Hamburg. Die Rede des Kanzlers zum Auftakt des Europawahlkampfs der SPD wurde kein Heimspiel. Worum es der Partei vor allem geht.
Mit reichlich bundespolitischer Prominenz ist die SPD auf dem Altonaer Fischmarkt in die heiße Phase des Europawahlkampfs gestartet. Dabei stellten die Sozialdemokraten den Kampf gegen den Rechtsextremismus und die AfD sowie die Bedrohung des Friedens in Europa durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine in den Mittelpunkt der rund eineinhalbstündigen Kundgebung am Sonnabendnachmittag. An der stark gesicherten Veranstaltung – auch von den Dächern der Häuser rund um den Fischmarkt beobachteten bewaffnete Polizeibeamte das Geschehen – nahmen nach freundlichen Schätzungen der Polizei rund 1000 Menschen teil.
Als Bundeskanzler Olaf Scholz nach gut einer Stunde die Bühne vor der Kulisse des Hafens betrat, wummerten die Bässe, aber es gab auch Pfiffe, als er die Menschen in seiner Heimatstadt mit einem schlichten „Moin“ begrüßte. „Es ist schön, in dieser weltoffenen Stadt dabei zu sein, wenn die SPD ihren Europawahlkampf eröffnet. Denn da geht es auch um Weltoffenheit und Zukunft und darum, dass wir gemeinsam stark sind“, sagte Scholz. Schnell war der Kanzler bei seinem zentralen Thema. „Sicherheit und Frieden in Europa sind bedroht. Russland hat die Ukraine überfallen. Das ist furchtbar. Und Putin hat einen Konsens aufgekündigt, der seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa galt: Er hat mit Gewalt Grenzen in Europa verschoben“, sagte der Sozialdemokrat.
Scholz verteidigte seinen „Kurs der Besonnenheit“ im Krieg Russlands gegen die Ukraine
Der Sozialdemokrat verteidigte die militärische Hilfe für die Ukraine durch die Bundesregierung. „Deutschland unterstützt die Ukraine am meisten: Mit sieben Milliarden in diesem Jahr und 28 Milliarden seit Beginn des Krieges für Munition und Waffen ist Deutschland das Land, das mehr macht, als ziemlich viele andere Länder zusammen. Und das ist auch notwendig“, rief Scholz, dessen Rede immer wieder von Zwischenrufen gestört wurde, ohne dass er sich davon ernsthaft irritieren ließ. Dabei ging es um den Krieg Israels gegen die Hamas, den Scholz nicht mit einem Wort erwähnte. „Sie unterstützen einen Völkermord“, schrie eine Frau fortgesetzt in seine Richtung, ehe sie letztlich von Polizeibeamten weggeführt wurde. Trotzdem: Die Zwischenrufer sorgten dafür, dass Scholz‘ Auftritt in Hamburg kein Heimspiel wurde.
Scholz blieb bei seinem Thema. „Ich wundere mich, wenn einige sagen, besonnene Politik ist nicht richtig. Wir machen das meiste, aber wir machen es klug abgewogen zum richtigen Zeitpunkt und in aller Konsequenz“, sagte der Kanzler. Dafür gab es kräftigen Beifall. „Wenn das Recht nicht mehr zählt, sondern die Macht, dann gibt es keine Sicherheit mehr, die garantieren kann, dass nicht irgendwann das nächste Land dran ist“, sagte Scholz, der auch die Kehrseite betonte. „Man muss die Entscheidungen so treffen, dass es nicht zu einer Eskalation des Krieges, zu einem Krieg zwischen Russland und der Nato kommt. Dafür stehe ich auch konsequent ein“, rief der Kanzler. „Denjenigen, die sich Sorgen machen, die Angst haben, sage ich: Der deutsche Bundeskanzler und die von mir geführte Regierung wird den Kurs der Besonnenheit, den Kurs, abgewogen zu handeln, um Frieden und Sicherheit in Europa zu gewährleisten, nicht verlassen“, versprach Scholz. Dafür gab es starken Beifall.
