Hamburg. Angriffs-Opfer einer mutmaßlichen Islamistin schildert den dramatischen Tathergang an der Uni. 56-jährige Hamburgerin schwer gezeichnet.

Ihre Stimme klingt am Telefon hell, freundlich und überraschend fest – angesichts des Albtraums, den sie vor wenigen Tagen erlitten hat. Veronika K., so soll sie hier zu ihrem Schutz heißen, wurde Opfer des antisemitischen Übergriffs an der Universität Hamburg, als eine 26 Jahre alte Frau, die in Somalia geboren wurde und in Hamburg gemeldet ist, sie würgte, ihr einen Faustschlag versetzte, an den Haaren herumwirbelte und die am Boden Liegende weiter heftig schlug und trat. Nach einem Aufenthalt in der Notaufnahme der Uniklinik Eppendorf ist Veronika K. nun zu Hause. Dem Abendblatt erzählt sie, wie es zu der Gewaltattacke kam, was genau passierte und welche gesundheitlichen Schäden sie davongetragen hat und welche möglicherweise noch drohen.

„Ich habe eine massive Gehirnerschütterung erlitten und starke Kopfschmerzen. Die Ärzte haben mir geraten, erst einmal liegen zu bleiben“, erzählt die 56-Jährige, die seither starke Schmerzmittel nimmt. „Der Faustschlag dieser Frau fühlte sich so an, als ob meine Nase ins Gehirn geschoben würde. Mein Augenlicht ist beeinträchtigt, die linke Gesichtshälfte ist taub.“ Ärzte hätten ihr gesagt, dass es auch noch Wochen oder Monate nach einer solchen Verletzung zu einer Netzhautablösung kommen könnte.

Veronika K. muss nach der islamistischen Attacke starke Schmerzmittel nehmen

„Mein Körper fühlt sich an, als ob ein Bagger über mich gefahren wäre. Ich kann noch gar nicht differenziert empfinden, was mir in welchem Ausmaß wehtut“, sagt K., die sich im Gespräch gleichwohl bemüht darzustellen, wie es ihr aktuell geht. „Der Angriff ist mir aufs Herz geschlagen. Ich habe Schmerzen im Brustkorb. Mein linker Arm und mein linkes Bein fühlen sich taub an“, sagt Veronika K. Sie habe vier Bandscheibenvorfälle eigentlich gut überstanden, aber seit der Attacke habe sie nun wieder sehr starke Rückenschmerzen. Die Schilderungen ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigungen wirken klar und nüchtern. Hier versucht eine Frau, sich einen Reim auf etwas Unfassbares zu machen.

Rückblende: In Raum 221 im Ostflügel des Uni-Hauptgebäudes an der Edmund-Siemers-Allee (Rotherbaum) finden sich am Mittwochabend rund 180 Zuhörerinnen und Zuhörer ein. Im Rahmen der Ringvorlesung „Judenfeindlichkeit, Antisemitismus, Antizionismus – aktualisierte Formen antijüdischer Gewalt“ hält Prof. Alfred Bodenheimer von der Universität Basel einen Vortrag zu „Sinn und Unsinn von Antisemitismusdefinitionen“. Das Thema der Ringvorlesung wirkt geradezu gespenstisch angesichts dessen, was dann in Raum 221 und wenig später auf dem Flur davor passiert. Ringvorlesungen sind Teil des allgemeinen Vorlesungswesens der Universität und damit öffentlich zugänglich für jeden und jede. Eine Eingangskontrolle gibt es nicht. Der von der Universität beauftragte Sicherheitsdienst ist vor Ort.

Der Angriff ereignete sich im Anschluss an eine Vorlesung zum Thema Antisemitismus

Im Publikum gibt es eine größere, verstreut sitzende Gruppe von Männern und Frauen, die zum Teil aufgrund ihrer Kleidung als Pro-Palästinenser zu erkennen sind. Auch Veronika K. ist unter den Zuhörern. Sie ist Vorstandsmitglied der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, sie engagiert sich seit vielen Jahren für deutsch-israelische Begegnungen. Ihr Mann hat die Ringvorlesung mitorganisiert. „Ich saß weiter hinten im Publikum“, erzählt die 56-Jährige.

