Hamburg. Immer mehr Jugendliche konsumieren Lachgas aus Luftballons – auch in der Schule. Welchen Ort sich die Schüler dafür aussuchen.
- Rausch aus dem Luftballon: Lachgas als Droge immer beliebter.
- Das Problem: Jeder kann Lachgas legal im Supermarkt oder am Kiosk kaufen.
- Gesundheitsminister Karl Lauterbach fordert ein Verbot. Wann das kommen könnte.
Erschreckende Entwicklung: Der Konsum von Lachgas in Luftballons breitet sich in Schulen aus. Während die Droge früher vor allem auf Partys und dem Kiez inhaliert wurde, konsumieren immer mehr Jugendliche Lachgas inzwischen auch in der Schule.
„Vereinzelte Fälle gab es bereits Anfang des Jahres, aber jetzt ist es richtig extrem“, sagt Amelie Herzfeld von der Schüler/-innenkammer und spricht von einem regelrechten Lachgas-Hype. In den sozialen Medien wie TikTok gibt es regelrechte Lachgas-Challenges, die den gefährlichen Trend anheizen.
Das Problem: „Das Lachgas wird meistens auf den Schultoiletten konsumiert, wo es keine Kameras gibt. Daher bemerkt niemand den Konsum“, so die Erfahrung von der Abiturientin Amelie Herzfeld. Da die berauschende Wirkung nur kurz anhält, verhielten sich die Schüler im Unterricht wieder normal und Lehrer oder Klassenkameraden bekämen nichts mit.
Aus diesem Grund will Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) am heutigen Mittwoch einen Entwurf in die Kabinettssitzung einbringen, mit dem Lachgas als Partydroge rasch verboten werden könnte. Das Gesetz soll noch vor den Neuwahlen verabschiedet werden.
Schule Hamburg: Lachgas wird meistens auf den Schultoiletten konsumiert
Lachgas wird immer beliebter bei Jugendlichen und Heranwachsenden. Das bestätigt die Polizei Hamburg. „Lachgas ist gesetzlich nicht eingeschränkt – weder im Betäubungsmittelgesetz noch im Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz. Daher stellen Erwerb, Besitz oder die Abgabe von Lachgas auch ohne Altersbeschränkung in Deutschland nach aktueller Rechtslage keinen Rechtsverstoß dar“, so Polizeisprecher Patrick Schlüse.
Besonders fatal: Lachgas ist zugänglich und in fast allen Supermärkten, Drogerien und Kiosken erhältlich. Denn „Distickstoffmonoxid“ (N2O), so die chemische Bezeichnung, wird in Kapseln für Sahnespender frei verkauft, um flüssige Sahne aufzuschäumen. Abgesehen davon ist Lachgas auch in großen Flaschen erhältlich.
Gefährlich: Der Kauf und der Konsum von Lachgas ist bisher legal
„Im Bereich St. Pauli wird nach Einschätzung der Polizei Hamburg durch eine Vielzahl von Kiosken Lachgas in Gebinden mit unterschiedlichen Volumen zum Verkauf angeboten“, sagt Polizei-Sprecher Schlüse. Zuletzt seien viele Kiosk-Betreiber insbesondere durch den Jugendschutz aufgesucht und bezüglich des zweckentfremdenden Konsums im Rahmen der polizeilichen Prävention sensibilisiert worden.
„Darüber hinaus suchen unsere Beamten aktiv das Gespräch mit Jugendlichen, insbesondere wenn Hinweise auf den Konsum von Lachgas vorliegen oder die Beamten Behältnissen mit einer entsprechenden Füllung vorfinden“, so der Polizei-Sprecher.
Berauscht auf Klassenfahrt: Was ein Hamburger Schüler erlebt hat
„Krass“ nennt ein Schüler einer Hamburger Stadtteilschule den gefährlichen Trend. Er bekommt den Konsum seiner Klassenkameradinnen und Klassenkameraden hautnah mit. So konsumierten allein in seiner Klasse drei Schüler die Droge – und das täglich. „Auch in der Schule hat man das mitbekommen – zum Beispiel durch Ballons, die in der Schultoilette lagen“, berichtet er.
Auch wenn in der Oberstufe Lachgas nicht mehr so stark konsumiert werde, in der Mittelstufe sei der Konsum bei Jüngeren allerdings weitverbreitet. „Bereits auf unserer Klassenfahrt vor zwei Jahren hat ein Großteil der Klasse Lachgas konsumiert. Es gab nur wenige Schüler, die nicht mitgemacht haben“, so der 16-Jährige.
Das Distickstoffmonoxid sei im Supermarkt vor Ort gekauft worden. Lachgas kann aber beispielsweise auch ganz bequem übers Internet bestellt werden. „Knallt krank“, so beschreibt es ein Amazon-Kunde und rät: „Bestellt euch zwei. Nach einem Abend leer.“
Noch nie waren die Konsumenten so jung wie jetzt
Die aktuelle Entwicklung bereitet sogar dem Suchtexperten Professor Rainer Thomasius Sorgen. Er ist Ärztlicher Leiter des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters (DZSKJ) am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf und arbeitet seit 38 Jahren im Bereich Suchtstörung. „In der Zeit gab es immer wieder Phasen, in denen Jugendliche Lachgas konsumiert haben. Aber noch nie waren es so viele Konsumenten, und noch nie waren sie so jung“, sagt Professor Thomasius.