SPD-Spitzenkandidatin Katharina Barley: „Mein Europa ist ein Europa des Friedens“
„Die wichtigste Grundlage für die Demokratie sind wir, die Bürgerinnen und Bürger. Deshalb geht es bei dieser Europawahl auch gegen rechts, gegen die rechten Populisten, die das Miteinander zerstören wollen. Wir brauchen ein starkes und soziales Europa. Am besten geschieht das mit einem Kreuz bei der SPD“, sagte Scholz. Vor dem Bundeskanzler hatte bereits die SPD-Spitzenkandidatin bei der Europawahl, Ex-Bundesjustizministerin Katharina Barley in einer sehr eindringlichen und nachdenklichen Rede um Unterstützung geworben.
Die Sozialdemokratin erinnerte an die Proteste zu Beginn des Jahres nach dem Treffen von Rechtsextremisten in einer Villa bei Potsdam. „Millionen Menschen sind auf die Straße für die Demokratie gegangen, insbesondere in Hamburg. Ich habe mich gefragt: Warum gerade jetzt? Wir kennen die AfD doch schon seit Langem“, sagte Barley und gab sich selbst die Antwort: „Durch die Korrektiv-Recherche ist klar geworden, wie die wirklich ticken. Die AfD zielt auf die niederen Instinkte, auf unsere Angst, unsere Wut. Dagegen ist aber jetzt bei vielen etwas geweckt worden, was auch in uns steckt: Es geht um den Wunsch nach Zusammenhalt. Selbst der größte Stinkstiefel will geliebt werden“, sagte Barley. „Was hier passiert, wird gesehen. Es gibt Rechtsextreme überall in der Welt, aber nur in Deutschland gehen die Menschen in so großer Zahl auf die Straße und sagen: Wir wollen das nicht.“
Für Barley entscheiden allein die Ukrainer, „wann und wie dieser Krieg enden wird“
Als Barley von ihren Gesprächen mit Menschen in der Ukraine berichtete, wurde es sehr still auf dem Fischmarkt. „Wenn wir das durchhalten, müsst ihr das auch durchhalten“, zitierte Barley eine alte Frau aus Kiew. „Mein Europa ist ein Europa des Friedens. Aber es ist unsere humanitäre Pflicht, die Ukraine zu unterstützen, solange sie es will. Nur die Ukrainer allein können entscheiden, wann und wie dieser Krieg enden wird“, sagte die SPD-Spitzenkandidatin.
Auch SPD-Parteichef Lars Klingbeil rückte den Begriff „Frieden“ ins Zentrum. „Frieden ist ein sozialdemokratischer Begriff“, sagte Klingbeil. Die früheren SPD-Kanzler Willy Brandt und Helmut Schmidt hätten sich immer wieder für Frieden in der Welt eingesetzt. „Und diese Politik, diese Tradition setzt unser sozialdemokratischer Kanzler Olaf Scholz fort. Und ich bin dankbar dafür, wie besonnen er in einer Zeit, in der vieles aus den Fugen gerät, handelt“, sagte Klingbeil.
Am Ende ließ sich Olaf Scholz von Parteifreunden geduldig für Selfies fotografieren
Zu Beginn der Kundgebung hatte auch Bürgermeister Peter Tschentscher daran erinnert, dass mehr als hunderttausend Hamburger und Hamburgerinnen gegen rechts auf die Straße gegangen waren. „Es gibt keinen besseren Ort, den Wahlkampf zu beginnen. Wir leben nicht so schlecht in Hamburg, auch weil wir uns nie abgekapselt, sondern geöffnet haben für eine gute Zusammenarbeit mit Partnern in der Welt“, sagte Tschentscher.
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Für Scholz endete die Kundgebung harmonisch. Er ließ sich von Parteifreundinnen und -freunden geduldig für Selfies fotografieren, während im Hintergrund eine mit Palästinensertüchern bekleidete Gruppe immer lauter und offensichtlich einstudiert ihre Parolen skandierte, ehe auch sie abgedrängt wurden.