Hamburg. Sprecher des Energiewendebeirats wirft hin. Interne E-Mails zeigen: Auch bei anderen herrscht großer Unmut. Gremium klagt über zu wenig Macht.

Der Anspruch ist edel und hochdemokratisch: Damit die Regierenden in Hamburg die Energiewende nicht allein und weitgehend unkontrolliert vorantreiben, soll ein Gremium aus Betroffenen und Experten sie dabei begleiten und beraten. Im 2021 dafür eingerichteten Hamburger Energiewendebeirat sitzen 25 Vertreter unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen, nämlich von Umweltverbänden, Fridays for Future, Kammern und Industrieverband, Gewerkschaften, Mieterverein, Wohnungswirtschaft, Wissenschaft, Bürgerschaft und dem Cluster Erneuerbare Energien. Viermal pro Jahr tritt der Beirat zusammen, um über wesentliche Themen der Energiewende zu beraten.

Nun aber hat es offenbar richtig gescheppert in dem erlauchten Expertenkreis. Der zum Sprecher des Beirats gewählte Sebastian Averdung jedenfalls, Geschäftsführer des Ingenieurbüros Averdung für Energiewendeprojekte, hat nicht nur den Sprecherposten abgegeben, er hat gleich ganz hingeschmissen und den Beirat verlassen.

In einer Mail an die Mitglieder des Beirats, die dem Abendblatt vorliegt, erhebt Averdung zwar keine konkreten Vorwürfe, fällt aber ein hartes Urteil. „In der aktuellen Form sehe ich nicht, dass die Aufgaben des Energiewendebeirates erfüllt werden können“, so der scheidende Sprecher des Gremiums. Dem Vernehmen nach sollen Averdung, aber auch andere Mitglieder unzufrieden mit der angeblich hochbürokratischen Arbeitsweise des Gremiums gewesen sein. Auch wird bemängelt, dass die Behörde keine hochrangigen Vertreter wie Umweltsenator Jens Kerstan oder dessen Staatsrat in das Gremium entsandte. Man habe im Grunde wenig Konkretes erreicht, wenn man von der im Mai 2023 vorgelegten Empfehlung für eine schnellere Genehmigungspraxis für Klimaschutzprojekte absehe, heißt es von frustrierten Mitgliedern des Beirats.

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Neben Averdung hat auch seine Stellvertreterin für das Cluster Erneuerbare Energien, Alexandra von Bernstorff, ihr Mandat jetzt zurückgegeben und den Beirat verlassen. Damit ist das Cluster nun nicht mehr vertreten. Zuvor hatte bereits Tanja Chawla vom DGB ihren Posten als stellvertretende Sprecherin des Gremiums aufgegeben. Zudem war mit Prof. Werner Beba ein wichtiges Mitglied des Beirats im vergangenen Jahr verstorben.

Nun hat der Beirat nur noch eine amtierende Sprecherin, die bisherige Stellvertreterin Wiebke Hansen vom Bündnis #TschüssKohle. Auch sie macht deutlich, dass sich einiges im Energiewendebeirat verbessen müsse, wenn er effektiv arbeiten solle. „Der Energiewendebeirat bildet wichtige Perspektiven der Hamburger Gesellschaft ab und könnte wertvoll dazu beraten, wie Interessenkonflikte in der Energiewende abgemildert werden“, sagte Hansen dem Abendblatt. „Für einen größeren Erfolg des Gremiums wäre es wichtig, dass der Energiewendebeirat eingebunden wird, wenn politische Vorhaben noch in der frühen Entwicklung sind, dass der gesamte Senat die Arbeit durch Transparenz fördert, und dass bei den vierteljährlichen Sitzungen der Senator oder der Staatsrat als politische verantwortliche Gesprächspartner anwesend sind.“

Umweltsenator Jens Kerstan bedauert die Rücktritte aus dem Energiewendebeirat

Auch der Hamburger Nabu-Chef Malte Siegert sieht Verbesserungsbedarf. „Natürlich ist Beteiligung gut“, sagt Siegert. „Mir ist immer noch nicht klar, welchen Effekt wir mit diesem Gremium überhaupt erzeugen können.“ Es tue ihm sehr leid, dass Sebastian Averdung zurückgetreten sei, „denn er ist ein hervorragender moderater Vertreter gewesen, der sich wirklich für dieses Gremium engagiert hat“.

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Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) sagte dem Abendblatt, er bedaure die Rücktritte im Energiewendebeirat kurz vor dem Ende der Legislaturperiode sehr. „Das Parlament hat die Zusammensetzung und die Aufgaben des Beirates vorgegeben, und meine Behörde hatte als Ansprechpartner stets ein offenes Ohr für die Belange des Beirates“, beteuert Kerstan. „Allerdings scheint es unter den Beiratsmitgliedern, die aus unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bereichen kommen, kontroverse Vorstellungen über die Arbeitsinhalte zu geben. Ich werde in einem persönlichen Gespräch mit Herrn Averdung über seine Beweggründe und die Problematiken des Beirates sprechen.“

Energie Hamburg: Nun muss sich zeigen, ob der Beirat nur ein Feigenblatt für die Politik ist

Anselm Sprandel, Amtsleiter und Vertreter der Umweltbehörde im Energiewendebeirat, versuchte die Wogen in einer Nachricht an die Mitglieder ebenfalls zu glätten. „In einem Beteiligungsgremium wie diesem ... gibt es Herausforderungen und Unzufriedenheiten in der Zusammenarbeit“, schrieb er in einer Mail, die dem Abendblatt vorliegt. „Der Beirat lebt von der aktiven Teilnahme und dem Engagement jedes einzelnen Mitglieds. Umso wichtiger finde ich, dass wir die kommende Sitzung am 13. Juni 2024 auch dafür nutzen, in einem konstruktiven Austausch zu einem gemeinsamen Verständnis kommen, wie und mit welcher Perspektive wir die Beiratsarbeit bis zum Ende der Legislatur gestalten können.“

Am Donnerstag kommender Woche also könnte sich zeigen, ob dieses Gremium die ihm zugedachte wichtige Aufgabe noch erfüllen kann, die Bürger dieser Stadt demokratisch an der Entwicklung der Energiewende zu beteiligen – oder ob es sich am Ende doch nur um eine Art demokratisches Feigenblatt oder ein in sich zerstrittenes Grüppchen handelt und der Senat damit sowieso unbeirrt tun kann, was er ohnedies tun will in Sachen Energiepolitik.