Hamburg. „Ich wollte das nicht“, sagte der Angeklagte über Messerstich in Hals des Opfers. Doch die Obduktion lieferte andere Rückschlüsse.
Es war ein grausiger Fund, den ein Passant an einem Frühjahrsmorgen machte: Ein Mann lag da in seinem Blut, hingestreckt am Rande der Michelwiesen. Es war schnell klar, dass er gewaltsam ums Leben kam. Aber warum? Warum musste dieses Opfer sterben, in einem Park unweit des Michels, unserer Hamburger Traditionskirche? Dieser Mord vom 28. März 2022 in Hamburg gab längere Zeit Rätsel auf.
„Die wichtigste Frage war: Wer hat dem Mann einen tödlichen Messerstich in den Hals versetzt?“, sagt Rechtsmediziner Klaus Püschel in „Dem Tod auf der Spur“, dem True-Crime-Podcast des Abendblattes mit Gerichtsreporterin Bettina Mittelacher. „Es ging ja auch um die Frage des Motivs.“
„Dazu ist viel im Umfeld des Opfers ermittelt worden, unter anderem, um festzustellen, wo er sich zuletzt, bevor er zu den Michelwiesen kam, aufgehalten hatte“, meint Mittelacher. „Und mit wem er Kontakt hatte?“
Mord am Michel: Angeklagter soll Opfer aus Bar gefolgt sein
So kam man schließlich auf einen Verdächtigen, der sich knapp sechs Monate nach der Bluttat vor dem Schwurgericht verantworten musste. Dem 47-jährigen Francesco S. (Name geändert) wurde Mord in Tateinheit mit Raub mit Todesfolge vorgeworfen.
Laut Ermittlungen ist der Angeklagte in den frühen Morgenstunden des 28. März 2022 dem späteren Opfer aus einer Bar gefolgt, habe dem arglosen 62-Jährigen an den Michelwiesen aufgelauert und ihm mit einem Messer wuchtig in den Hals gestochen, ihn getötet und ihm 250 Euro geraubt. Der Täter soll mit dem Geld Schulden bezahlt haben — 9,60 Euro, mit denen er in der Bar in der Kreide stand, und weitere 100 Euro, die ihm zuvor ein Bekannter geliehen hatte.
„Ich war geschockt“: Angeklagter behauptet, die Tat sei ein Versehen
„Ein Mord wegen knapp 110 Euro also?“, überlegt Püschel. „So wenig ist ein Menschenleben für manche offenbar wert? Bettina, wir wissen ja beide, dass manche Menschen getötet werden, und es ging dabei um noch weniger Geld. Aber zurück zum Prozess: Der 47-Jährige hat doch im Prinzip gestanden, das Opfer getötet zu haben. Aber die Tat sei vollkommen unbeabsichtigt passiert, oder?“
„Stimmt“, bestätigt Mittelacher. „Tatsächlich leugnete der Angeklagte Francesco S. nicht, das Opfer tödlich verletzt zu haben. Dies sei allerdings mitnichten seine Absicht gewesen, beteuerte der 47-Jährige. Aus Versehen sei das Messer dem späteren Opfer in den Hals geraten, so der Angeklagte. ,Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ich war geschockt.‘ Die Tat tue ihm ,sehr, sehr leid‘. An einen Raub erinnere er sich nicht.“
Angeklagter: Aggression sei vom späteren Opfer ausgegangen
An jenem schicksalhaften Abend habe er Crack konsumiert und zudem in einer Kneipe Bier getrunken, dazu habe ihn ein anderer Gast eingeladen. Als dieser schließlich die Bar verließ, habe er den Gast begleitet, sagte Francesco S. „Ich habe ihn gefragt, ob er mir 20 Euro leihen kann.“ Der andere habe plötzlich ansatzlos angefangen, Francesco S. zu schubsen.
Danach habe er „Angst gehabt. Ich hatte ein Messer rausgeholt, um ihm Angst zu machen“, schildert der Angeklagte nun. „Aber er ließ mich nicht los. Wir sind auf den Boden gefallen.“ Dann sei das Messer versehentlich in den Hals des 62-Jährigen eingedrungen. „Ich habe es rausgezogen. Blut ist geflossen. Er ist dann gestorben. Ich wollte das nicht.“
Rechtsmedizin: Obduktion spricht dafür, dass es Absicht war
„Zu der Frage, ob der Messerstich versehentlich erfolgt ist, ergaben sich aus der Obduktion interessante Rückschlüsse“, erläutert Püschel. „Am Hals des 62-Jährigen wurde nur ein Einstich, aber zwei Stichkanäle festgestellt.“ Dies sei nur so zu erklären, dass das Messer ein Stück herausgezogen und dann erneut tiefer hineingestochen worden ist. „So ein Szenario“, erklärt der Rechtsmediziner, „ist bei einem unfallartigen Geschehen praktisch nicht vorstellbar.“
Durch den Messerstich sei die Halsschlagader des Opfers vollständig durchtrennt worden, die Luftröhre teilweise. Der 62-Jährige verstarb innerhalb kürzester Zeit.
Mord am Michel: Das Opfer verstarb innerhalb kürzester Zeit
„Wir haben bisher viel über den Angeklagten gesprochen“, meint Mittelacher. „Ich möchte gern erzählen, was über das 62-jährige Opfer bekannt wurde. Er war ein Portugiese, der vier Jahrzehnte zur See gefahren war; einer, der von allen, die ihn kannten, als freundlich und herzensgut beschrieben wurde. Ein trauriges Detail: Der 62-Jährige war an jenem frühen Morgen auf dem Weg nach Hause. Gleich werde er da sein, teilte der Mann seiner Frau am Telefon mit. Doch dort kam er nie an. Sie hat vergeblich auf ihn gewartet. Die entsetzliche Wahrheit erfuhr sie dann später.“
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Am Ende des Verfahrens plädierte die Staatsanwaltschaft auf Mord. Die Verteidigung argumentierte im Plädoyer, es komme auch eine Bewährungsstrafe in Betracht, weil die Tat ja eher ein Unglück sei. Im Ergebnis wurde der Angeklagte wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Außerdem wurde die Unterbringung des Angeklagten wegen seiner Drogensucht in einer Entziehungsanstalt angeordnet.
Mord an den Michelwiesen: Urteil lautet auf lebenslange Haft
Der 47-jährige Angeklagte habe heimtückisch und aus Habgier gehandelt und einen Raubmord begangen, begründete die Vorsitzende Richterin das Urteil. Wörtlich sagte sie auch: „Jeder Mord ist letztlich sinnlos, dieser aber in besonders tragischer Weise.“ Das spätere Opfer sei „schicksalshaft“ auf den Angeklagten getroffen, der diese Begegnung ausgenutzt habe, „um dieses schreckliche Geschehen zu begehen“.
Die Vorsitzende Richterin betonte, die Behauptung des Angeklagten, das Messer sei nur versehentlich an und in den Hals des Opfers geraten, habe sich als „unschlüssig, abwegig und vollkommen lebensfremd“ erwiesen.