Hamburg. Vier von fünf Bündnissen sind abgewählt worden; Rot-Grün hat nur noch in einem Bezirk eine Mehrheit. Die Chancen von Volt und FDP.
Nach Auszählung aller Stimmen und der Verteilung der Mandate ist die spannende Frage, wer mit wem in den sieben Bezirksversammlungen rechnerisch regieren kann und dies politisch auch will. Die Entscheidung der Wählerinnen und Wähler hat die Mehrheitsverhältnisse auf der kommunalen Ebene einigermaßen auf den Kopf gestellt. Neue Bündnisse werden die zwangsläufige Folge sein. Es ist eine neue Unübersichtlichkeit auch dadurch entstanden, dass in fünf Bezirksversammlungen künftig sieben Parteien vertreten sein werden.
Grundsätzlich steht am Anfang nach einer Bezirkswahl das Bemühen, dauerhaft sichere Mehrheitsverhältnisse durch eine Koalition zu schaffen – seit Langem ist keine Partei auf Bezirksebene so stark, dass sie allein regieren könnte. Das Mandat, zu Sondierungen und Verhandlungen einzuladen, geht dabei traditionell an die jeweils stärkste Fraktion. Allerdings ist es auch in einigen Bezirken geübte Praxis, mit wechselnden Mehrheiten zu regieren. Das war bislang in Altona und Eimsbüttel aus unterschiedlichen Gründen der Fall.
Bezirkswahlen Hamburg: Vier von fünf Koalitionen sind abgewählt worden
In den fünf anderen Bezirksversammlungen sind in vier Fällen die bestehenden Bündnisse am Sonntag abgewählt worden. Das trifft auf die sogenannte Deutschland-Koalition in Hamburg-Mitte zu. Die SPD mit 14 Sitzen, die CDU mit acht und die FDP mit zwei Sitzen verfügen zusammen nicht die notwendige Mehrheit von 26 Mandaten in der 51-köpfigen Bezirksversammlung. In Bergedorf ist die Ampel-Koalition aus SPD mit jetzt zwölf Mandaten, Grünen mit sieben und der FDP mit zwei Mandaten abgewählt worden. In Bergedorf, der kleinsten Bezirksversammlung mit 45 Abgeordneten, sind 23 Stimmen für die Mehrheit erforderlich.
In zwei Bezirken wurde Rot-Grün abgewählt – die Farbkombination, die auch für den Hamburger Senat gilt. Im größten Bezirk Wandsbek kommt die SPD auf 16 Sitze und die Grünen nur noch auf elf – zu wenig für die hier 57-köpfige Bezirksversammlung. Und auch in Harburg mit 51 Abgeordneten haben SPD (15 Mandate) und Grüne (acht) keine Mehrheit mehr. Die Schwächung von Rot-Grün auf Bezirksebene ist Folge des deutlichen Stimmenverlusts der Grünen von landesweit 7,7 Prozentpunkten, den der schmale Zuwachs der SPD um 1,2 Prozentpunkte nicht ausgleichen konnte.
Bezirkswahlen Hamburg: Rot-Grün hat nur noch in einem Bezirk eine Mehrheit
Lediglich in einem der sieben Bezirke hat Rot-Grün noch eine Mehrheit: In Hamburg-Nord mit 51 Abgeordneten bleiben die Grünen mit 15 Abgeordneten die stärkste Fraktion. Die SPD kommt auf zwölf Mandate, sodass sich eine knappe rot-grüne Mehrheit ergibt. In Hamburg-Nord zeichnet sich eine Fortsetzung des Bündnisses unter grüner Führung mit Bezirksamtsleiter Michael Werner-Boelz (Grüne) ab.
Rechnerisch möglich wäre Rot-Grün auch in Eimsbüttel. Die Grünen kommen in ihrem stimmenstärksten Bezirk auf 15 Abgeordnete, die SPD auf zwölf, sodass auch hier bei 51 Abgeordneten eine knappe Mehrheit vorhanden wäre. Allerdings: Diese rechnerische Mehrheit gab es auch bislang schon, ohne dass sich die beiden Parteien auf ein Bündnis verständigt hätten. Die Eimsbütteler blicken auf politisch turbulente Jahre seit 2019 zurück. Nach Jahrzehnten rot-grüner „Herrschaft“ in Eimsbüttel entschieden sich die Grünen nach ihrem Wahltriumph 2019 für ein Bündnis mit der CDU, das rechnerisch ebenfalls möglich war. Mit Grün-Schwarz war es 2021 aus. Koalitionsverhandlungen der Grünen mit der SPD waren in der Folge praktisch schon abgeschlossen, aber dann konnten sich die beiden Fraktionen nicht auf die Amtsdauer des Bezirksamtsleiters Kay Gätgens (SPD) verständigen.
In der Bezirksversammlung Eimsbüttel ist die Lage besonders kompliziert
Die SPD wollte den Parteifreund für die volle Amtszeit von sechs Jahren wiederwählen, die Grünen waren lediglich bereit, Gätgens bis zur jetzt erfolgten Neuwahl der Bezirksversammlungen im Amt zu behalten. Eine Einigung kam nicht zustande, Gätgens musste Ende 2022 gehen. Seitdem leitet die parteilose Beamtin Sonja Böseler den Bezirk kommissarisch. Fraglich also, ob Grüne und SPD nach dem zermürbenden Vorlauf jetzt zueinanderfinden.