Wie viele Trends wird auch der Lachgas-Konsum unter Jugendlichen durch regelrechte Lachgaschallenges in den sozialen Medien wie TikTok oder Instagram befeuert.
Dass schon zwölf- und 13-jährige Mädchen auf der Reeperbahn rumziehen und Lachgas inhalieren, ist selbst für den Suchtexperten absolut neu. „Das Problem ist hartnäckiger als in all den Jahrzehnten davor“, so sein Fazit. Die Befürchtung: Lachgas könne zur Einstiegsdroge für andere Substanzen werden.
Achtung: Diese Nebenwirkungen können bei Lachgas-Konsum auftreten
Und auch wenn eine körperliche Abhängigkeit von Lachgas nicht zu befürchten sei – „man darf die Gefahr nicht unterschätzen“, sagt Thomasius und warnt vor den Nebenwirkungen:
- Erfrierungen an Mund, Lippen, Rachen oder Stimmbändern, da das Gas mit minus 55 Grad Celsius extrem kalt ist
- Sauerstoffmangel, der zu Bewusstlosigkeit und schweren Stürzen folgen kann
- Atemstillstand und in extremen Fällen: Todesfolge
- Gefahr von Nervenschäden bei chronischem Konsum
Leere Lachgasdosen auf dem Schulgelände
Die Behörde für Schule und Berufsbildung bestätigt, dass das Thema an Schulen bekannt sei. „Dem SuchtPräventionsZentrum wurden vereinzelt Vorfälle aus Schulen geschildert, in denen leere Lachgasdosen auf dem Schulgelände zum Beispiel nach Wochenenden und Feiertagen gefunden wurden. Diese Schulen wurden zum Thema informiert und ihnen Materialien zur Weitergabe an Jugendliche und Eltern sowie Sorgeberechtigte angeboten“, so Behördensprecher Peter Albrecht.
Lachgas wird auf Schultoiletten und dem Pausenhof konsumiert
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) Hamburg sieht dringenden Nachholbedarf. „Es kann doch nicht sein, dass es nicht möglich ist, die Abgabe dieser Partydroge zu regulieren. Dass die für den Konsum benötigten Ballons von Kiosken zusammen mit den Kartuschen angeboten werden, unterläuft alle Bemühungen des Jugendschutzes. Im Gegensatz zu Tabak oder Alkohol gibt es keine Beschränkungen für Lachgas-Behälter“, kritisiert GdP-Vize Lars Osburg.
Selbst Kinder könnten sich das Gas von ihrem Taschengeld kaufen. „Wir stellen fest, dass teilweise Kinder unter 14 Jahren konsumieren“, weiß Osburg und berichtet von Jugendlichen, die Lachgas aus Luftballons ganz offen in der Bahn konsumiert haben. „Die Flasche war in einem irren Tempo leer.“ Seiner Meinung nach lasse sich der Trend dadurch erklären, dass das Lachgas leicht und legal zu beschaffen sei und der Konsum in zahlreichen Onlinevideos verharmlost werde.
Vom Schmerzmittel zum Rauschmittel: Lachgas ist Trend bei Jugendlichen
Auf Spielplätzen, in Parks, vor Clubs oder auf dem Schulgelände: Inzwischen findet man die kleinen Metallkapseln fast überall dort, „wo in der Regel junge Menschen gemeinsam feiern gehen“, sagt Kay Goetze, Sprecher der Stadtreinigung Hamburg. Besonders auffällig sei bisher unter anderem die Reeperbahn gewesen. „Dort werden auch vermehrt schwarze Luftballons zum Konsum an Papierkörben gefunden“, so Goetze. Außerdem finde man die Flaschen und Ballons vermehrt rund um Großveranstaltungen wie Hafengeburtstag und Schlagermove.
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Explosionsgefahr! Flaschen können in Hamburger Verbrennungsanlagen explodieren
Für die Stadtreinigung stellt die unsachgemäße Entsorgung der Lachgas-Flaschen ein großes Problem dar. Denn durch die falsche Entsorgung im Hausmüll oder über öffentliche Mülleimer gelangen die Flaschen in die Müllverbrennungsanlagen.
Mit fatalen Folgen: „Hier kann es dann zu gefährlichen Explosionen der Gasflaschen kommen – egal ob voll oder entleert. Das bringt zum einen unsere Kollegen und Kolleginnen in Gefahr und führt darüber hinaus in Einzelfällen auch zusätzlich zu Anlagenausfällen. Diese sind mit hohen Kosten verbunden, die auch schon mal mehr als 100.000 Euro betragen können. Sowohl bei der Müllverwertungsanlage Borsigstraße als auch Müllverwertungsanlage Rugenberger Damm haben wir in der letzten Zeit jeweils einen solchen Fall gehabt“, sagt Kay Goetze und appelliert an die Konsumenten, die Flaschen im Handel oder an den Recyclinghöfen abzugeben.