Während der Diskussionsrunde im Anschluss an die Vorlesung kommt es immer wieder zu Zwischenrufen und Störungen. Wortbeiträge nutzen Mitglieder der pro-palästinensischen Gruppe zu antiisraelischer Propaganda, bei der auch das Wort „Genozid“ mehrfach fällt. Alle Bitten und Ermahnungen zu Sachlichkeit und argumentativem Austausch verhallen. „Die Diskussion wurde von der Gruppe missbraucht, um mit sehr aggressivem Tonfall politische Agitation gegen Israel zu betreiben“, erzählt Veronika K.

„Kindermörder, Kindermörder!“, schreit eine Frau fast hysterisch immer wieder

Zum ersten Mal droht die Lage, direkt nach Ende der Veranstaltung außer Kontrolle zu geraten. Eine Frau drängt in Richtung Prof. Bodenheimer in den vorderen Bereich des Saals. Ihnen stellt sich Veronika K.s Mann in den Weg. „Wie können Sie so etwas hier veranstalten, während in Gaza Kinder sterben?“, schreit die Frau fast hysterisch immer wieder und sehr laut.

Die Szene verlagert sich in Richtung eines der beiden Ausgänge. Jetzt ist es K.s Mann, der von einer Gruppe pro-palästinensischer Frauen umlagert wird. „Kindermörder, Kindermörder!“, schreit die eine Frau unausgesetzt und rückt bedrohlich nahe an K.s Mann heran. Es sind die Parolen, die in enervierender Wiederholung in diesen Wochen auch bei anderen Veranstaltungen zu hören sind. So wurde der Europa-Wahlkampfauftakt der SPD mit Bundeskanzler Olaf Scholz vor zwei Wochen auf dem Altonaer Fischmarkt von einer Gruppe Pro-Palästinenser mit den gleichen Schlagworten massiv gestört.

Ein Wortschwall heftigster Beleidigungen prasselt auf Veronika K. ein

Dann passiert etwas völlig Überraschendes. „Plötzlich sagte die schreiende Frau: Da ist seine Gattin und zeigte auf mich. Keine Ahnung, woher die wussten, dass ich seine Frau bin“, sagt Veronika K., die in einiger Entfernung von ihrem Mann steht. Unmittelbar danach lösen sich zwei Frauen aus der Gruppe, die ihren Mann bedrängt. „Sie waren beide grün gekleidet, trugen eine Galabija und ein grünes Kopftuch“, sagt die 56-Jährige.

Ein Wortschwall heftigster Beleidigungen prasselt auf Veronika K. ein. „Du siehst aus wie eine Hexe. Dein Gesicht sieht aus, als ob ein Lkw darübergefahren wäre“, sagt eine der beiden Frauen laut, und das sind noch die harmloseren Invektiven. Um Israel und Palästina scheint es nicht mehr zu gehen. „Warum machen Sie das? Wir kennen uns doch gar nicht“, habe sie die Frauen gefragt und wundert sich jetzt selbst über die naiven Fragen angesichts der bedrohlichen Lage. „Ich war so perplex, ich wollte die Situation instinktiv nicht weiter eskalieren lassen“, sagt sie.

„Dann hatte ich ihre Faust auch schon in meinem Gesicht. Das war völlig unvermittelt“

„Dann habe ich gefragt, ob ich aufnehmen darf, was sie sagt“, sagt Veronika K. und kann sich im Nachhinein über ihre Arglosigkeit nur wundern. Ihr sei in dem Moment der Gedanke gekommen, dass sie diese unglaublichen Beschimpfungen aufnehmen müsse, um sie ihrem Mann hinterher vorzuspielen. „Kaum griff ich zu meinem Handy, da wollte es die eine Frau mir aus der Hand schlagen. Aber das gelang ihr nicht“, sagt K. „Ansatzlos fing die Frau dann an, mich zu würgen. Ich habe versucht, mich dem Griff zu entziehen, aber der war sehr hart. Ich habe ihr dabei wohl leicht in die Hand gebissen, um mich zu befreien“, sagt die 56-Jährige. „Und dann hatte ich ihre Faust auch schon in meinem Gesicht. Das war völlig unvermittelt.“

