiss, in dem die Kugel abgefeuert wurde. Die Flüchtenden steigen in einen dunklen Wagen und brausen davon. Zurück bleiben schockierte Gäste der Lokalität – und ein schwerstverletzter Mann mit einer Kugel im Bauch.
Was sich damals auf dem Kiez ereignete, ist nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft ein Mordversuch. Seit Donnerstag wird das Verbrechen vom 25. April vergangenen Jahres in einem Prozess vor dem Hamburger Landgericht verhandelt. Angeklagt ist ein 30 Jahre alter Mann, dem neben versuchtem Mord außerdem gefährliche Körperverletzung vorgeworfen wird. Opfer der Tat wurde ein 33-Jähriger, der durch den Schuss in den Bauch lebensgefährlich verletzt wurde, so die Staatsanwaltschaft. Der Schwerverletzte habe notoperiert werden müssen.
Prozess Hamburg: Mordversuch auf St. Pauli
„Ich wusste, dass er nicht sterben wird.“ Mehrfach sagt der Angeklagte Tarik D. (Name geändert) am ersten Prozesstag diesen Satz. Zwar räumt der 30-Jährige ein, dass er den Schuss auf den anderen Mann abgegeben habe. Es sei ihm aber ausdrücklich darauf angekommen, das Opfer gerade nicht zu töten. Deshalb habe er seine Schusswaffe nach unten gerichtet.
Der Anklage zufolge feuerte Tarik D. indes die Kugel gezielt in den Bauch des Opfers ab. Zuvor soll er zusammen mit dem Mittäter das Lokal auf der Reeperbahn betreten haben und dort mit dem 33-Jährigen in Streit geraten sein. Dabei habe Tarik D. dem späteren Opfer zunächst ins Gesicht geschlagen, dann eine Pistole aus dem Hosenbund gezogen und aus nächster Nähe den Schuss abgegeben, „um ihn zu töten“, so die Staatsanwaltschaft. Nachdem der Getroffene zu Boden gegangen war, soll der zweite Angreifer ihm mehrfach ins Gesicht getreten haben. Durch die Kugel wurde demnach neben der Bauchverletzung auch die linke Niere des Opfers geschädigt.
Staatsanwaltschaft Hamburg: Tarik D. habe den Schuss abgegeben, „um zu töten“
Hintergrund des Angriffs sind laut Anklage Streitigkeiten über Drogengeschäfte sowie eine Beleidigung, die das spätere Opfer ausgesprochen habe. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass das Verbrechen aus niedrigen Beweggründen verübt wurde. Nach der Tat hatten sich die beiden Verdächtigen ins Ausland abgesetzt. Während der zweite mutmaßlich Verantwortliche bereits wenige Wochen nach der Schießerei in Spanien gefasst wurde und mittlerweile vor Gericht eine Freiheitsstrafe von zehn Jahren erhalten hat, wurde Tarik D. in diesem Februar in Belgien festgenommen und dann nach Deutschland überstellt.
Die Polizei war seinerzeit nach der Schießerei mit einem Großaufgebot auf der Reeperbahn, um die Spuren zu sichern. Nach dem schwarzen Audi, mit dem die Täter geflüchtet sein sollen, und den Verdächtigen selber wurde intensiv gefahnet. Auf ihre Spur waren die Ermittler unter anderem durch Aussagen von Zeugen sowie durch Videomaterial aus dem Umfeld des Schnellimbisses gekommen. Auch hatten Beobachter der Tat mit ihren Handys Bilder gemacht, die jetzt im Prozess von den Verfahrensbeteiligten angesehen wurden.
Angeklagter sagt bei Prozess in Hamburg, man habe ihn angreifen wollen
Ausführlich schildert der Angeklagte am ersten Prozesstag seine Version der Ereignisse. Zu der Auseinandersetzung mit dem späteren Opfer sei es gekommen, weil dieses den Angeklagten und dessen Familie schwer beleidigt habe. Es seien „die schlimmsten“ Worte gefallen, sagt Tarik D. Daraufhin habe er den Kontrahenten geschlagen, dieser habe ebenfalls gehauen. Nun habe er auf den Mann geschossen, sagt der Angeklagte. Er habe dies aus Sorge getan, dass der Kontrahent und dessen Begleiter „auf mich losgehen werden, von hinten, von vorn“. Er habe „das Gefühl gehabt, dass die mich angreifen werden“.
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Der Streit sei immer weiter eskaliert, sagt der Angeklagte. Also habe er die Personen um ihn herum einschüchtern wollen, „damit ich flüchten kann. Ich wollte ihn nicht erschießen.“ Getroffen habe er das Opfer „irgendwo in den Bauch“, so der 30-Jährige weiter. Er sei sich sicher gewesen, dass die Verletzung keine schwersten Folgen haben würde. „Viele Menschen haben so etwas schon überlebt.“ Nicht zuletzt der spezielle Ort der Geschehnisse sei in diesem Fall von Vorteil. Auf der Reeperbahn sei „der Krankenwagen in einer Minute da“, meint Tarik D.
Schuss an der Reeperbahn: Zweiter Täter bereits zu zehn Jahren Haft verurteilt
Wieso er an jenem Abend überhaupt eine Schusswaffe dabeigehabt habe, möchte die Vorsitzende Richterin wissen. Er habe die Pistole zum Schutz mitgenommen, weil seine Familie in eine „Blutfehde“ involviert gewesen sei. Dabei sei es um Drogen gegangen.
Der zweite an der Tat beteiligte Mann erhielt in einem gesonderten Prozess die zehnjährige Freiheitssstrafe wegen versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung. Hier ging das Gericht davon aus, dass der Schütze und der Mittäter mit dem späteren Opfer wegen eines Drogengeschäfts in Streit geraten waren. In dem jetzigen Prozess könnte ein Urteil nach der derzeitigen Planung Mitte Juli gesprochen werden.