Hamburg. Auch die CDU hat nicht wirklich gewonnen. Die Europawahl lässt vor allem Verlierer zurück – und viele Aufgaben. Ein Kommentar.

Es gehört zu den Traditionen eines Wahlsonntags, dass die Politiker sich die Ergebnisse der Europawahl schönreden – das ist menschlich verständlich, denn ein jeder will nach den harten Wochen des Wahlkampfs lieber Gewinner denn Verlierer sein. Zur Not wird die Hochrechnung nicht ins Verhältnis zur vergangenen Wahl, sondern zur letzten Umfrage oder einer älteren Meinungserhebung gestellt. So darf sich ein jeder zumindest ein bisschen als Gewinner fühlen.

Bei dieser Wahl aber hat es vor allem Verlierer gegeben – und hilfreicher für alle wäre, das eigene Ergebnis kritisch aufzuarbeiten.

Europawahl 2024: Für die Grünen ist das Ergebnis ein Desaster

Der deutlichste Verlierer sind die lange erfolgsverwöhnten Grünen. Nach zweieinhalb Jahren in der Ampel-Koalition sind die Träume einer modernen Volkspartei vorerst ausgeträumt, die Grünen zurückgestutzt auf ihre treue Wählerschaft. Das reicht, um Zünglein an der Waage zu sein, das wird aber niemals reichen, um selbst den Kanzler zu stellen.

Die Grünen sind gefangen in ihren uralten Gräben, die einstmals Realos und Fundis aufgerissen hatten. Bis heute erschwert oder verweigert die erstarkte Parteilinke die Kompromisse, die nötig wären, um die Partei in der Mitte stark zu machen. Dafür wären weitergehende Kompromisse etwa in der Migrationspolitik nötig, die derzeit kaum durchsetzbar scheinen.

Sahra Wagenknecht hat der SPD und den Linken Stimmen abgenommen

Überhaupt ist die Zuwanderungsfrage eine der entscheidenden bei dieser Wahl gewesen – und erzählt auch, warum die SPD noch hinter ihr dramatisch schlechtes Europa-Wahlergebnis von 2019 zurückgefallen ist. Aus dem Stand hat das Bündnis Sahra Wagenknecht knapp sechs Prozent der Stimmen erzielt, mit einer in großen Teilen sozialdemokratischen Politik plus Entspannungspolitik, plus Härte in der Migrationspolitik und minus identitätspolitischen Firlefanz.

Die Linke hingegen darf sich angesichts der neuen Konkurrenz schon einmal auf die außerparlamentarische Opposition in vielen Teilen der Republik einstellen – es wird spannend, wie viele Amtsträger in den kommenden Monaten zum Bündnis Wagenknecht überlaufen werden.

Die FDP kommt mit einem blauen Auge davon

Die FDP hat es mit ihrer Frontfrau Marie-Agnes Strack-Zimmermann immerhin auf fünf Prozent und damit in die Nähe des Ergebnisses von 2019 geschafft. Wie gut, dass es in Europa keine Fünfprozenthürde gibt. Der Überlebenskampf der Liberalen in der Ampel aber geht weiter.

Erklärungen wird auch die Union suchen müssen, wenngleich sie sich dank leichter Gewinne als Siegerin fühlen darf. Zur Wahrheit gehört aber, dass 2019 – noch unter Angela Merkel – nur desaströse 28,9 Prozent für die CDU zusammenkamen. Seitdem gelingt es der Union kaum, die Unzufriedenheit der Wähler mit der Ampel in eigene Stimmengewinne umzumünzen. Wie festgemauert steht sie bei rund 30 Prozent und leidet weiterhin unter einem Dilemma: In der Mitte kommt Merz nicht gut genug an, rechts hingegen wähnt man noch immer zu viele Merkelianer in der Partei.

Europawahl 2024: Skandale und Skandälchen der AfD empören ihre Wähler kaum

So kann sich die AfD trotz Skandalen und Skandälchen über rund 16 Prozent freuen. Das ist zwar weniger, als Demoskopen den Rechtspopulisten zu Jahresbeginn zugetraut hätten. Es ist aber deutlich mehr, als eine Partei, die durch den Europa-Wahlkampf geirrlichtert ist, bekommen sollte. Offenbar sind immer noch sehr viele Wähler auf Krawall gebürstet und in Protesthaltung. Es wird die Herkulesaufgabe für die deutsche Demokratie und ihre Parteien sein, diese Grenzgänger wieder zu reintegrieren.

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