Alternativen stehen bereit: Zwar ist Grün-Schwarz rechnerisch ausgeschlossen, aber mit Hilfe eines dritten Partners könnten die beiden Parteien dennoch zusammen kommen. Zusammen mit den drei Sitzen der FDP würde es mit den 15 Grünen-Abgeordneten und den zehn CDU-Abgeordneten für eine Jamaika-Koalition reichen. Interessant: Eine Mehrheit in Eimsbüttel ergäbe sich auch mit den drei Abgeordneten der europafreundlichen Volt-Partei, die aus dem Stand 5,3 Prozent der Stimmen geholt hat. Ein Bündnis mit den Linken (fünf Abgeordnete) gilt aus CDU-Sicht als ausgeschlossen.
Volt-Partei könnte in drei Hamburger Bezirken für eine Mehrheit sorgen
Die Volt-Partei könnte noch in drei weiteren Bezirken Zünglein an der Waage sein. In Hamburg-Mitte verfügen SPD und Grüne zusammen über 25 Mandate. Mit den drei Volt-Abgeordneten wäre die erforderliche 26-Stimmen-Mehrheit erreicht. Noch komfortabler wäre die Mehrheit mit den acht Abgeordneten der Linken. Auch in Altona könnten die Neu-Parlamentarier eine wichtige Rolle spielen. Im Hamburger Westen hat kein Zweier-Bündnis (SPD/Grüne, Grüne/CDU, SPD/CDU) eine Mehrheit. SPD (elf Sitze) und Grüne (14 Sitze) könnten aber ein Bündnis mit einer kleinen Partei eingehen: entweder mit den drei Volt-Abgeordneten oder den vier Liberalen. Auch hier käme theoretisch die Linke mit sieben Abgeordneten in Betracht.
Grüne und CDU verstehen sich in Altona traditionell recht gut. Um die neun christdemokratischen Abgeordneten ins Spiel zu bringen, müssten die Grünen allerdings sowohl FDP als auch Volt an der Koalition beteiligen, was im Augenblick noch keine sehr wahrscheinliche Variante ist. Möglicherweise bleibt es ja auch bei wechselnden Mehrheiten in Altona. Schließlich könnten die drei Volt-Abgeordneten auch in Harburg Mehrheitsbeschaffer sein, wo SPD und Grüne zusammen auf 23 Sitze kommen.
Bündnis von SPD und CDU ist rechnerisch in drei Hamburger Bezirken möglich
In Hamburgs südlichem Bezirk ist allerdings auch eine andere Variante möglich: SPD (15 Sitze) und CDU (zwölf) verfügen zusammen über die nötige Mehrheit. Die Kombination Schwarz-Rot ist auch in zwei weiteren Bezirken denkbar: In Wandsbek kommen SPD und CDU mit jeweils 16 Abgeordneten auf die erforderliche Mehrheit von 29 Stimmen. Und in der Bezirksversammlung Bergedorf mit 45 Parlamentariern genügen CDU 13 und SPD zwölf Abgeordnete zur Mehrheit.
- Bezirkswahlen Hamburg: Gewusel nach Plan – so läuft Auszählung in Messehallen
- Europawahl: AfD und ihre Hochburgen in Hamburg – wo sie am stärksten ist
- Europawahl 2024: In Hamburg liegen die Grünen vorn – trotz Verlusten
Pikant: In Wandsbek und Bergedorf ist die CDU die nach Stimmen stärkste Kraft geworden und hat das Heft des Handelns in der Hand, indem sie zu Sondierungen und Verhandlungen einlädt. „Wir werden in allen Bezirken sondieren, mit welchen demokratischen Partnern und in welchen Konstellationen wir möglichst viele unserer Punkte umsetzen können. Wir stehen als zuverlässiger und stabiler Partner in den Bezirken bereit“, hatte der CDU-Landesvorsitzende Dennis Thering bereits am Montag gesagt.
SPD hat wenig Interesse daran, größte Oppositionspartei regierungsfähig zu machen
Gerade Bündnisse mit der Union stehen im Rathaus unter besonderer Beobachtung. In der SPD ist die Neigung nicht sehr groß, die größte Oppositionspartei in der Bürgerschaft auf kommunaler Ebene regierungsfähig zu machen. In neun Monaten wird die Bürgerschaft neu gewählt. Andererseits: Dort, wo die CDU stärkste Kraft ist, würde die SPD kaum auf eine Mitgestaltung verzichten wollen. Im Übrigen gilt, dass in vielen Bezirken Politik pragmatischer betrieben wird als auf Landesebene, wo die parteipolitische Profilierung stärker ausgeprägt ist.
Die AfD, die in allen Bezirken vertreten ist und auf zwischen drei und sieben Mandate kommt, ist bei dieser Betrachtung außen vor geblieben. Alle anderen Parteien haben bekräftigt, mit den Rechtspopulisten nicht zusammenzuarbeiten.