Soweit sich Veronika K. erinnert, riss ihr die Frau, die später als die 26-jährige Somalierin identifiziert wurde, an den Haaren und wirbelte sie herum. „Ich weiß noch, dass ich zuerst auf die Knie gegangen bin. Als ich auf dem Boden lag, spürte ich immer wieder ihre Tritte und Schläge. Ich weiß nicht, wie die Frau auf den Boden kam. Das hat sie nicht davon abgehalten, mich weiter massiv zu treten und zu schlagen. Ich stand unter Schock“, sagt sie. Noch vor den Sicherheitsleuten war ihr Mann bei ihr. „Er hat mir hochgeholfen.“ Das Haarband und der Inhalt der geöffneten Handtasche – alles war auf dem Boden verstreut.

Sicherheitsleute brachten Veronika K. und ihren Mann aus der Gefahrenzone

K. erinnert sich, dass die Frau, die vorher sehr laut „Kindermörder, Kindermörder“ geschrien hat, kurz darauf offensichtlich über ihr Handy die Polizei angerufen hatte und sagte: „Kommen Sie schnell! Hier beißt eine Jüdin eine Muslimin!“ Die Sicherheitsleute bringen Veronika K. und ihren Mann in einen Nebenraum und damit aus der Gefahrenzone. Bis zum Eintreffen der inzwischen auch von anderen Augenzeugen alarmierten Polizei kann die pro-palästinensische Gruppe einschließlich der 26-Jährigen festgehalten werden. Im Polizeibericht wird es später heißen: „Hinzugerufene Polizeibeamte stellten die Personalien aller beteiligten Personen fest und leiteten jeweils Strafverfahren wegen des Verdachts der Körperverletzung gegen beide Frauen ein.“ Sehr neutral heißt es in der Meldung, die Frauen seien in Streit geraten, „in dessen Verlauf eine 26-jährige Somalierin ... ihre Gegnerin unvermittelt attackierte und ihr ins Gesicht schlug. Diese setzte sich offenbar zur Wehr, indem sie nach der Angreiferin trat und sie biss.“

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Zu den Schmerzen und dem erlittenen Leid kommt für Veronika K. nun im Rahmen eines Gerichtsverfahrens vermutlich noch die Aufgabe hinzu, deutlich zu machen, wer Täterin und wer Opfer ist. „Diese Frau hat gegen mich eine Strafanzeige gestellt. Das ist doch unglaublich. Ich habe sie null angegriffen und sie auch nicht getreten“, empört sich die 56-Jährige. Immerhin hat die Staatsschutzabteilung des Landeskriminalamtes am Freitag die Ermittlungen übernommen.

„Ich habe noch nie in meinem Leben solch einem Hass ins Auge gesehen“

Veronika K. beschreibt sich in dem Gespräch mit dem Abendblatt als überzeugte Christin, als politisch gut informiert über den neu aufkommenden Antisemitismus, und sie sagt, sie wisse natürlich auch über die aktuelle Entwicklung innerhalb der pro-palästinensischen Communitys und deren Tendenz zu nicht gewaltfreien Aktionen nicht nur in Deutschland, sondern zum Beispiel auch in den USA Bescheid. „Aber das, was an der Uni geschehen ist, hat mich gigantisch überrollt. Ich habe noch nie in meinem Leben solch einem Hass ins Auge gesehen“, sagt K.

Noch ist nicht abzuschätzen, welche Folgen der antisemitische Übergriff für die politische Debatte über Israel und Palästina nicht nur an der Hochschule haben wird. Die Universität hat angekündigt, dass die Ringvorlesung zum Thema Antisemitismus fortgesetzt werden soll. „Wir lassen uns alle Freiheiten wegnehmen, wenn wir dulden, was am Mittwochabend passiert ist. Dann ist ein wissenschaftlicher Austausch nicht mehr möglich. Das war ein massiver Anschlag auf unsere Demokratie und die Religionsfreiheit“, sagt Veronika K. sehr nachdenklich.